Mikro-RNA wird verdaut, nicht aufgenommen

Ob k?rperfremde Mikro-RNA-Moleküle über die Nahrung aufgenommen werden und gar den Stoffwechsel beeinflussen k?nnen, wurde in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert. Eine neue Studie von ETH-Professor Markus Stoffel bei M?usen bringt nun Kl?rung: Eine solche Aufnahme findet nicht statt. Die vielversprechende Idee, funktionelle Nahrung mit Mikro-RNA herzustellen, erleidet damit Schiffbruch.

Vergr?sserte Ansicht: Junge Maus
Milch enth?lt Mikro-RNA-Moleküle. Doch letztere werden im Darm von saugenden M?usejungen verdaut (Symbolbild). (Bild: Colourbox)

Die Wissenschaftswelt war verblüfft über das, was chinesische Forscher 2011 behauptet hatten: ?ber die Nahrung aufgenommene kleine Stücke genetischen Materials aus der Reispflanze – sogenannte Mikro-RNA-Moleküle – k?nnen den Stoffwechsel von Menschen beeinflussen. Wenn dies tats?chlich m?glich ist, dann w?re es ebenso denkbar, auf diese Weise gezielt K?rperfunktionen zu ver?ndern – etwa mit funktioneller Nahrung, die solche Mikro-RNA-Moleküle enth?lt. Das Potenzial w?re enorm. Denn es ist beispielsweise bekannt, dass bestimmte k?rpereigene Mikro-RNA-Moleküle die Entstehung von Krebs verhindern, andere einen Einfluss auf Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes haben.

Forschungsresultate, die amerikanische Forscher letztes Jahr ver?ffentlichten, stützten die Idee des ?Mikro-RNA-Functional-Food?. Diese Wissenschaftler folgerten, dass Mikro-RNA aus Kuhmilch nach dem Konsum ins Blut von Menschen gelangen kann. Die Milch von S?ugetieren enth?lt generell hohe Mengen Mikro-RNA. Seit einigen Jahren gehen Wissenschaftler daher auch der Frage nach, ob diese Moleküle den Stoffwechsel und insbesondere das Immunsystem von S?uglingen auf natürliche Weise beeinflussen k?nnen.

Umstrittene Studien

Die Studien zum Reis und zur Kuhmilch wurden allerdings in der Wissenschaftsgemeinschaft kontrovers diskutiert. Denn bei beiden Arbeiten sind die aus den ver?ffentlichten Daten gezogenen Schlüsse nicht zwingend. Die Ergebnisse lassen sich auch anders erkl?ren. Eine neue Studie unter der Leitung von Markus Stoffel, Professor am Departement Biologie der ETH Zürich, best?tigt nun diese Kritik. Seine beweiskr?ftige Arbeit bei M?usen zeigt: Der K?rper nimmt Mikro-RNA aus der Nahrung praktisch nicht auf  – jedenfalls nicht in funktionell bedeutenden Mengen. Vielmehr werden die Moleküle im Dünndarm in ihre Bausteine zerlegt. Aus der Traum also für funktionelle Nahrung mit Mikro-RNA.

Für ihre Studie verwendeten die ETH-Biologen zwei M?usefamilien. Eine davon geh?rte einem ganz normalen Labormaus-Stamm an (Wissenschaftler sprechen von Wildtyp-M?usen). Bei der anderen Familie handelte es sich um M?use, denen ein ganz bestimmtes Mikro-RNA-Molekül fehlte. Das Molekül heisst miR-375 und wird normalerweise in der Bauchspeicheldrüse, im Darm und in den Milchdrüsen hergestellt. Es geh?rt zu jenen Mikro-RNA-Molekülen, die in der Muttermilch in hohen Konzentrationen vorkommen.

Experiment mit Ammenmüttern

Die Wissenschaftler liessen beide M?usefamilien Junge zeugen, tauschten den Nachwuchs unmittelbar nach der Geburt jedoch aus. Auf diese Weise konnten die Forscher Jungtiere untersuchen, die selbst kein miR-375 herstellten, jedoch von einem M?useweibchen ges?ugt wurden, deren Milch miR-375 enth?lt.

Im Magen von so ern?hrten M?usejungen konnten die Forscher hohe Konzentrationen miR-375 nachweisen. ?Magens?ure macht Mikro-RNA-Molekülen nur sehr wenig aus?, erkl?rt Stoffel. An anderen Orten im K?rper fanden die Wissenschaftler jedoch miR-375 h?chstens in Spuren. Die gemessenen Konzentrationen sind nach Angaben der Wissenschaftler mindestens tausendmal zu klein, um im K?rper Gene regulieren und damit den Stoffwechsel beeinflussen zu k?nnen. Insbesondere fanden die Forscher keine auch nur ann?hernd relevanten Konzentrationen von miR-375 in den Zellen der Dünndarmwand. Verdaute Nahrungsbestandteile durchqueren diese Zellen, bevor sie ins Blut übertreten. Auch im Blut und in der Leber wurden die Wissenschaftler nicht fündig.

In Bausteine zerlegt

?Wir gehen davon aus, dass Mikro-RNAs im Dünndarm von Verdauungsenzymen in ihre Bausteine zerlegt werden?, sagt Stoffel. Dass dies tats?chlich geschieht, zeigten die Forschenden in einem Laborexperiment, in dem sie Mikro-RNA aus Milch mit Verdauungss?ften aus dem Dünndarm mischten.

Wenn Mikro-RNA aus Muttermilch nicht intakt in den K?rper des ges?ugten Nachwuchses gelangt, warum hat es die Natur dann so eingerichtet, dass Muttermilch so grosse Mengen Mikro-RNA enth?lt? Stoffel sieht dafür einen einfachen Grund: S?uglinge wachsen rasch. Um neue K?rperzellen aufbauen zu k?nnen, brauchen sie neben anderen N?hrstoffen auch RNA-Bausteine. Und genau solche entstehen im Dünndarm, wenn dort Mikro-RNA aus der Muttermilch verdaut wird. ?Diese Bausteine dürften letztlich schlicht und einfach der Ern?hrung des S?uglings dienen?, so Stoffel.

Literaturhinweis

Title AC, Denzler R, Stoffel M: Uptake and function studies of maternal milk-derived microRNAs. Journal of Biological Chemistry, 3. August 2015, doi: externe Seite 10.1074/jbc.M115.676734

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