Nicht alles verdoppelt sich in 18 Monaten
Rechenleistung und Daten nehmen exponentiell zu, was aber nicht heisst, dass die Digitalisierung alle grossen Probleme unserer Welt im Nu l?sen würde, meint Roland Siegwart.
Kürzlich war ich am Swiss Startup Day und sah dort einen Videovortrag von Peter Diamandis. Der charismatische Amerikaner begründete die X-Prize-Stiftung, welche Preise für radikale technische und wissenschaftliche Entwicklungen ausschreibt. Mit blumigen Worten erkl?rte uns Diamandis im Vortrag die ?Disruptivit?t der Innovation?, die dadurch erm?glicht wird, dass sich die Rechenleistung von Computern und die Menge der verfügbaren Daten exponentiell entwickeln. Diamandis erkl?rte das schon hinreichend bekannte mooresche Gesetz, das aufzeigt, dass sich die Rechenleistung pro Mikrochip-Fl?che seit 1971 etwa alle 18 Monate verdoppelt.
Diese Tatsache hat die Digitalisierung vorangetrieben, und so haben wir heute mit den Smartphones wesentlich mehr Rechenleistung in unseren Taschen, als n?tig war, um mit einer Apollo-Rakete zum Mond zu fliegen. Diese Entwicklung hat ganz neue Gesch?ftsmodelle erm?glicht, wie z.B. Google Maps, AirBnB oder Uber, die unser Leben vereinfachen und vieles effizienter machen.
Reale Welt hat andere Gesetzm?ssigkeiten
Die Vordenker des Silicon Valley wie Peter Diamandis oder Elon Musk, die dank diesen exponentiellen Entwicklungen gross und berühmt geworden sind, glauben nun mit derselben Entwicklung auch alle realen Probleme unserer Welt l?sen zu k?nnen. Ihre euphorischen Prognosen und Visionen sind aber oft nur heisse Luft und Selbstdarstellungen. Die reale Welt hat andere Gesetzm?ssigkeiten als die Welt der Daten. Auch wenn Computer schon 2023 die Rechenleistung des menschlichen Gehirns erreichen werden, an die Intelligenz und Kreativit?t des Menschen werden sie sicher nicht herankommen.
?Energiedichte von Batterien oder Ertr?ge aus Ackerland haben physikalische Grenzen, die auch durch grosse Versprechen nicht wegzudiskutieren sind.?Roland Siegwart
Leider folgen die naturwissenschaftlichen Gesetze der Energie, Ern?hrung oder des Klimawandels nicht den exponentiellen Gesetzen der Computerwelt. Mit einem Liter Benzin kann man nicht alle 18 Monate doppelt so weit fahren, und aus der gleichen Landwirtschaftsfl?che kann man auch nicht durch technologische Fortschritte alle 18 Monate den doppelten Ertrag herausholen.
Auch bei der Entwicklung von besseren Batterien, die für Elektroautos, Smartphones oder H?rger?te sehr wichtig sind, ist der Fortschritt leider nur sehr langsam. Die Energiedichte (d.h. gespeicherte Energie pro Kilogramm) von Lithium-Ionen-Akkus, die in all diesen Systemen eingesetzt werden, hat sich in den letzten zehn Jahren nicht einmal verdoppelt.
Wenn auch immer wieder Spektakul?res aus den Forschungslabors zu h?ren ist, sind in den n?chsten Jahren kaum neue Batteriekonzepte zu erwarten, die die Energiedichte exponentiell wachsen lassen. Energiedichte von Batterien oder Ertr?ge aus Ackerland haben physikalische Grenzen, die auch durch grosse Versprechen nicht einfach wegzudiskutieren sind. Die Digitalisierung mag uns zwar helfen, Fahrzeuge, Stromnetze oder die Landwirtschaft effizienter und nachhaltiger zu machen, aber das nur in kleinen Schritten.
Von grossartigen Gewinnen
Fortschritte in Bereichen wie Weltern?hrung, Klimawandel oder nachhaltige Energieversorgung sind dringend n?tig. Dazu braucht es viel Forschung und Entwicklung und auch ein gesellschaftliches Umdenken. Bei diesen entscheidenden Themen werden es nicht disruptive Schritte sein, die sehr schnell die Kassen der Firmen füllen. Richtige Investitionen in die Zukunft sind langfristig und kapitalintensiv. Statt grossartige Gewinne schaffen sie eine bessere Welt. Es w?re sch?n, wenn die IT-Firmen und ihre vision?ren Vordenker ihre exponentiell wachsenden Gewinne vermehrt für die exponentiell wachsenden Probleme unserer Welt einsetzten, um die realen Herausforderungen der Menschheit zu l?sen. Denn eine bessere Welt w?re ein grossartiger Gewinn.
Dieser Text ist auch als Autorenbeitrag in der NZZ erschienen.