«Ohne Vertrauen geht es nicht»
Warum in der personalisierten Medizin ein sorgf?ltiger, fairer und transparenter Umgang mit pers?nlichen Daten essenziell ist, erkl?rt Effy Vayena, Professorin für Bioethik.
ETH-News: Die Schweiz m?chte in den n?chsten vier Jahren eine nationale Dateninfrastruktur für die personalisierte Medizin aufbauen. Sind wir dafür bereit?
Effy Vayena: Ich würde sagen, wir bereiten uns darauf vor. In dieser Phase müssen wir Systeme aufbauen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten von Patienten und Gesunden erm?glichen. Dabei müssen technologische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Fragen diskutiert werden.
Wie erleben Sie die ?ffentliche Debatte zu diesen Fragen?
Ich nehme in der ?ffentlichkeit den neuen Technologien gegenüber eine grosse Begeisterung wahr. Die Leute bescha?ftigen sich aber auch stark mit Bedenken und A?ngsten, wobei manchmal Dinge, die nicht direkt etwas miteinander zu tun haben, verschmolzen werden. Viele Bu?rger fu?rchten sich im Allgemeinen vor einer exzessiven U?berwachung, was durchaus berechtigt ist, und sie missbilligen eine intransparente Verwendung von perso?nlichen Daten durch Internetfirmen. Dabei geht ha?ufig vergessen, dass in der Medizin sehr viel Sorgfalt auf Datenschutzvorkehrungen verwendet wird.
Im Januar wurde allerdings bekannt, dass Hacker es schafften, in ein norwegisches Gesundheits-IT-System einzudringen.
Ja, die Cyberkriminalit?t betrifft nicht nur andere personenbezogenen Daten, sondern leider auch Gesundheitsdaten. Umso wichtiger ist eine sichere Dateninfrastruktur. Es werden tatsa?chlich erhebliche Anstrengungen unternommen, um Gesundheitsdaten vor Missbrauch zu schützen, und der Aufbau einer sicheren Infrastruktur ist auch in der Schweiz eine der wichtigsten Priorit?ten. Unsere Institutionen mu?ssen aber auch der O?ffentlichkeit aufzeigen, dass sie hohe Standards erfu?llen und das o?ffentliche Vertrauen verdienen.
Wie steht es um dieses Vertrauen?
Den Gesundheitsinstitutionen wird vertraut. Wenn Leute ins Spital gehen, fu?hlen sie sich sicher. Es gibt zwar Studien, die zeigen, dass o?ffentliche Institutionen weltweit an einem Vertrauensproblem leiden. Allerdings zeigen diese Studien auch, dass Gesundheitsinstitutionen eher vertraut wird als anderen. Wir alle, Forschende und Institutionen, haben ein Interesse daran, dieses Vertrauen zu erhalten. Ohne Vertrauen geht es nicht.
Wie kann man dieses Vertrauen erhalten oder gar steigern?
Wir mu?ssen sehr achtsam mit den Daten umgehen. Sehr wichtig ist auch, dass in allen Prozessen die Verantwortlichkeiten gekla?rt sind: Es muss allen klar sein, wer wofu?r verantwortlich ist, und kein Beteiligter darf sich vor seiner Verantwortung dru?cken. Und schliesslich mu?ssen wir transparent sein und mit der O?ffentlichkeit kommunizieren. Damit meine ich keine PR-Kommunikation, sondern einen ernsthaften, offenen Dialog. Die Leute mu?ssen verstehen, wozu ihre Daten verwendet werden und warum. Und wir in den Institutionen mu?ssen den Leuten vermehrt zuho?ren und herausfinden, was ihre Anliegen sind. Die Daten der personalisierten Medizin stammen von Patienten und gesunden Bu?rgern, und viele der Aktivita?ten sind mit Steuergeldern finanziert. Es ist eine Form von Respekt, wenn wir uns auf eine Diskussion mit den Bu?rgern einlassen.
In der Regel liegen die Daten bei den Spita?lern. Verwenden mo?chten diese Daten jedoch auch spitalexterne Forscher. Das heisst, Daten mu?ssen weitergegeben werden. Unter welchen Bedingungen soll das geschehen?
Wer Daten weitergibt, muss sicherstellen, dass der Empfa?nger eine Reihe von Bedingungen erfu?llt, zum Beispiel was den Datenschutz und die Datensicherheit angeht. Wichtig ist auch, dass ein guter und fairer Verwendungszweck vorhanden ist, der einen gewissen Nutzen bringt. Und natu?rlich ko?nnen Daten nur weitergegeben werden, wenn die Person, von der die Daten stammen, zuvor einer Weitergabe grundsa?tzlich zugestimmt hat.
?Es ko?nnte in bestimmten Bereichen von Vorteil sein, einen Teil der Privatspha?re aufzugeben.?Effy Vayena
In England sorgte fu?r Aufregung, dass der Nationale Gesundheitsdienst NHS Patientendaten an Google Deep Mind weitergab. Das war nicht vertrauensfo?rdernd.
