Mehr Migration durch Klimawandel?
Wird der Klimawandel, wie oft behauptet, tats?chlich eine grosse V?lkerwanderung ausl?sen? Wird es prim?r aus armen in reiche L?nder gehen? Vally Koubi und Thomas Bernauer ordnen ein.
Die Erderw?rmung wirkt sich zunehmend negativ auf Menschheit und ?kosysteme aus. W?hrend sich Wissenschaftler über die meisten dieser Folgen1 einig sind, gehen die Meinungen darüber, wie der Klimawandel das menschliche Migrationsverhalten beeinflusst, weit auseinander. Verschiedene führende Politiker, internationale Organisationen und Wissenschaftler behaupten, der Klimawandel werde international zu grossen Migrationsstr?men führen, haupts?chlich aus den armen in die reichen L?nder.
Flüchtlingsstr?me nach Europa?
In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Science2 ver?ffentlichten Artikel, dem wir klar widersprechen,3 wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die Zahl der Asylsuchenden in der Europ?ischen Union bis Ende dieses Jahrhunderts aufgrund des Klimawandels um fast 200 Prozent ansteigen k?nnte. Zudem wird auch in einigen anderen Studien behauptet, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten Millionen Menschen zwingen werde, ihre Heimat zu verlassen. Der (ins Deutsche übersetzte) Titel eines Artikels im Guardian spiegelt diese Erwartung wider: ?Der Klimawandel ?wird die weltgr?sste Flüchtlingskrise hervorrufen??.4
Falscher Fokus
Unsere eigene Forschung deutet jedoch darauf hin, dass solche Prognosen – ?hnlich wie frühere Vorhersagen, der Klimawandel werde Kriege ausl?sen5 – ?usserst spekulativ und nicht ausreichend durch solide Daten untermauert sind.6 Ein wichtiger Grund für unsere grosse Skepsis gegenüber solchen Prognosen ist, dass diese meist auf Menschen fokussiert sind, die vermutlich zunehmenden Klimarisiken ausgesetzt sind, anstatt auf Menschen, die sich tats?chlich überlegen, ob sie auswandern wollen. Zudem lassen solche Prognosen h?ufig das Anpassungspotenzial und unterschiedliche Grade von Schadensanf?lligkeit der betroffenen Menschen ausser Acht, obwohl es sich gerade hierbei um zentrale Faktoren bei Migrationsentscheiden handelt.
In zwei kürzlich erschienen Artikeln in World Development7 und Population and Environment8 beleuchten wir den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration. Unsere Studien basieren auf systematischen Befragungen von rund 4000 M?nnern und Frauen in Gebieten von Kambodscha, Nicaragua, Peru, Uganda und Vietnam, die starke Umwelt- bzw. Klimaver?nderungen aufweisen.
Wir untersuchten, wie diese Menschen Klimaver?nderungen und deren Auswirkungen auf ihre Lebensbedingungen wahrnehmen, und ob sie sich entscheiden, auszuwandern oder zu bleiben, wo sie leben. Im Gegensatz zu praktisch allen früheren Studien liefern unsere Daten Informationen sowohl zu Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, als auch zu solchen, die trotz klimatischer Ver?nderungen geblieben sind. Diese Unterscheidung ist wichtig, da die potenziellen Gründe für eine durch den Klimawandel bedingte Migration nur dann bestimmt werden k?nnen, wenn Migranten und Nichtmigranten verglichen werden.
Migrationsmotive beurteilen
In unseren Studien unterscheiden wir zwei Arten von Klimawandel-bedingten Ereignissen: 1) solche, die pl?tzlich auftreten und von kurzer Dauer sind wie Stürme und ?berschwemmungen; und 2) solche, die sich langsam entwickeln wie Dürren oder die zunehmende Versalzung von Wasser und B?den. Im ersten Fall haben die Menschen unserer Erfahrung nach oft keine andere Wahl als umzuziehen, was aber meist innerhalb des Heimatlandes erfolgt und somit weit entfernte L?nder nicht betrifft. Bei den sich langsam abzeichnenden klimatischen Ver?nderungen und ihren Auswirkungen ist es hingegen wahrscheinlicher, dass die Betroffenen bleiben und versuchen, sich an die ver?nderten Bedingungen anzupassen.
?Besteht die M?glichkeit, sich irgendwie an den Klimawandel anzupassen, bleiben betroffene Menschen eher und wandern nicht aus.?Thomas Bernauer und Vally Koubi
Ein Wegzug, insbesondere in ein fremdes Land, ist für die allermeisten Menschen zu teuer und zu aufw?ndig. Zudem fühlen sich die meisten Menschen wirtschaftlich, sozial und kulturell mit ihrer Heimat verbunden. Besteht also die M?glichkeit, sich irgendwie an den Klimawandel anzupassen, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass betroffene Menschen bleiben und nicht auswandern.
Tats?chlich zeigt unsere Analyse, dass Klimaver?nderungen oft nicht zum Wegzug von Menschen führen. Dies auch, obwohl manche Betroffene nur deshalb bleiben, weil sie aufgrund gescheiterter Anpassungsbemühungen und fehlender Mittel nicht wegziehen k?nnen, auch wenn sie eigentlich wollten.
Hilfe zur Anpassung n?tig
Nicht hinreichend fundierte Studien, in denen behauptet wird, der Klimawandel würde Millionen von Menschen zum Auswandern zwingen, sind sowohl wissenschaftlich als auch politisch fragwürdig. Solche Studien lenken von der Tatsache ab, dass die überwiegende Zahl der vom Klimawandel betroffenen Menschen, vor allem auch solche in armen L?ndern, es vorzieht, in ihrer Heimat zu bleiben.
Dies bedeutet, dass deutlich mehr internationale Unterstützung für Entwicklungsl?nder zur Anpassung an den Klimawandel notwendig sein wird. Nicht deshalb, weil die betroffenen Menschen sonst als Flüchtlinge in reichen Industriel?ndern auftauchen würden, sondern um das Leid jener zu lindern, die am st?rksten unter den sich wandelnden Klimabedingungen leiden.
Referenzen
1 Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability; externe Seite IPCC AR5 WG2 (auf Englisch)
2 Asylum applications respond to temperature fluctuations: externe Seite Artikel in Science
3 externe Seite Artikel in Der Spiegel
4 externe Seite Artikel im Guardian (auf Englisch)
5 Hsiang, S.M. und M. Burke (2014) Climate, conflict, and social stability: what does the evidence say? Clim Change 123:39–55. doi: externe Seite 10.1007/S10584-013-0868-3 (auf Englisch)
6 One effect to rule them all? A comment on climate and conflict. externe Seite Springer (auf Englisch)
7 Environmental Stressors and Migration: Evidence from Vietnam. externe Seite World Development (auf Englisch)
8 The role of environmental perceptions in migration decision-making: externe Seite Population and Environment (auf Englisch)