Digitale Arbeitswelt: Vieles anders und doch gleich?
Die technologischen M?glichkeiten werden von Schweizer Unternehmen weniger genutzt und ihre Arbeitsformen sind traditioneller als allgemeinhin angenommen, erkl?rt Gudela Grote.
Airbnb, Uber und Bitcoins beruhen auf Gesch?ftsmodellen, welche die traditionellen Dienstleistungsunternehmen das Fürchten lehren. 3D-Druck und batteriebetrie?bene Autos bringen die klassische Fertigungsindustrie durcheinander. Zudem werden immer mehr Arbeitsprozesse automatisiert und auf lange Sicht ganze Berufsfelder überflüssig. Entsprechend ist die Verunsicherung gross, auf den Chefetagen wie auch beim einzelnen Besch?ftigten.
Wo stehen wir aber tats?chlich in dieser Entwicklung? Wieviel Ver?nderung ist schon passiert und was muss noch passieren, damit die Schweizer Wirtschaft die M?glichkeiten der Digitalisierung aussch?pfen und den von der OECD kürzlich diagnostizierten Produktivit?ts?verlust auffangen kann? Welche Folgen ergeben sich daraus für Entscheidungs?tr?ger und Arbeitsnehmende?
In der Schweiz sind neuste Technologien noch wenig genutzt
In der ersten repr?sentativen Erhebung zur Digitalisierung bei Unternehmen in der Schweiz (vgl. Kasten) zeigt sich, dass die neusten technologischen M?glichkeiten wie z.B. das ?Internet of Things“ noch wenig genutzt werden und die Investitionen in die Digitalisierung, gemessen an den gesamten Bruttoinvestitionen, mit einem Anteil von 22% in den Jahren 2003 bis 2005 und 16% 2013 bis 2015 sogar rückl?ufig sind. Auch die Arbeitsformen sind eher traditionell: 70% der befragten Unternehmen melden, dass sie kein mobiles Arbeiten erm?glichen und 52% erlauben kein Arbeiten im Home Office. Selbst Arbeit im Team gibt es in 27% der Unternehmen nicht und Entscheidungen werden in mehr als 80% der Unternehmen gr?sstenteils nicht an die Mitarbeitenden delegiert.
?Die meisten Menschen ben?tigen ein rechtes Mass an Stabilit?t, um kreativ sein zu k?nnen.?Gudela Grote
Innerbetriebliche Ziele statt Marktvorteil
Doch nicht überall zeigt sich das gleiche Bild: Vor allem Grossunternehmen im modernen Dienstleistungssektor und in der Hightech-Industrie sind fortschrittlicher, was digitale Technologien angeht. Diese Unternehmen nutzen auch h?ufiger agile Formen der Arbeitsorganisation mit flacheren Hierarchien, mobil-flexiblem Arbeiten und dezentralen Entscheidungskompetenzen. Aber auch diese Unternehmen verfolgen mit der Digitalisierung vor allem eng gefasste innerbetriebliche und effizienz?orientierte Ziele statt – wie man vermuten k?nnte – eine bessere Positionierung im Markt. Die gesetzten Ziele werden zudem meistens nur teilweise erreicht. Das gr?sste genannte Hindernis: Die ben?tigten beruflichen Kompetenzen sind nicht verfügbar.
Viel L?rm um wieviel?
Die Schweizer Wirtschaft ist grunds?tzlich durch hohe Stabilit?t gekennzeichnet, der Besch?ftigungsgrad ist so hoch wie lange nicht mehr. Ist also alle Aufregung um die Digitalisierung viel L?rm um nichts? Nicht ganz, denn schon jetzt zeichnen sich Diskrepanzen zwischen den ben?tigten und den im Schweizer Bildungssystem bereitgestellten fachlichen Kompetenzen ab. Statt nur auf gr?ssere Effizienz des Bestehenden bedacht zu sein, ist grosse Wachsamkeit n?tig, um Innovationsschübe weltweit m?glichst früh zu erkennen. In einer schnelleren, digitalisierten Welt wird es auch immer wichtiger, nicht nur auf Innovation anderer Unternehmen zu reagieren, sondern durch eigene Innovation die anderen unter Zugzwang zu setzen.
Dabei ist zu bedenken, dass die meisten Menschen ein rechtes Mass an Stabilit?t ben?tigen, um kreativ sein zu k?nnen. Statt Mitarbeitende durch vage Ankündigungen grosser Ver?nderungen bange zu machen, gilt es, sie aktiv an der Gestaltung des digitalen Wandels zu beteiligen.
Gudela Grote hat diesen Beitrag zusammen mit Nadine Bienefeld verfasst. Er erscheint ebenfalls in der NZZ.
Zur Studie
Die Digitalisierungsstudie wurde im Herbst 2016 von der Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie (ETH Zürich, MTEC) zusammen mit der KOF Konjunkturforschungsstelle (ETH Zürich) und der Hochschule für Angewandte Psychologie (FHNW) durchgeführt. An der repr?sentativen Befragung nahmen 1183 Unternehmen in der Schweiz mit mehr als 20 Besch?ftigen teil (Rücklaufquote 30.1%). Die Umfrage basiert auf dem KOF-Unternehmenspanel, einer nach 34 Branchen und – innerhalb der einzelnen Branchen – nach drei Gr?ssenklassen disproportional geschichteten und gewichteten Stichprobe der Sektoren Industrie, Baugewerbe und kommerzielle Dienstleistungen, wobei die grossen Unternehmen vollst?ndig erfasst sind.