Harter Kern, instabile Peripherie
ETH-Forscher analysierten weltweite Flugverbindungen – und fanden ein dicht gewobenes Netz, das an den R?ndern ausfranst. Das macht die Regionen, die an der Peripherie des Flugnetzes liegen, anf?llig für St?rungen. Dies wiederum macht das ganze Netz verwundbar, da zahlreiche Regionen in kleine Inseln zerfallen.
Sommerzeit, Reisezeit, und viele beginnen ihre Ferien mit einem Flug in die Ferne. Die m?glichen Destinationen sind mittlerweile dicht ges?t, und die Luftverbindungen überspannen den Globus wie ein Spinnennetz. Ob man allerdings rechtzeitig oder überhaupt hin- und zurückkommt, ist deswegen noch lange nicht garantiert. Wie im Frühjahr 2010, als zahlreiche europ?ische Flugh?fen wegen dem Ausbruch des isl?ndischen Vulkans Eyjafjallaj?kull geschlossen werden mussten. Zeitweise wurden 60 Prozent der europ?ischen Flüge gestrichen. Hunderttausende Passagiere strandeten auf Flugh?fen, die Airlines erlitten grosse finanzielle Einbussen.
Wie stabil ist das weltweite Luftfahrtnetz?
Für Trivik Verma, Doktorand in der Gruppe Computational Physics for Engineering Materials, war diese St?rung des Flugverkehrs Anlass, das weltweite Liniennetz genauer zu erforschen. ?Zwei meiner Mitautoren waren damals von den Ausf?llen betroffen?, sagt er. Das habe sie angespornt, der Frage auf den Grund zu gehen, wie widerstandsf?hig das weltweite Flugnetz (englisch: world airline network) gegenüber solchen St?rungen wirklich sei.
Dazu haben sie die zwischen den weltweit 3237 Flugh?fen bestehenden 18‘000 Flugrouten untersucht. Im weltweiten Flugnetz ist jeder Airport direkt oder indirekt mit anderen Flugh?fen verbunden. In diesem Netz gibt es Hubs, die bessere Verbindungen aufweisen als andere Destinationen. Schliesslich ?zersetzten? die Forscher das Flugnetz mit einem geeigneten mathematischen Verfahren, beginnend bei den Airports, die am schlechtesten – sprich nur über eine Verbindung – an das Netz angeschlossen sind. In einem n?chsten Schritt l?ste das Programm die Verbindungen zu den Lufth?fen, die über h?chstens ein Dreieck verfügten. Ein solches Dreieck liegt dann vor, wenn Flughafen A mit B verbunden ist, Destination B aber auch über einen Flughafen C erreicht werden kann. Je ?fter ein Flughafen Teil solcher Dreiecke ist, desto besser ist er im weltweiten Netzwerk eingebunden. Dadurch bietet ein solcher Flughafen den Passagieren auch mehr Alternativrouten, wenn die ursprüngliche Verbindung ausf?llt.
Nur 73 Airports bilden harten Kern
In jedem weiteren Rechenschritt wurde die Zahl der Dreiecke um eins erh?ht und entsprechende Flugh?fen ?geschlossen?. So arbeiteten sich die Forscher bis ins Zentrum des weltweiten Liniennetzes vor, einem Kern von nur 73 Flugh?fen, die über mindestens 387 dreieckige Verbindungen mit anderen Flugh?fen verbunden sind. Zu solchen Kern-Flugh?fen geh?ren die Giganten im Gesch?ft wie Heathrow, Los Angeles, Dubai oder Frankfurt.
Dass diese extrem stabil sind, zeigt eine Simulation, bei der die Forschenden 40 Prozent der Kernverbindungen (mit hoher Auslastung) aus dem Netz entfernten: Drei Viertel aller weltweiten Flugh?fen blieben dennoch miteinander verbunden. Gravierender wirkt sich hingegen aus, wenn der gleiche Anteil an peripheren Verbindungen ausfallen würde, denn dann w?ren nur noch ein Viertel aller Flugh?fen miteinander vernetzt. ?Das spricht dafür, dass der Kern des weltweiten Flugnetzes extrem robust gegenüber St?rungen ist und dass das weltweite Flugliniennetz eine Zweiklassengesellschaft ist, die über Verkehrslinien mit Brückenfunktion verbunden ist?, so Verma.
Sternf?rmige Peripheriehubs sind instabil
Der Grund dafür liegt darin, wie die Flugverbindungen in der Peripherie aufgebaut sind: Wichtige Regionalflugh?fen verbinden andere Destinationen sternf?rmig. Diese sind demnach nur über eine Linie mit einem regionalen Hub verbunden, nicht aber über ein Dreieck. Ein solcher Hub ist der Flughafen Tampa Bay in Florida von dem aus sternf?rmig 24 Destinationen angeflogen werden. F?llt er aus, k?nnen Passagiere diese Orte auf dem Luftweg nicht mehr erreichen. So k?nnen mit einem Schlag ganze Regionen vom weltweiten Netz abgeschnitten werden.
Was nun nach einem Problem von Randregionen klingt, wirkt sich indessen auch auf den Kern aus: In den meisten Szenarien, in denen die Forscher Ausf?lle von peripheren Flugh?fen durchspielten, liessen diejenigen, die nur eine Verbindung hatten, das weltweite Flugverkehrsnetz instabil werden.
Marktwirtschaft f?rdert Struktur
?Die zweigeteilte Struktur des weltweiten Flugnetzes ist nicht ein Resultat unseres Modells, sondern eine Folge davon, dass Airlines profitorientiert sind?, sagt Verma. Airlines bieten nur dort viele Verbindungen an, wo das Passagieraufkommen oder die Wirtschaftskraft hoch ist, und die Flugzeiten kurz sind. Die Flugzeit minimiert sich dann am st?rksten, wenn die Airlines in einem dichten Netz operieren, in welchem sie jede Destination vom Heimatflughafen direkt anfliegen k?nnen. Das f?rdert den Aufbau von mehrfach verknüpften Kern-Airports. In der Peripherie aber bietet sich aus ?konomischen ?berlegungen heraus nur der Betrieb eines sternf?rmigen Netzes mit zentralem Hub an.
?Die netzf?rmige Gruppierung von Flugh?fen garantiert eine hohe Widerstandsf?higkeit gegenüber St?rungen. Flugh?fen, die keine alternative Verbindungen zu ihren Destinationen haben, sind genau diejenigen, die das weltweite Flugverkehrsnetz am verwundbarsten machen?, sagt Verma. Das Netz sei eben nicht auf die Zweckm?ssigkeit für Passagiere ausgelegt, sondern auf Wirtschaftlichkeit.
Literaturhinweis
Verma T, Araújo NAM, Herrmann HJ: Revealing the structure of the world airline network. Scientific Reports 2014, 4, 5638. doi:externe Seite 10.1038/srep05638