Wetteranomalien verstärken Meereisschwund

ETH-Forschende zeigen auf, weshalb vor zwei Jahren das Meereis in der Arktis mitten im Winter zu schmelzen begann. Und dass der verst?rkte sommerliche Eisschwund mit wiederkehrenden Sch?nwetterperioden zu tun hat.

Vergr?sserte Ansicht: Schmilzt Meereis, bilden sich auf seiner Oberfläche charakteristische Tümpel. (Bild: NASA Goddard Space Flight Center, CC BY 2.0)
Schmilzt Meereis, bilden sich auf seiner Oberfl?che charakteristische Tümpel. (Bild: NASA Goddard Space Flight Center, CC BY 2.0)

Im Winter 2015/16 geschah etwas, das es zuvor in diesem Ausmass nicht gab: In Teilen der Arktis kletterten Ende Dezember die Temperaturen w?hrend mehrerer Tage über Null Grad Celsius. N?rdlich von Spitzbergen wurden bis zu acht Grad gemessen. Im Winterhalbjahr wurden dort seit Beginn systematischer Messungen Ende der 1970er Jahre noch nie derart hohe Temperaturen registriert. Wegen dieser ungew?hnlichen W?rme begann das Meereis abzuschmelzen.

?Wir haben von diesem Ereignis aus den Medien erfahren?, sagt Heini Wernli, Professor für Atmosph?rendynamik an der ETH Zürich. Dies habe seine wissenschaftliche Neugier geweckt und ein Team unter der Leitung seiner damaligen Doktorandin Hanin Binder nahm sich der Sache an. Im November 2017 ver?ffentlichten sie in der Fachzeitschrift externe Seite Geophysical Research Letters nun ihre Analyse dieses Ausnahmeereignisses.

Vergr?sserte Ansicht: Warmluftautobahn in die Arktis. (Grafik: Sandro Bösch / ETH Zürich)
Warmluftautobahn in die Arktis. (Grafik: Sandro B?sch / ETH Zürich)

Darin zeigen die Forschenden auf, wie es zu dieser aussergew?hnlichen W?rme kam: drei verschiedene Luftstr?mungen, die über der Nordsee zwischen Schottland und Südnorwegen zusammentrafen, führten wie auf einer Autobahn warme Luft mit hoher Geschwindigkeit nach Norden. (s. Abbildung)

Der eine Luftstrom hatte seinen Ursprung in der Sahara und führte bodennahe Warmluft mit sich. Zu Beginn war diese Luft rund 20 Grad warm. Auf dem Weg in die Arktis habe sie sich zwar abgekühlt, war aber am Ende noch immer über Null Grad. ?Es kommt nur sehr selten vor, dass warme Subtropenluft bodennah bis in die Arktis transportiert wird?, sagt Binder.

Der zweite Luftstrom – und das erstaunte auch die Experten – stammte aus der Arktis selbst. Die Luft war zu Beginn sehr kalt. Diese ebenfalls bodennahen Luftmassen bewegten sich jedoch in einem weiten Bogen nach Süden und wurden über dem Atlantik durch W?rmezufuhr aus dem Ozean stark aufgew?rmt, ehe sie sich mit dem subtropischen Luftstrom vereinten.

Die dritte Komponente des Warmluftstroms waren kalte Luftmassen aus der oberen Troposph?re, also von über 5 Kilometern H?he. Diese wurden von Westen nach Osten geführt und sanken in einem station?ren Hochdruckgebiet über Skandinavien ab. Dabei erw?rmte sich die zu Beginn sehr kalte Luft (durch Kompression), ehe auch diese in den ?Highway to the Arctic? einbog.

Grosswetterlagen begünstigen Warmlufttransport

M?glich wurde diese Autobahn der Luftstr?me durch eine spezielle Konstellation der Drucksysteme über Nordeuropa. Einerseits hatten sich in der Zeit über Island sehr starke Tiefdruckgebiete gebildet, über Skandinavien hingegen gleichzeitig ein extrem stabiles Hochdruckgebiet. Dadurch stellte sich über der Nordsee zwischen Schottland und Südnorwegen eine Art Trichter ein, durch welchen die verschiedenen Str?mungen kanalisiert und über das offene Meer in die Arktis geführt wurden.

Dieser Zustrom dauerte rund eine Woche. Danach zerfielen die Drucksysteme und die Arktis versank wieder in der Winterstarre. Dennoch hatte dieses Ereignis gereicht, um die Dicke des Meereises in Teilen der Arktis um 30 Zentimeter zu verringern, und dies in einer Zeit, in der das Eis normalerweise w?chst und dicker wird.

