Pockennarben auf dem Seegrund

Aussergew?hnlicher und unerwarteter Fund: Geologinnen und Geologen entdeckten zuf?llig auf dem Grund des Neuenburgersees riesige Krater. Sie geh?ren zu den weltweit gr?ssten Unterwasserkratern in Binnenseen. Ihr Ursprung ist nicht etwa vulkanisch, vielmehr handelt es sich dabei um  Wasserquellen.

Vergr?sserte Ansicht: Von diesem Boot aus entdeckten Forscherinnen und Forscher mithilfe eines Fächersonars riesige unbekannte Krater auf dem Seegrund. (Bild: ETH Zürich / Anna Reusch)
Von diesem Boot aus entdeckten Forscherinnen und Forscher mithilfe eines F?chersonars riesige unbekannte Krater auf dem Seegrund. (Bild: ETH Zürich / Markus Loher)

Anna Reusch, Doktorandin am Institut für Geologie, war an diesem Morgen bass erstaunt: Bei einer Routine-Messfahrt mit ihrem Forschungsboot auf dem Neuenburgersee zeichnete sich auf dem Kontrollbildschirm pl?tzlich eine ungew?hnliche Kontur ab. Unter dem Boot, in über 100 Meter Tiefe, musste etwas vorhanden sein, das zuvor noch niemand gesehen hat. Sofort informierte sie ihren Professor Michael Strasser: ?Wir haben etwas gefunden, dass du dir unbedingt ansehen musst.?

Die erste rudiment?re Datenauswertung an Bord ergab, dass Reusch und ihre Kollegen auf eine wissenschaftliche Sensation gestossen waren: einen riesigen Krater von 160 Metern Durchmesser und 10 Meter Tiefe. ?Dieser Tag wird mir in Erinnerung bleiben – so etwas h?tte ich nie erwartet?, erinnert sich Reusch. ?Das zeigt, dass selbst im 21. Jahrhundert in der Schweiz spannende und aufregende Entdeckungen m?glich sind!?

Auf der Suche nach Erdbebenspuren

Die ETH-Doktorandin machte die Entdeckung im Rahmen eines Projektes des Schweizerischen Nationalfonds namens ?Dynamite?. Ziel von Reuschs Teilprojektes ist es, die Sedimente in Seen des westlichen Schweizer Mittellandes auf Spuren vergangener Erdbeben zu untersuchen. Sie sollte unter anderem durch die hochaufgel?ste Vermessung des Seebodens des Neuenburgersees Hinweise dafür finden, dass dort tektonisch aktive Zonen grosse Erdbeben hervorbringen k?nnen, und das in geologisch jüngster Zeit, den letzten 12'000 Jahren.

Die Entdeckung des riesigen Kraters und in der Folge weiterer solcher Strukturen stellte ihre Doktorarbeit allerdings fast komplett auf den Kopf. ?Die Krater waren so interessant, dass wir dieses Ph?nomen unbedingt genauer untersuchen wollten?, erkl?rt die Geologin.

Vergr?sserte Ansicht: Chez-le-Bart
Der Chez-le-Bart-Krater misst im Durchmesser 160 m und ist weltweit einer der gr?ssten, der je in einem Binnensee gefunden wurde. (Bilder: aus Reusch et al. 2015)
Vergr?sserte Ansicht: Treytel-Krater
Der Treytel-Krater besteht aus drei Teilen, einem ?lteren grossen und zwei kleineren Kratern.  

Vier Krater im See

Insgesamt machte das Forschungsteam vier Krater auf dem Grund des Sees ausfindig. Alle liegen am Nordwestufer, in einer Tiefe von über 100 Metern. Die meisten befinden sich in der Verl?ngerung von bekannten tektonischen Bruchzonen. Die vier Krater beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in einer Publikation, die soeben in der Fachzeitschrift ?Geophysical Research Letters? erschienen ist.

Die Krater haben einen Durchmesser von 80 bis 160 Metern und sind 5,5 bis 30 Meter tief. Dem Gr?ssten haben die Wissenschaftlerinnen den Spitznamen ?Crazy Crater? gegeben. Denn nicht nur die Ausmasse dieser Struktur sind ungew?hnlich, sondern auch dessen Form: Der Krater ist kreisrund. Vergleichbare Strukturen auf dem Meeresboden werden in der Regel durch die Str?mung verformt.

