Gibt es endgültige Antworten für unentscheidbare Fragen?
Unl?sbare Probleme, die Natur des Unendlichen und die Frage, ob und wie sich die Mathematik m?glichst endgültig begründen l?sst, stehen im Mittelpunkt der Bernays Lectures 2016. Redner dieser Ehrenvorlesungen der ETH Zürich ist in diesem Jahr William Hugh Woodin, Professor für Philosophie und Mathematik an der Harvard Universit?t.
Ihrem Wesen nach ist die Mathematik eine strenge Wissenschaft, die prinzipiell endgültige und allgemeingültige Wahrheiten sucht und erzeugt. Gleichwohl kennt die Mathematik an ihren ?ussersten R?ndern noch einige R?tsel, die sie nicht eindeutig und widerspruchsfrei l?sen kann. Der Weg, den Mathematikerinnen und Mathematiker zur L?sung einschlagen, ist dabei wesentlich gezeichnet von ihrer Vorstellungskraft und ihrer philosophischen Haltung.
Mit den Paul Bernays Lectures bietet die ETH Zürich jedes Jahr eine Bühne, auf der philosophische Aspekte der exakten Wissenschaften zur Sprache kommen. In diesem Jahr tr?gt der Logiker und Mengentheoretiker Hugh Woodin von der Harvard Universit?t seine Einsichten über unl?sbare Probleme und die Natur des Unendlichen vor.
Als Forscher befasst sich Hugh Woodin mit den Grundlagen der Mathematik und mit der Frage, wie sich die Mathematik als Ganzes logisch aufbauen und begründen l?sst. Da sich alle mathematischen Probleme in der Form von Mengen erfassen und darstellen lassen, gilt die Mengenlehre heute als das logische Fundament der Mathematik.
Verschieden grosse Unendlichkeiten
Wie alle mathematischen Theorien baut die Mengentheorie auf Axiomen auf. Das sind m?glichst einfache und als wahr akzeptierte Grunds?tze, aus denen sich alle weiteren wahren S?tze widerspruchfrei ableiten lassen, und die zusammen ein m?glichst vollst?ndiges und widerspruchsfreies Ganzes (System) bilden sollen.
Für die natürlichen Zahlen (0,1,2,3,4,5,6, usw.) hat sich ein Standardsystem mit dem Namen ZFC durchgesetzt, das auf Ernst Zermelo (1871–1953) und Abraham Fraenkel (1891–1965) zurückgeht und heute neun Axiome umfasst. Das Axiomensystem ZFC ist die Grundlage der Mengenlehre und damit für die Mathematik insgesamt.
Im Mittelpunkt von Hugh Woodins Schaffen steht die Auseinandersetzung mit einem der gr?ssten R?tsel der Mengenlehre: n?mlich mit der so genannten Kontinuumshypothese. Diese Vermutung stellte Georg Cantor (1845–1918), der Begründer der Mengenlehre, als erster im Zusammenhang mit dem Begriff der Unendlichkeit auf.
Er hatte 1878 entdeckt, dass auch Mengen mit unendlich vielen Elementen verschieden gross sein k?nnen. Er bewies zum Beispiel, dass die Menge der reellen Zahlen (z.B. 7, ?51, 106, 5/9, 2.4137, √3, π, etc.), die Richard Dedekind 1858 an der ETH Zürich in die Mathematik eingeführt hatte, ?noch viel unendlicher? ist als die Menge der natürlichen Zahlen. Zugleich vermutete er, dass es zwischen diesen beiden Unendlichkeiten keine weitere Unendlichkeit geben k?nne. Beweisen konnten er seine Vermutung jedoch nicht, und im 20. Jahrhundert versch?rfte sich die Situation sogar noch.
Unl?sbar – weder bewiesen noch widerlegt
Zun?chst bewies Kurt G?del (1906–1978), dass die Kontinuumshypothese mit dem Axiomensystem ZFC konsistent, das heisst widerspruchsfrei, ist. Dann gelang Paul Cohen (1934-2007) der Beweis, dass auch die Negation der Kontinuumshypothese mit ZFC konsistent ist. Das heisst nichts anderes als dass man die Kontinuumshypothese mit den Axiomen der Mengenlehre weder beweisen noch widerlegen kann. Deshalb ist die Kontinuumshypothese unentscheidbar in ZFC und damit ein unl?sbares Problem.
