Dezentrale Energiesysteme: Technik bereit – Akzeptanz offen

Thermale Solaranlagen w?rmen das Duschwasser und den Fussboden, der Aufzug f?hrt mit Sonnen- und Windenergie, und was heute an Strom nicht verbraucht wird, ist f¨¹r morgen in Batterien gespeichert oder f¨¹r n?chsten Monat in Form von Gas verf¨¹gbar. Und wenn die eigenen Energiereserven einmal nicht reichen, hilft die Batterie von Nachbars Elektroauto aus.

Das Szenario ist keine Utopie: Dezentrale Multi-Energiesysteme oder Energy-Hubs funktionieren in einzelnen Geb?uden ¨C etwa in Ein-/Mehrfamilienh?usern oder im Forschungsgeb?ude NEST [1] der Empa und Eawag in D¨¹bendorf ¨C, oder in ganzen Stadtquartieren. Einen grossen Verbund betreibt beispielsweise die Regio Energie in Solothurn, und auch das Elektrizit?tswerk der Stadt Z¨¹rich (EWZ) testet verschiedene Konzepte. Mit dem energieautarken Mehrfamilienhaus in Br¨¹tten existiert seit 2016 ein solcher Energy-Hub bereits g?nzlich entkoppelt von Strom- und Gasnetz, die wohl extremste Auspr?gung. [2]

Dezentrale Multi-Energiesysteme werden an der ETH seit einigen Jahren erforscht. [3] Das Prinzip: Energieverbrauch und Energieerzeugung r¨¹cken r?umlich n?her zusammen, nutzen Synergien und werden effizienter.

H2 und Batterien speichern Sonnenenergie

Die f¨¹r Energy-Hubs notwendigen Energietechnologien sind heute kommerziell verf¨¹gbar, preislich interessant und technisch effektiv. Strom aus Solarpanels oder anderen Quellen kann mit Elektrolyseuren in Wasserstoff umgewandelt und in Tanks oder im Gasnetz gespeichert werden. Brennstoffzellen machen daraus sp?ter wieder Strom und W?rme. Etwa wenn der Bedarf besonders hoch ist oder die Sonne nicht scheint. Kurzfristige Schwankungen gleichen Batterien aus. Aus technischer Sicht bleibt die Herausforderung, einen Energieverbund optimal zu regeln. Die Steuerungstechnik dazu wird auch an der ETH entwickelt. [4]

Mein Strom ist auch dein Strom

F¨¹r die Energieversorgung der Zukunft k?nnen Energy-Hubs eine wichtige Rolle spielen. Noch muss das Konzept aber gesellschaftliche und wirtschaftliche H¨¹rden nehmen. Etwa jene der Privatsph?re: Wird ein Haus Teil eines Netzwerkes in der Nachbarschaft, geben die Konsumenten einen Teil der Kontrolle aus der Hand.

W?ren Sie bereit dazu, dass die Regelungstechnik beispielsweise den Gefrierschrank kurzzeitig ausschaltet, den Ladezeitpunkt Ihres Elektroautos bestimmt oder im Winter die Temperatur zwischen 20 und 24 Grad automatisch regelt? Fragen stellen sich zudem zur Sicherheit der Anlagen, zur Verl?sslichkeit der Energieversorgung und zum Schutz der verwendeten Daten ¨¹ber den individuellen Energieverbrauch, die zur Regelung der Anlagen notwendigerweise verf¨¹gbar sein m¨¹ssen.

Wer macht den ersten Schritt?

Der dezentralen Energieversorgung fehlt zudem ein ?konomisch lohnendes Konzept. Die potenziellen Nutzer, also Hauseigent¨¹mer und Mieter, halten Energy-Hubs zwar grunds?tzlich f¨¹r sinnvoll. Das zeigen Umfragen im Rahmen unserer Forschung. Dass die Nutzer den ersten Schritt machen und sich aus Eigeninitiative an Hubs beteiligen, d¨¹rfte aktuell nur f¨¹r eine Minderheit in Betracht kommen. Denn die Investitionen sind hoch und die Regelung von Hubs ist komplex. Die Hauseigent¨¹mer und Mieter sehen den Bund und die Energieversorger verantwortlich.

Dezentrale Energiesysteme werden oft in Verbindung gebracht mit Graswurzel-Initiativen wie Energiegemeinden oder autarken D?rfern. [5] Ein Pilot-Projekt, bei dem die breite Bev?lkerung einbezogen wird, fehlt aber bislang. Einen spannenden Ansatz verfolgen Energiegenossenschaften, zum Beispiel eine ?Stromallmend?, der sich dezentrale Produzenten und Konsumenten anschliessen k?nnen. [6]

Transformation eines hochkomplexen Systems

Multi-Energiesysteme sind also keine Utopie ¨C und trotzdem wird es dauern, bis sie in der Realit?t ankommt. Die aktuellen Knackpunkte liegen in der Finanzierung, der Vernetzung mit anderen Haushalten, der Implementierung in alte Bausubstanz, beim Datenschutz und der Steuerung. Es geht eben um mehr als eine neue Technologie. Eine dezentrale Energieversorgung bedingt die Transformation eines ganzen Energiesystems mit all seinen gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen.