Nachrüsten gegen Mikroschadstoffe
Rund hundert grosse Kl?ranlagen in der Schweiz werden mit einer zus?tzlichen Reinigungsstufe ausgerüstet, um die Belastung der Gew?sser mit Mikroschadstoffen um 50 Prozent zu verringern. Seit 1. Januar 2016 regelt die neue Gew?sserschutzverordnung den Aufbau und die Finanzierung dieser modernen Umwelttechnologie.
?Haben Sie in der letzten Woche Medikamente konsumiert?? Antworten auf diese Frage erhebt das Bundesamt für Statistik alle fünf Jahre im Rahmen einer Befragung der Schweizer Bev?lkerung. Bis zu einem Alter von 40 Jahren antwortet etwa ein Drittel mit ?Ja?, bei den über 75-J?hrigen konsumieren 84 Prozent regelm?ssig Medikamente [1]. Mit zunehmender Lebenserwartung der Menschen steigen die Konzentrationen und die Vielfalt von Arzneimitteln im Abwasser. Kosmetika, Zusatzstoffe von Nahrungsmitteln und Pflanzenschutzmittel, die sich zum Beispiel aus modernen Hausfassaden l?sen, sind weitere Quellen von Mikroschadstoffen. Dieser Begriff umschreibt eine breite Palette von Stoffen, welche bereits bei tiefen Konzentrationen von wenigen Nanogramm bis Mikrogramm pro Liter Wasser biochemisch auf Wasserorganismen einwirken. In Europa sind über 100‘000 Stoffe kommerziell registriert. Einige dieser Chemikalien hemmen die Fortpflanzung von Fischen, andere führen zu Missbildungen bei Amphibien. Viele Herbizide hemmen die Photosynthese von Algen und ver?ndern damit die Struktur von ganzen Lebensgemeinschaften [2].
Pionierleistung in der Abwasserreinigung
Konventionelle Kl?ranlagen entfernen leicht abbaubare organische Substanzen und die N?hrstoffe Phosphor und Stickstoff sehr effizient. Auch Schadstoffe, welche leicht an Partikel binden, werden mit dem Kl?rschlamm aus dem Wasser eliminiert. Viele Mikroschadstoffe wie Medikamente und Pflanzenschutzmittel bleiben jedoch im Wasser gel?st und sind best?ndig – sie werden von Bakterien nur sehr langsam abgebaut. Deshalb k?nnen sie vom Fluss ins Grundwasser und danach in die Trinkwasserversorgung gelangen.
Von 700 Kl?ranlagen in der Schweiz sollen nun deren 100 mit einer zus?tzlichen Reinigungsstufe ausgebaut werden. Die Priorit?t liegt bei grossen Anlagen mit einem schlechten Verdünnungsverh?ltnis beim Auslauf oder die in Fliessgew?sser münden, welche auch Trinkwasservorkommen speisen. Die durchschnittlichen Kosten für die Abwasserreinigung betragen heute ungef?hr 130 Franken pro Einwohner und Jahr. Sie werden durch diese ?Nachrüstung? zum Schutz vor Mikroschadstoffen um etwa 13 Prozent ansteigen [3]. Die Schweiz übernimmt damit eine Pionierrolle in Europa. Unsere Erfahrungen mit dieser zus?tzlichen Reinigungsstufe werden für andere L?nder wegweisend sein.
Zwei Techniken führen zum Ziel
Mikroschadstoffe lassen sich auf zwei unterschiedlichen Wegen aus dem Wasser entfernen [3]: Oxidationsverfahren zersetzten die Moleküle in ungef?hrliche Produkte wie Wasser und Kohlendioxid; Adsorptionsverfahren lassen die Substanz intakt, binden diese aber an Partikel, welche man in einem zweiten Schritt aus dem Wasser abtrennen muss.
Mit Ozon oxidieren
Für die Oxidation von Mikroschadstoffen hat sich die Ozonierung bew?hrt. Entsprechende Generatoren produzieren die ben?tigten 3 bis 5 Gramm Ozon pro Kubikmeter Wasser direkt in der Kl?ranlage. Das erh?ht den Energiebedarf der Abwasserreinigung um 10 bis 30 Prozent. Weil ein Ozonreaktor viele Substanzen nur unvollst?ndig oxidiert, h?ngt man einen weiteren mikrobiologischen Reinigungsschritt an, zum Beispiel mittels Sandfilter, was die Schadstoffe um 80 Prozent reduziert. Ein weiterer Vorteil der Ozonierung ist, dass sie das Abwasser desinfiziert. Weil Antibiotika im Abwasser die Entwicklung von resistenten Bakterien f?rdern, erh?ht die Ozonierung so die Sicherheit für Mensch und Umwelt.
Mit Aktivkohle binden
Zur Adsorption von Mikroschadstoffen eignet sich pulverf?rmige Aktivkohle. Dieser por?se Stoff hat eine grosse Oberfl?che von über 1000 Quadratmetern pro Gramm. Daran binden die Mikroschadstoffe, welche im Belüftungsbecken auf biologischem Weg nicht entfernt wurden. Um die Aktivkohle wieder abzutrennen, stehen verschiedene Filtrationstechniken bereit. Die ben?tigten 12 bis 15 Gramm Aktivkohle pro Kubikmeter Wasser werden am Schluss des Reinigungsverfahrens zusammen mit dem Kl?rschlamm verbrannt. ?hnlich wie die Ozonierung erreicht auch die Adsorptionstechnik einen Wirkungsgrad von etwa 80 Prozent und reduziert damit die Gew?sserbelastung massiv.
Mit Teamwork realisieren
Um die Schweizer Kl?ranlagen mit der zus?tzlichen Reinigungsstufe aufzurüsten, arbeiten Umweltchemiker, Toxikologinnen und Verfahrenstechniker der Eawag, der ETH und EPFL eng mit Ingenieurbüros und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) zusammen. Die Kantone und die Betreiber der Kl?ranlagen sorgen ihrerseits dafür, dass das investierte Geld einen m?glichst grossen Nutzen für die Trinkwassersicherheit, die Fischerei und die Gew?sser?kologie entfaltet. International gesehen nimmt die Schweiz damit eine Führungsrolle in der Abwassertechnologie ein [4].
Weiterführende Informationen
[1] Bundesamt für Statistik 2016, Gesundheit, Ambulante Dienste, Daten & Indikatoren, Medikamente: externe Seite hier
[2] Schwarzenbach R. P., Escher B., Fenner K., Hofstetter T., Johnson A.C., von Gunten U., Wehrli B. 2006. externe Seite The challenge of micropollutants in aquatic systems. Science 313, 1072-1077
[3] Bafu, 2012. externe Seite Mikroverunreinigungen aus kommunalem Abwasser, Bafu Bern, 210 Seiten
[4] Eggen R.I.L., Hollender J., Joss A., Sch?rrer M., Stamm C. 2014. externe Seite Reducing the discharge of micropollutants in the aquatic environment: the benefits of upgrading wastewater treatment plants. Environmental Science and Technology 48, 7683-7689. DOI: 10.1021/es500907n