Sowohl G?del als auch Cohen haben Techniken entwickelt, die zur L?sung des Problems führen k?nnten, und Hugh Woodin ist einer derjenigen, die ihr Erbe angetreten haben. Er hat mit beiden Techniken Zwischenerfolge auf dem Weg zu einer endgültigen L?sung erreicht.
Zun?chst arbeitete Hugh Woodin mit Cohens Forcing-Technik, mit der man Modelle der Mengenlehre um bestimmte Grundaussagen erweitern und Mengen mit bestimmten Eigenschaften erzeugen oder ausschliessen kann. Damit versuchte er die ZFC-Axiome zu erweitern und die Kontinuumshypothese zu widerlegen. Mittlerweile arbeitet Woodin aber mit einem Modell, das n?her bei G?dels so genanntem ?konstruktiblen Modell L? ist, in dem die Kontinuumshypothese gilt. Ein Modell für ZFC ist dabei eine Struktur, die alle Axiome von ZFC erfüllt.
Ein richtiges Modell oder viele sch?ne?
Bei der Frage, wie man die ZFC-Axiome erweitern soll, gehen die Ansichten der Mengentheoretiker weit auseinander. Einige folgen Woodin und hoffen mit zus?tzlichen Axiomen schliesslich das ?richtige? Modell der Mengenlehre zu finden. Andere versuchen, mit der Forcing-Methode Axiome zu ZFC hinzuzufügen oder wegzulassen, um so verschiedene mengentheoretische Modelle zu konstruieren.
Mit der Forcing-Methode arbeitet der Logiker und Mengentheoretiker Lorenz Halbeisen. Der Privatdozent der ETH Zürich wird an der Bernays Vorlesung am 14. September 2016 in das Werk von Hugh Woodin einführen. ?Mich fasziniert, wie reichhaltig das Axiomensystem ZFC ist, und welche Modelle der Mengenlehre sich dadurch bilden lassen.?
Anders als Hugh Woodin sucht Lorenz Halbeisen nicht nach dem einen idealen und richtigen Modell der Mengenlehre, ihn reizt mehr, ?wie sich die Mathematik ver?ndert, wenn man ein Axiom dazu oder wegnimmt, und dass man auf diese Weise verschiedene Mengenlehren oder verschiedene Arten der Mathematik erhalten kann.?
Halbeisen r?umt aber ein, dass es für Forschende, die wie Woodin die Mengenlehre als das Fundament der Mathematik begreifen, wenig Sinn ergibt, verschiedenen Modelle der Mathematik zu haben, ?weil das heisst ja auch, dass die gesamte Mathematik bis zu einem gewissen Grad beliebig ist?, sagt Halbeisen, ?wer wie ich jedoch die Mengenlehre als Teilgebiet der Mathematik versteht, für den ist genau das spannend, dass man verschiedene Modelle vergleichen und die Grenzen eines axiomatischen Systems untersuchen kann.?
Paul Bernays Lectures 2016
Prof. W. Hugh Woodin, Harvard University, USA
Vortrag 1:
UNL?SBARE PROBLEME, DIE KONTINUUMSHYPOTHESE, UND DIE NATUR DES UNENDLICHEN
Mittwoch, 14. Sept. 2016, 17:00 Uhr, Auditorium F3, ETH Hauptgeb?ude
Vortrag 2:
UNL?SBARE PROBLEME IN DER ZAHLENTHEORIE ZWEITER STUFE UND DEREN L?SUNGEN
Donnerstag, 15. Sept. 2016, 14:15 Uhr, Auditorium F3, ETH Hauptgeb?ude
Vortrag 3:
JENSEITS DER ZEIT DER UNABH?NGIGKEIT DURCH FORCING
Donnerstag, 15. Sept. 2015, 16:30 Uhr, Auditorium F3, ETH Hauptgeb?ude