?Diese Wetterbedingungen und ihre Auswirkungen auf das Meereis waren wirklich sehr aussergew?hnlich?, sagt Binder. Einen direkten Zusammenhang mit der Klimaerw?rmung konnten die Forschenden nicht herstellen. ?Wir haben nur dieses Einzelereignis analysiert, die langfristige Klimakomponente haben wir nicht untersucht?, betont die Forscherin.

Vergr?sserte Ansicht: Das arktische Meereis am 26. August 2012: Noch nie seit Beginn der Satellitenüberwachung war die Ausdehnung des Eises so gering wie am genannten Datum. (Bild: NASA Goddard Space Flight Center)
Das arktische Meereis am 26. August 2012: Noch nie seit Beginn der Satellitenüberwachung war die Ausdehnung des Eises so gering wie am genannten Datum. (Bild: NASA Goddard Space Flight Center)

Hochdrucksysteme lassen Meereis schwinden

Anders sieht es hingegen aus beim Abschmelzen des arktischen Meereises im Sommer. Der langj?hrige Trend ist klar: Seit Ende der 1970er Jahre schrumpfen die minimale Ausdehnung und Dicke des Meereises im Hochsommer kontinuierlich. ?berm?ssig stark abgeschmolzen ist das Meereis in den Jahren 2007 und 2012, was die Klimaforschung bislang nicht vollst?ndig erkl?ren konnte. Heini Wernli und Lukas Papritz von der Universit?t Bergen sind deshalb den Ursachen dieser ?Ausreisser? auf den Grund gegangen. Die Studie ist soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Geoscience erschienen.

Gem?ss ihrer Untersuchung liegt die Ursache für die starke Schmelze in den genannten Jahren bei stabilen Hochdruckgebieten, die sich in den Sommermonaten wiederholt aufgebaut hatten. W?hrend diesen wolkenlosen Wetterlagen verst?rkte insbesondere die hohe Sonneneinstrahlung – die Sonne scheint in dieser Zeit 24 Stunden am Tag – das Abschmelzen des Meereises.

Luftmassen in die Arktis geschleudert

Gebildet wurden diese Hochdruckgebiete durch den Zustrom von Luft aus den gem?ssigten Breiten. Tiefdruckgebiete zum Beispiel über dem Nordatlantik und dem Nordpazifik ?schleuderten? diese Luftmassen in rund acht Kilometern H?he in die Arktis. Dadurch hob sich die Tropopause, die Grenzschicht zwischen Troposph?re und der Stratosph?re, lokal an. Darunter stieg in der Folge der Luftdruck und ein Hochdruckgebiet konnte sich etablieren. Nach rund zehn Tagen hatte es sich bereits wieder abgebaut. In dieser Zeit schmolz allerdings ungew?hnlich viel Meereis ab und das verbleibende wurde dünner.

Die Untersuchung der Klimawissenschaftler zeigt: In den Sommern 2007 und 2012, in denen solche Hochdrucksituationen besonders h?ufig aufgetreten sind, ist jeder dritte Sommertag wolkenlos. Die starke Einstrahlung verst?rkt und beschleunigt das Abschmelzen des Meereises. ?Es ist vor allem die hohe Einstrahlung, die im Sommer das Eis zum Schmelzen bringt. Denn die in der H?he einstr?mende Luft aus Süden ist – anders als bei der winterlichen W?rmeanomalie – nicht warm, sondern mit minus 60 Grad eisig kalt?, sagt Wernli. ?Die Lufttemperatur hat deshalb auf das Abschmelzen kaum einen Einfluss.?. Zus?tzlich verringert der Import feucht-warmer Luftmassen am Rande der Hochdruckgebiete die (W?rme-)Abstrahlung, was das Abschmelzen des Eises weiter verst?rkt.

Dank ihrer Analyse haben die Forscher erstmals verstanden, wie die grosse Variabilit?t bei der sommerlichen Eisschmelze zustande kommt. ?Unsere Resultate unterstreichen die grundlegende Rolle, welche das Wettergeschehen in den gem?ssigten Breiten für Episoden besonders starker Meereisschmelze in der Arktis spielt?, sagt der ETH-Professor.

Literaturhinweis

Binder H, Boettcher M, Grams CM, Joos H, Pfahl S, Wernli H. Exceptional air mass transport and dynamical drivers of an extreme wintertime Arctic warm event. Geophysical Research Letters (2017), 44, 12,028–12,036. externe Seite doi:10.1002/2017GL075841

Wernli H, Papritz L. Role of polar anticyclones and mid-latitude cyclones for Arctic summertime sea-ice melting. Nature Geoscience, published online 15th January 2018. doi: externe Seite 10.1038/s41561-017-0041-0

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