Eine grosse Strahlkraft
Die ETH Zürich ist eine attraktive Partnerin für wissenschaftliche Zusammenarbeiten. Das wissen auch Firmen wie Google zu sch?tzen – zum Beispiel bei der Entwicklung eines neuartigen Navigationssystems ohne GPS.
Dass sich Google nicht nur in Kalifornien niedergelassen, sondern auch viel Know-how in Zürich aufgebaut hat, ist für Roland Siegwart kein Zufall. Der ETH-Professor für Autonome Systeme ist begeistert von den vielen jungen Talenten, die am Forschungsplatz Zürich arbeiten, und nicht weniger von den zahlreichen vielversprechenden Spin-offs. ?Wir sind lokal sehr gut aufgestellt?, sagt Siegwart. ?Die Strahlkraft von Zürich ist gross.? Er bezeichnet Zürich sogar als Silicon Valley der Robotik. Dass die Limmatstadt durchaus mithalten kann, zeigt sich auch in den zahlreichen Projekten, bei denen die ETH mit renommierten Hoch- schulen und Industriepartnern der US-Westküste zusammenarbeitet.
Voraussetzung für Siegwart ist bei einer solchen Zusammenarbeit, dass sie offen ist. Sein Team muss den Erkenntnisgewinn auch anderweitig nutzen dürfen. In diesem Punkt stellt Siegwart einen Paradigmenwechsel fest: ?Es findet definitiv eine ?ffnung statt. Die Firmen beginnen zu merken, dass es so schneller geht.? Es profitieren also beide Seiten. Besonders Google pflegt eine sehr offene Zusammenarbeit mit ausgew?hlten Hochschulen. Zurzeit werden drei von Siegwarts Doktoranden von Google bezahlt. Sie arbeiten am Project Tango, bei dem insgesamt 40 Hochschulen und Firmen mit Google zusammenarbeiten. Von der ETH Zürich ist auch der Informatiker Marc Pollefeys mit dabei.
Das Ziel von Project Tango ist es, Ger?te zu entwickeln, die die Umgebung mittels Kamera und zahlreichen Sensoren dreidimensional wahrnehmen und sogar die Navigation in Innenr?umen erm?glichen. Das Ger?t soll unter anderem Hindernisse erkennen oder Distanzen absch?tzen k?nnen. In Siegwarts Team geht es vor allem darum, mithilfe einer Kamera dreidimensionale und zentimetergenaue Pl?ne autonom aufzustellen. So weiss das Ger?t, sei es ein Smartphone oder eine Drohne, wo es sich befindet. Referenzpunkte sind lokale Gegebenheiten. Die Technologie ist im Gegensatz zur GPS-basierten Navigation auch in Innenr?umen anwendbar. Ausserdem geht die Information über die Position des Ger?ts hinaus: Die Orientierung wird durch die Kamerabilder gleich mitgeliefert; es braucht keinen Kompass wie bei der GPS-basierten Navigation.
Tests im Hauptbahnhof
Ein umfangreicher Testlauf im Hauptbahnhof Zürich liegt gerade hinter den ETH-Forschern. Sie haben Bildmaterial von fast 15 Kilometern Strecke mit Google Tango Tablets aufgenommen. Die generierte Datenmenge ist entsprechend riesig. Nun geht es um die Datenreduktion. Nur konstante Merkmale, sogenannte Features, sind hilfreich und von Interesse. Personen und andere sich bewegende Objekte müssen von der Software aus dem Bildmaterial herausgefiltert werden. Ausserdem muss ein bestimmtes Merkmal aus verschiedenen Perspektiven und unter ?ndernden Lichtverh?ltnissen erkennbar sein.
Der n?chste Meilenstein wird die Markteinführung sein. ?Ist die Tango Software einmal zug?nglich, steht der Entwicklung von Apps nichts mehr im Weg?, sagt Siegwart und z?hlt Anwendungsm?glichkeiten auf: ?Touristen k?nnten sich auch im unterirdischen Teil des Hauptbahnhofs orientieren, die Spielindustrie die virtuellen und realen R?umen ihrer Gamer weiter vermischen oder Einrichtungsh?user das Sofa ins Wohnzimmer potenzieller K?ufer projizieren.? Was die Software nach Markteinführung aber genau ausl?sen wird, kann niemand voraussagen. Es wird nicht anders sein als bei anderen neuen Technologien: Der Erfindergeist von App-Entwicklern und die Bedürfnisse der Kunden entscheiden letztlich darüber, welche Dynamik sich entwickelt.