Diese Datentransaktionen waren offenbar nicht gut durchdacht und sind definitiv ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Die Bu?rger hatten den Eindruck, dass ihre Privatspha?re verletzt worden ist. Wenn eine o?ffentliche Institution einer privaten den Zugang zu Daten gewa?hrt, gibt es dafu?r vielleicht einen guten Grund. Dieser muss jedoch bekannt sein, und es muss transparent sein, wer aus der Datenweitergabe wel?chen Nutzen zieht. Die Geschichten in England haben einen negativen Effekt: Auch wir in der Schweiz sind besorgt, obschon unsere Spita?ler nicht darin verstrickt sind.
Dem Recht auf Privatspha?re steht auch das gesellschaftliche Interesse gegenu?ber, mit Hilfe von Daten Krankheiten zu besiegen. Wird es einmal eine moralische Pflicht geben, dass wir unsere Gesundheitsdaten der O?ffentlichkeit zur Verfu?gung stellen?
Eine einseitige Pflicht kann es nicht geben. Wenn wir u?ber eine individuelle Pflicht sprechen, Daten zur Verfu?gung zu stellen, muss es auf institutioneller Ebene auch eine Pflicht geben, die individuellen Rechte und Interessen zu respektieren. Ich wa?re daher vorsichtig, eine bedingungslose moralische Pflicht zur Weitergabe perso?nlicher Daten zu postulieren. In bestimmten Bereichen ko?nnte es allerdings tatsa?chlich zum Vorteil der Gesellschaft sein, wenn wir einen Teil unserer Privatspha?re aufgeben. Vorausset?zung ist jedoch, dass es einen gesellschaft?lichen Nutzen gibt, der gerecht auf alle ver?teilt ist und der auch diejenigen erreicht, die in erster Linie ihren Beitrag geleistet haben. Manche schlagen sogar vor, dass wir einen Gesellschaftsvertrag aushandeln ko?nnten, a?hnlich wie wir ihn bei den Steuern kennen: Jeder leistet einen Beitrag zum Gemein?wohl, das uns allen zugutekommt.
Die personalisierte Medizin wird unsere Gesellschaft vera?ndern. Auch die Grenzen zwischen gesund und krank ko?nnten sich verschieben. Ist eine Person mit einem Genmerkmal, das ein Krebsrisiko erho?ht, gesund oder krank?
Diese Frage gibt Anlass zu Diskussionen. Ku?rzlich nahm ich an einer Veranstaltung mit dem Titel teil: ?Sind wir alle krank?? Ich glaube nicht, dass uns die personalisierte Medizin an diesen Punkt bringen wird. Wir sind jedoch dabei, besser zu verstehen, war?um wir krank werden. Dies ko?nnte in der Folge dazu fu?hren, dass sich unser Konzept von Gesundheit und Krankheit vera?ndern wird, dass wir Krankheit in Zukunft eher als einen fortschreitenden Prozess auffassen werden.
Worauf mu?ssen wir besonders achten, damit die personalisierte Medizin in den na?chsten Jahren zu einem erfolgreichen Projekt wird?
Zwei entscheidende Punkte: Erstens gibt es viele Datenbanken mit Gesundheitsdaten. Wenn wir diese fu?r die Forschung o?ffnen, ko?nnen wir daraus grossen Nutzen ziehen. Wir ko?nnen neues Wissen schaffen, das die Lebensqualita?t Einzelner und das Gesund?heitswesen als Ganzes verbessert. Bei einer solchen O?ffnung mu?ssen wir jedoch vorsich?tig vorgehen und den ethischen Anspru?chen grosse Aufmerksamkeit schenken. Zwei?tens: Wenn wir das neue Wissen geschaffen haben, mu?ssen wir auch darauf achten, dass sich die Medizin damit nicht in eine Rich?tung entwickelt, die volkswirtschaftlich nicht nachhaltig ist. Wenn das neue Wissen den Leuten und der Gesellschaft zugute? kommt, wird dies das Vertrauen in die per?sonalisierte Medizin sta?rken. Es braucht al?lerdings wenig, und das Vertrauen der Leute ist verspielt. Dann ist es schwer, es zuru?ck?zugewinnen. Meine Aufgabe als Bioethike?rin ist es, solche Fragen nicht nur theore?tisch, sondern auch praktisch anzugehen. Basierend auf meiner Forschung formuliere ich auch Empfehlungen zuhanden der Poli?tik und der beteiligten Akteure, in der Schweiz und international.
Effy Vayena ist Professorin fu?r Bioethik am Institut fu?r Translationale Medizin der ETH Zu?rich und befasst sich mit ethischen, juristischen und gesellschaftlichen Fragen der personalisierten Medizin.
Globe - Medizin nach Mass
Die personalisierte Medizin verspricht für jeden Einzelnen die genau passende Therapie. Neueste datengetriebene Technologien k?nnten dies bald m?glich machen. Die aktuelle Ausgabe von Globe pr?sentiert Beispiele aus Forschung Forschung und wirft einen Blick in die Zukunft der Medizin.