Krater mit Schlammfüllung

Vergr?sserte Ansicht: Schema Seekrater
So stellen sich die Forschenden vor, wie ?Crazy Crater? im L?ngsschnitt aussieht. (Grafik: ETH Zürich / aus Reusch et al. 2015)

Am Fuss des 10 Meter tiefen Crazy Craters machten die Forschenden einen Schlammdeckel aus. Darunter liegt ein 60 Meter tiefer Schlot, der mit einer dicken Suspension aus Wasser und Sediment gefüllt ist. Es war den Wissenschaftlern nicht m?glich, daraus Bohrkerne zu gewinnen. Dazu ist das Material zu flüssig, weil von unten aufsteigendes Wasser in den Schlot dringt. Es h?lt die Sedimente im Schlot in Bewegung und sorgte dafür, dass sie sich nicht wie normale Seesedimente verfestigen konnten.

Dass in diesen Kratern Wasser aufst?sst und nicht etwa Gas, zeigten die Wissenschaftler unter anderem mit Messungen der Wasser-, Suspensions- und Sedimenttemperaturen sowie des Isotopen-Fingerabdrucks. W?hrend die Suspension eine Temperatur von 8,4 Grad aufwies, waren das Tiefenwasser und das den Krater umgebende Sediment lediglich 5,8 Grad warm. Diese Temperatur entspricht der normalen Temperatur des Wassers in diesen Seetiefen. Die Temperatur der Suspension hingegen ist vergleichbar mit derjenigen des Oberfl?chenwassers im angrenzenden Karstgebiet.

Auch enth?lt die Suspension im Innern des Schlots einen geringeren Anteil des schweren Sauerstoff-Isotopes 18 als das umgebende Seewasser. ?Diese unterschiedlichen Sauerstoffsignale deuten darauf hin, dass hier zwei verschiedene Wasserk?rper vorliegen?, sagt Reusch.

Gigantische Quelle

Für die Erdwissenschaftlerin ist es deshalb am wahrscheinlichsten, dass die Krater mit den Karstsystemen des angrenzenden Juras zusammenh?ngen. Wasser, das dort versickert, fliesst im Untergrund unter den Seegrund des Neuenburgersees und sucht sich den Weg des geringsten Widerstands an die Oberfl?che. Dabei durchst?sst das Wasser die meterdicken Sedimentschichten, die in Jahrtausenden auf dem Seeboden abgelagert wurden. ?Mit anderen Worten handelt es sich bei den Kratern um Quellen?, so Anna Reusch.

?Anhand von Sedimentbohrkernen aus der unmittelbaren Umgebung der Krater konnten die Forscher darüber hinaus aufzeigen, dass die Suspension von Zeit zu Zeit über den Kraterrand schwappt, ?hnlich einer Eruption eines Vulkanes. Seit der letzten Eiszeit passierte dies mindestens viermal, wobei der ?lteste Auswurf über 12‘000 Jahre alt ist. Crazy Crater hat allerdings seit 1600 Jahren kein Sediment mehr ausgeworfen, welches sich am Kraterrand abgelagert hat, trotz des heute aktiven Wasserflusses. Was diese Eruptionen ausl?st, ist noch unerforscht. ?Um die Dynamik der Krater zu erforschen, braucht es ein Langzeit-Monitoring, mit dem der Pegelstand der Suspension im Krater überwacht werden kann?, sagt die Forscherin.

Entdeckerfieber ausgebrochen

Die bisher untersuchten Krater liegen alle in Tiefen von 100 Metern und mehr unter der Wasseroberfl?che. Ob es im Flachwasser ebenfalls solche ?Pockennarben? gibt, kann Reusch nicht sagen, da sie nur die tiefen Zonen des Neuenburgersees (ab 30 m Wassertiefe abw?rts) mit ihrem Sonarger?t abgesucht hat. Die Flachwasserzonen wurden bis anhin nicht kartiert.

Zur Vermessung der Seen verwendeten die Forscher ein modernes F?cher-Sonarger?t, das eine hohe Aufl?sung erm?glicht. Bisher wurden solche Ger?te vor allem dazu genutzt, den Meeresboden zu vermessen. Je nach Wassertiefe und Winkel des F?chers liegt die Aufl?sung bei bis zu 20x20 Zentimetern. Das Ger?t wird derzeit gut ausgelastet: Der Grund der Schweizer Seen ist im Vergleich zur Gel?ndeoberfl?che an Land nach wie vor relativ schlecht erforscht. Erst seit wenigen Jahren vermessen wir den Seegrund von vielen Schweizer Seen mit hochaufl?senden Methoden und entdecken so Ph?nomene, von denen wir bisher nicht wussten dass sie in den Tiefen der Schweizer Seen überhaupt existieren.

Literaturhinweis

Reusch A, Loher M, Bouffard D, Moernaut J, Hellmich F, Anselmetti FS, Bernasconi SM, Hilbe M, Kopf A, Lilley MD, Meinecke G, Strasser M: Giant lacustrine pockmarks with subaqueous groundwater discharge and subsurface sediment mobilization. Geophysical Research Letters, 13. Mai 2015, doi:externe Seite 10.1002/2015GL064179.

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