Wie Killerzellen Tumoren den Garaus machen

Die Immuntherapie bei Krebs feiert erste Erfolge – bei den ihr zugrundeliegenden Wirkmechanismen gibt es jedoch noch viele Wissenslücken. ETH-Forschende zeigen nun bei M?usen mit Weichteiltumoren, wie k?rpereigene Killerzellen die Tumore anhand von Schl?fer-Viren im Genom aufspüren.

Krebsimmuntherapie unter dem Mikroskop: In der Bildmitte attackieren drei Killerzellen (violett, kleiner) eine Krebszelle (violett, grösser; hier im Bild sind Leukämiezellen). (Bild: Schliemann et al.: Cancer Immunol Res 2015, 3: 547)
Krebsimmuntherapie unter dem Mikroskop: In der Bildmitte attackieren drei Killerzellen (violett, kleiner) eine Krebszelle (violett, gr?sser; hier im Bild sind Leuk?miezellen). (Bild: Schliemann et al.: Cancer Immunol Res 2015, 3: 547)

F8-TNF heisst der vielversprechende Wirkstoff. In die Blutbahn injiziert, lockt er Killerzellen des k?rpereigenen Immunsystems zu Weichteilkrebsgeschwüren (Sarkomen), worauf die Killerzellen den Tumoren den Garaus machen. Forschende der ETH Zürich unter der Leitung von Dario Neri, Professor am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, haben F8-TNF vor vier Jahren entwickelt. In der Zwischenzeit konnten sie zeigen, dass er in Kombination mit einem Chemotherapeutikum in M?usen Sarkome komplett heilen kann. Eine solche Heilung ist mit dem Chemotherapeutikum alleine oder mit anderen Therapieans?tzen nicht m?glich. Ein mit F8-TNF eng verwandter Wirkstoff wird mittlerweile im Rahmen von klinischen Studien bei Menschen getestet.

Das aus zwei Untereinheiten bestehende F8-TNF-Molekül arbeitet ?hnlich wie ein Ladendetektiv: So wie ein Detektiv einen Ladendieb aufspürt und ihn bis zum Eintreffen der Polizei festh?lt, erkennt das Molekül mit seiner F8-Untereinheit Krebszellen. Mit seinem TNF-Teil lockt es Killerzellen (cytotoxische T-Zellen) an. TNF ist ein Botenstoff des Immunsystems.

Ins Genom eingenistet

Vieles zum Wirkmechanismus des Moleküls war bisher jedoch noch unklar. Die Wissenschaftler in Neris Gruppe gingen dem nun auf den Grund. Sie wollten unter anderem herausfinden, wie die zum Tumor gerufenen Killerzellen den Tumor erkennen. Die Killerzellen werden zwar vom Botenstoff TNF alarmiert, dieser dient ihnen jedoch nicht als spezifisches Tumor-Erkennungszeichen.

Die Wissenschaftler entdeckten, dass es Proteine von speziellen Schl?fer-Viren (endogenen Retroviren) sind, die den von F8-TNF auf den Plan gerufenen Killerzellen helfen. Der genetische Bauplan dieser Viren hat sich im Laufe der Evolution ins M?usegenom eingenistet. In vielen Krebszellen werden die Virusproteine zum Leben erweckt – und es sind Bruchstücke solcher Retrovirusproteine auf der Oberfl?che von Tumorzellen, dank welcher die Killerzellen Krebszellen von gesunden K?rperzellen unterscheiden k?nnen.

Immunschutz gegen Krebs

Ausserdem beobachteten die Wissenschaftler, dass M?use, die mit F8-TNF von Sarkomen geheilt worden sind, auch sp?ter noch transplantiertes Gewebe verschiedener Tumorarten abstiessen. ?Die M?use scheinen eine Art Immunschutz gegen Krebs erworben zu haben. Wie sich herausstellte, sind auch für diesen Schutz Killerzellen verantwortlich, welche die verschiedenen Tumorarten anhand der Schl?fer-Viren-Proteine erkennen?, sagt Philipp Probst, Doktorand in Neris Gruppe.

Bei der Krebsimmuntherapie wird das k?rpereigene Immunsystem aktiviert, um Tumore zu bek?mpfen. In der Vergangenheit gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass dabei ver?nderte Proteine an der Oberfl?che von Tumorzellen den Killerzellen als Erkennungszeichen und Angriffspunkt dienen. Denn Tumore sind entartetes K?rpergewebe; sie entstehen als Folge von bestimmten Genmutationen in einer Vorl?uferzelle, was Proteinver?nderungen zur Folge haben kann. ?In einigen F?llen k?nnen mutierte Proteine durchaus das Unterscheidungskriterium sein?, sagt Neri. ?In unserer Arbeit best?tigen wir jedoch, dass Killerzellen auch andere Unterscheidungskriterien nutzen k?nnen, n?mlich das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Retrovirus-Proteinen.?

Hilfreich für das Verst?ndnis

?Wir k?nnen jetzt nicht nur Sarkome in M?usen heilen, sondern kennen auch den dieser Therapie zugrundeliegende Mechanismus?, sagt Probst. Bei dem noch neuen Feld der Krebsimmuntherapie sei es wichtig, deren zugrundeliegenden die Mechanismen zu verstehen. Dies auch, um voraussagen zu k?nnen, bei welchen Patienten welche Therapie am meisten Erfolg verspreche.

Ob die gemachte Beobachtung bei M?usen auch auf Menschen zutrifft, wird man in weiterer Forschungsarbeit herausfinden müssen. Auch das Genom des Menschen ist voll von Gensequenzen schlummernder Viren. Auf jeden Fall kann das Wissen helfen, die Ergebnisse von klinischen Studien zu interpretieren. Für den mit F8-TNF verwandten Wirkstoff L19-TNF werden in Deutschland bald klinische Studien der dritten und letzten Phase beim Menschen beginnen, in den USA werden Antr?ge auf solche Studien derzeit von den Beh?rden geprüft.

Krebsimmuntherapie vor hundert Jahren

Bereits vor mehr als hundert Jahren beobachtete der New Yorker Arzt William Coley, dass einzelne Sarkom-Patienten spontan wieder gesundeten. Dies waren allesamt Patienten, die nicht nur an Krebs, sondern zus?tzlich an einer bakteriellen Infektion litten. Coley versuchte, seine Beobachtung in einen Therapieansatz umzumünzen, und er begann, Sarkoma-Patienten einen Cocktail hitzeinaktivierter Bakterien zu injizieren. Er hatte damit Erfolg, und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war ?Coley’s toxin? für Sarkom-Patienten die Therapie der Wahl. Sp?ter wurde es von der Strahlentherapie und der aufkommenden Chemotherapie etwas verdr?ngt, ?Coley’s toxin? wurde jedoch noch bis 1990 in Deutschland hergestellt.

Zu Coleys Zeiten reichte das Wissen noch nicht aus, den Wirkmechanismus seines Cocktails zu verstehen. Aus heutiger Sicht muss man vermuten, dass die inaktivierten Bakterien im K?rper der Patienten eine Immunantwort und damit die Bildung des Botenstoffs TNF ausl?sten. Dieser Botenstoff wiederum dürfte Killerzellen aktiviert haben, welche den Tumor bek?mpften.

Literaturhinweis

Probst P, Kopp J, Oxenius A, Colombo MP, Ritz D, Fugmann T, Neri D: Sarcoma eradication by doxorubicin and targeted TNF relies upon CD8+ T cell recognition of a retroviral antigen. Cancer Research, 8. Mai 2017, doi: externe Seite 10.1158/0008-5472.can-16-2946

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