Prognosen – ein wissenschaftliches Wagnis mit langer Geschichte
Seit knapp 140 Jahren erstellen Wissenschaftler Prognosen über zukünftige Geschehnisse in der Atmosph?re. Anf?nglich waren Vorhersagen umstritten, heute sind sie breit etabliert. Dabei geht es immer auch um die Frage, wie mit Unsicherheiten umzugehen sei. Was uns die historische Perspektive für die Prognosen der Gegenwart lehrt.
?Fortdauer des warmen trockenen Wetters bei heiterem Himmel.? So lautete am 11. Juni 1879 die Wetterprognose der Meteorologischen Centralanstalt in Zürich, die seit 1878 t?glich eine Vorhersage für die n?chsten 24 Stunden ver?ffentlichte. Wenige Stunden nachdem das Prognosetelegramm an jenem 11. Juni in Luzern eingetroffen war, fand dort ein unvorhergesehener Wetterwechsel statt: ?Der Donner krachte aus dem schwarz und grau verhangenen Himmel?, vermerkte ein Leser. [1] Was bedeuteten solche Fehlprognosen für den noch jungen Wetterdienst? Robert Billwiller, der Leiter der Meteorologischen Centralanstalt (heute MeteoSchweiz), bezeichnete seine eigenen Prognosen als ?unvollkommene Produkte der Spekulation?. [2] Er schützte sich vor Kritik, indem er seine Vorhersagen als begründete Vermutungen unter dem Vorbehalt des Irrtums ankündigte.
Umstrittene Prognostik
Den Pionieren der Prognostik standen dank den telegrafischen Netzen Luftdruckmessungen aus vielen Orten Europas zur Verfügung. [3] Und doch musste sie bekennen, vom ?inneren Getriebe des Wetters? wenig Kenntnis zu haben. Unter den Meteorologen waren Wetterprognosen im 19. Jahrhundert h?chst umstritten. Viele sahen die Wissenschaftlichkeit ihrer Disziplin in Gefahr und befürchteten, dass Fehlprognosen ihrem Ruf schaden würden. Der Konkurrenzkampf zwischen ?reiner? und ?praktischer? Meteorologie wurde nicht abgeschottet von der Gesellschaft ausgetragen. Das grosse ?ffentliche Interesse und die aktive staatliche F?rderung begünstigten die Prognostik. Die praktischen Bedürfnisse eilten den Vorhersagem?glichkeiten in den Anfangsjahren aber weit voraus. Die Prognostiker selbst beklagten, dass sich das Publikum nicht auf ihre Meldungen verlassen k?nne: In den Worten des Wiener Meteorologen Otto Myrbach war die Wettervorhersage ?das Schmerzenskind der Meteorologie?. [4]
Trotz aller offenkundigen Schw?chen blieb die Hoffnung bestehen, dass sich der Wetterdienst in Zukunft als nützliche Einrichtung erweisen würde. Die Meteorologen glaubten daran, dass sich die Unsicherheiten mit einer gr?sseren Menge an Beobachtungen und effizienteren Kommunikationsmitteln reduzieren liessen. Einige verkündeten sogar, dass sie den Verlauf des Wetters eines Tages mit ?absoluter Sicherheit? vorausbestimmen würden. [5] Den Meteorologen gelang seither tats?chlich eine wesentliche Verbesserung der Prognosen, die heute anders als im 19. Jahrhundert breit genutzt werden. [6] Umfangreiche Datennetze inklusive Satellitenaufzeichnungen erlauben es, das zukünftige Wetter bis zu sechs Tage im Voraus mit hoher Wahrscheinlichkeit anzukündigen. Nichtsdestotrotz ringen die Meteorologinnen und Meteorologen nach wie vor mit dem chaotischen Charakter der Atmosph?re. Ob in Mitteleuropa eine Ausdehnung der Wettervorhersagen auf mehrere Wochen realisierbar ist, wird kontrovers diskutiert.
Von der Vergangenheit zur Zukunft
Die Prognostiker des 19. Jahrhunderts verknüpften ihre kurzfristigen Wettervorhersagen mit langfristiger Klimabeobachtung. Für Robert Billwiller funktionierte Klimatologie als ?Witterungsprognose im Grossen?. [7] In mühsamer Rechenarbeit ermittelten er und seine Kollegen Mittel- und Extremwerte und suchten nach Regelm?ssigkeiten im langfristigen Wetterverlauf. Sie erhofften sich, Muster in der Abfolge von strengen Wintern oder dürren Sommern zu entdecken, die mehrj?hrige Prognosen erm?glichen würden. Um 1900 debattierten die Wetter- und Klimaforscher intensiv darüber, ob sich das Klima nach der letzten Eiszeit ver?ndert habe, oder ob es, abgesehen von kleineren Schwankungen, stabil sei. [8] Die Datenbasis war zu unsicher, um eine der beiden Hypothesen zu erh?rten. Erst der historischen Klimatologie im 20. Jahrhundert gelang es, das vergangene Klima verl?sslich zu rekonstruieren.
