Aus Fasern werden Kristalle
Ein internationales Team von Forschern entdeckte eine neue Form der Proteinfaltung: Amyloid-Kristalle, die aus Amyloid-Fibrillen hervorgehen. Die Kristalle sind noch stabiler als die Fibrillen, die beim Menschen als Ausl?ser von schweren neurodegenerativen Erkrankungen gelten.
Amyloid-Fibrillen haben traurige Berühmtheit erlangt wegen ihrer Rolle, die sie bei schweren Nervenkrankheiten des Menschen wie der Parkinson-Krankheit oder der Alzheimer-Demenz spielen. Als einer der Ausl?ser für letztere gelten etwa falsch gefaltete Tau- und Amyloid-Beta-Vorl?uferproteinen, die sich zusammenlagern. Dadurch bilden sich feinste Fasern, die sich im Gehirn anreichern. Fachleute nennen solche Fasern Amyloid-Fibrillen.
Raffaele Mezzenga, Professor für Lebensmittel und weiche Materialien an der ETH Zürich, besch?ftigt sich schon lange mit Amyloid-Fibrillen, die er im Labor aus einer Komponente des Molkeproteins, dem essbaren Beta-Lactoglobulin, erzeugt. Dazu kocht er dieses in S?ure, damit seine ursprüngliche Struktur zerf?llt; es ?denaturiert? und wird f?dig. Mehrere Einzelf?den lagern sich zusammen und verdrehen sich spiralig – fertig sind die Amyloid-Fibrillen aus Beta-Lactoglobulin. Neben ihrer Struktur haben sie auch ihre ursprüngliche Funktionalit?t eingebüsst. Als Fibrille lassen sich die Beta-Lactoglobuline jedoch wieder mit neuen Funktionen ausstatten, was Gegenstand intensiver Forschung in Mezzengas Labor ist.
Aus Amyloiden k?nnen Kristalle werden
Nun entdeckte ein internationales Forschungsteam unter Mezzengas Leitung anhand von Amyloid-Fibrillen aus Fragmenten von tierischen, menschlichen und krankheitsrelevanten Proteinen etwas sehr Grundlegendes: Die F?serchen k?nnen sich unter bestimmten Umst?nden in eine kaum bekannte Proteinstruktur umwandeln, und zwar in einen Amyloid-Kristall. Diese Entdeckung wurde soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Communications ver?ffentlicht. Dazu beschrieben die Forscher zum ersten Mal den physikalischen Mechanismus dieser Transformation.
Dabei dreht sich die Fibrille auf, sodass gestreckte streichholz?hnliche Amyloid-Kristalle entstehen. Um diese Form anzunehmen, muss das Protein weder entfaltet noch neu gefaltet werden. Es verliert bei diesem Vorgang lediglich (Torsions-)Energie, die in den gedrehten Fibrillen steckt.
Bisher beobachteten Wissenschaftler dieses Ph?nomen nur im Reagenzglas. Der ihm zugrundeliegende Mechanismus war ihnen jedoch unbekannt. In lebenden Zellen wurden solche Amyloid-Kristalle allerdings noch nie gefunden.
Deswegen ist es für Mezzenga und sein Team schwierig abzusehen, welche Konsequenzen ihr Befund in Bezug auf Amyloid-verursachte Krankheiten haben wird. Er ist sich jedoch sicher, dass ihre Ergebnisse bei der Proteinfaltung und Entstehung von Amyloid-Fibrillen bedeutend sind. ?Unsere Resultate werfen ein neues Licht auf die Selbstorganisation von Proteinen, die zur Amyloid-Bildung neigen, und auf die stabilste Form von Proteinen im Allgemeinen.?
Auch Mitautor Nick Reynolds von der Swinburne University of Technology, ist überzeugt, dass diese Arbeit das Verst?ndnis der Mechanismen, durch die sich die Amyloidproteine in neurodegenerativen Erkrankungen auffalten, verbessern wird. ?Dies k?nnte neue Wege aufzeigen, um diesen gesellschaftlich hochproblematischen Erkrankungen früh zu erkennen und zu behandeln?, sagt Reynolds.
Stabilste Proteinform
Die Kristalle dürften, wenn sie denn einmal entstanden sind, die stabilste m?gliche Form eines Proteins darstellen. Dies hat damit zu tun, dass sie ein sehr tiefes Niveau an ?innerer Energie? aufweisen. Die Amyloid-Kristalle liegen in der Energielandschaft verschiedener Proteinformen im tiefsten denkbaren Tal, tiefer noch als Amyloid-Fibrillen, die bisher als energie?rmste und stabilste Proteinform galten.
Die Forscher haben statistisch und experimentell bestimmt, dass beim ?bergang von einer Amyloid-Fibrille in einen Amyloid-Kristall Energie frei wird. ?Aufgrund unserer Entdeckung muss nun die Energielandschaft der Proteinfaltung überarbeitet werden?, sagt Mezzenga.
In natura selten
Dennoch sei die Situation aus Sicht der statistischen Physik paradox, erkl?rt er weiter. ?Wenn der Amyloid-Kristall dem tiefst m?glichen Energiezustand einer Proteinform entspricht, müssten die meisten Proteine früher oder sp?ter in diese Struktur übergehen?. Dies aufgrund eines Prinzips der statistischen Thermodynamik, das besagt, dass in einem System mit vielen Freiheitsgraden derjenige der tiefstm?glichen Energie (dem Chaos) am h?ufigsten sein sollte. Dies gilt auch für Proteine. ?Daher erstaunt es, dass man in natürlichen Systemen wie Zellen solche Amyloid-Kristalle noch nie nachweisen konnte?, erkl?rt Mezzenga.
Er erkl?rt sich dies damit, dass es in Zellen spezielle Proteine (Chaperone) gibt, welche anderen Proteinen bei der korrekten Faltung helfen. Das ist ein energieaufwendiger Prozess. Im Reagenzglas, wo die Forscher aus Fibrillen direkt Amyloid-Kristalle erzeugen konnten, fehlten die Chaperones. ?Proteinfaltung in lebenden Systemen ist eben sehr viel komplexer als im Reagenzglas?, sagt der ETH-Professor.
Die Grundlagen der Amyloid-Fibrillen sind nach wie vor schlecht verstanden und teilweise umstritten. Mezzenga hofft, mit seinem Beitrag einen wichtigen Schritt hin zu einem besseren Verst?ndnis dafür, wie sich Proteine, die zur Amyloid-Bildung neigen, verhalten.
Literaturhinweis
Reynolds NP, Adamcik J, Berryman JT, Handshin S, Hakami Zanjani AA, Li W, Liu K, Zhang A, Mezzenga R. Competition between crystal and fibril formation in molecular mutations of amyloidogenic peptides. Nature Communications, published online 7th Nov 2017. externe Seite doi:10.1038/s41467-017-01424-4