Seit sich infolge des anthropogenen Klimawandels die Mittelwerte verschieben und die H?ufigkeit der Extreme zunimmt, ist das zukünftige Klima zu einem gesellschaftlichen Interessenschwerpunkt geworden. Bei Klimamodellen sind die heutigen Wissenschaftler ebenso wie die Prognostiker im 19. Jahrhundert mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren konfrontiert. Unsicherheiten bestehen bezüglich der internen Variabilit?t des Klimas, des zukünftigen Ausstosses von klimawirksamen Substanzen und m?glichen Modellfehlern.
Wagen statt warten
Wo immer m?glich, drücken Klimatologen Unsicherheiten in Zahlen aus. Vorl?ufer solcher Quantifizierungen von Unsicherheit finden sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als Prognostiker begannen, für ihre Vorhersagen eine Trefferwahrscheinlichkeit anzugeben. Wettervorhersagen und Klimaprojektionen sind in der ?ffentlichen Wahrnehmung oft miteinander vermengt. H?ufen sich bei kurzfristigen Prognosen Fehler, sinkt das Vertrauen in Langzeitmodellierungen. Zudem scheint die Akzeptanz des Klimawandels je nach Wetter zu schwanken: Hitzewellen beispielsweise beeinflussen die ?ffentliche Debatte.
Abwarten, bis alle Unsicherheiten ausger?umt sind, ist für Klimatologinnen und Klimatologen keine Option. [9] Doch gef?hrden sie damit letztlich nicht ihre wissenschaftliche Autorit?t? Die Wetter- und Klimaforscher, damals wie heute, haben mit der Vorstellung zu k?mpfen, dass naturwissenschaftliches Wissen nur wahr oder falsch sein k?nne. Die historische Perspektive zeigt, dass der einzige Ausweg darin besteht, Unsicherheiten klar zu kommunizieren. Um als gültiges Wissen akzeptiert zu werden, müssen Zukunftsprognosen von einer Reflexion ihrer jeweiligen Beschr?nktheit begleitet sein. Es ist notwendig, politische Entscheidungen bezüglich des Klimawandels jetzt zu treffen, weil sich die Handlungsoptionen zunehmend reduzieren werden. Nichts w?re also falscher, als wahrscheinliche Klimaentwicklungen nicht zu vermitteln, nur weil keine absolut sicheren Aussagen m?glich sind.
Weiterführende Informationen
[1] Schweizerische landwirthschaftliche Zeitung, 7 (1879), S. 320.
[2] Robert Billwiller, Witterungsberichte, in: Neue Zürcher-Zeitung, 04.06.1878.
[3] Zur Entstehungsgeschichte der Wetterprognostik siehe: Mark Monmonier, Air apparent: How meteorologists learned to map, predict, and dramatize weather, Chicago 1999; Katharine Anderson, Predicting the weather: Victorians and the science of meteorology, Chicago 2005; Fabien Locher, Le savant et la tempête: ?tudier l'atmosphère et prévoir le temps au XIXe siècle, Rennes 2008.
[4] Otto Myrbach, Fehlerquellen der Wettervorhersage, in: Meteorologische Zeitschrift, 32 (1915), S. 351–362.
[5] A. Schmau?, Die Wahrscheinlichkeit einer Wettervorhersage, in: Meteorologische Zeitschrift, 36 (1919), S. 101–102.
[6] Als ?berblick zu den Entwicklungen siehe: Frederik Nebeker, Calculating the weather: Meteorology in the 20th century, San Diego 1995.
[7] Robert Billwiller, Die Messung der atmosph?rischen Niederschl?ge, in: Schweizerische landwirthschaftliche Zeitung, 9 (1881), S. 432–438.
[8] Zum Wandel der Klimavorstellungen seit dem 18. Jahrhundert siehe: James R. Fleming, Historical perspectives on climate change, New York 1998.
[9] Rafaela Hillerbrand, Unsicherheiten in der Klimavorhersage als Herausforderung für die Entscheidungstheorie, in: Journal für Generationengerechtigkeit, 9 (2009), S. 95–101.