Braucht es noch Feldbiologen?
Dank Digitalisierung forschen ?kologen immer seltener im Feld. Doch auf digitale Daten allein sollte man sich nicht verlassen, findet Christoph Küffer. Ein Pl?doyer für die Feldforschung.
Wer noch vor wenigen Jahren in ?kologie doktorierte, erhob seine Daten in der freien Natur begleitet von Regen, Mücken und Schweiss. Man verbrachte den Sommer in einem Wald, auf einer Wiese oder im Gebirge und bestimmte Pflanzenarten, sammelte Insekten oder beprobte den Boden.
In den letzten Jahren hat die Feldforschung an Universit?ten an Bedeutung verloren. Immer ?fters erheben ?kologinnen und ?kologen Vegetationsdaten mittels Laser-Scanning aus dem Flugzeug. Oder sie ergründen ?kologische Mechanismen anhand von Modellsystemen im Labor und testen Hypothesen mit Big-Data–Analysen am Computer.
Doch in Zeiten grosser digitaler Datenmengen geht gern vergessen, wie bedeutend die Feldforschung bis heute für das Verst?ndnis von ?kosystemen ist – und dass Wissenschaftler der Universit?t und ETH Zürich um 1900 das damals noch junge Forschungsgebiet der modernen ?kologie entscheidend pr?gten.
100 Jahre moderne ?kologie an der ETH
Anfangs des 20. Jahrhunderts war Zürich eines der weltweit führenden Zentren der frühen modernen ?kologie und die von Eduard August Rübel gegründete Stiftung ?Geobotanisches Institut Rübel? sozusagen ihre Koordinationszentrale. In diesem Jahr feiert die eng mit der ETH Zürich verbundene Stiftung Rübel ihr 100-j?hriges Jubil?um – weitgehend im Stillen. Anlass genug für mich, anhand von drei frühen Forschungsthemen aufzuzeigen, wie aktuell die Feldbiologie geblieben ist.
Wechselspiel zwischen Vegetation und Boden
Die ETH-Forschungsassistenten Josias Braun-Blanquet und Hans Jenny verbrachten den Sommer 1925 gemeinsam im Schweizer Nationalpark. Braun-Blanquet untersuchte die Bergwiesen, Hans Jenny die darunterliegenden B?den. Gemeinsam konnten sie zeigen wie sich Vegetation und B?den dynamisch aneinander anpassen.1 Sp?ter wurde Braun-Blanquet zu einem führenden Wissenschaftler der Vegetationskunde des 20. Jahrhunderts, Hans Jenny in Berkeley zu einem Vater der modernen Bodenkunde.
?Die ?kologischen Wechselwirkungen in der Natur sind komplex. Nur durch detaillierte Studien draussen k?nnen wir sie frühzeitig erkennen.?Christoph Küffer
Ein halbes Jahrhundert sp?ter trafen sich der Vegetationskundler Dieter Mueller-Dombois und der Boden?kologe Peter Vitousek auf der anderen Seite der Erde in einem tropischen Wald von Hawaii, um den Einfluss des invasiven und Stickstoff-fixierenden Baums Myrica faya auf die extrem n?hrstoffarmen Vulkanb?den zu untersuchen. Sie dokumentierten, wie das Auftreten einer neuen Baumart innert weniger Jahre die B?den düngen und so das gesamte ?kosystem auf den Kopf stellen kann. Ihre Publikation aus Hawaii wurde zu einer Schlüsselpublikation der ?kologie des Globalen Wandels.2
Die ?kologischen Wechselwirkungen in der Natur sind komplex und ver?ndern sich st?ndig. Nur durch detaillierte Studien draussen k?nnen wir diese frühzeitig erkennen. Das gilt auch heute noch.
Von Vegetationstypen zu Klimamodellen
Die Stiftung Rübel koordinierte im frühen 20. Jahrhundert die ?Internationalen Pflanzengeographischen Exkursionen?.3 Die besten ?kologen aus den USA, England, Skandinavien und Mitteleuropa trafen sich wiederholt für wochenlange Feldexkursionen, um gemeinsam Pflanzengesellschaften verschiedener Regionen zu charakterisieren und Beschreibungen von Vegetationstypen zu vergleichen. Daraus entstand ein weltweit gültiges Vegetationsklassifikationssystem, das eine wichtige Voraussetzung für die globale ?kologische Forschung wurde.
Noch heute verlassen sich Klimamodelle auf standardisierte Vegetationsklassifizierungen, um die Wechselwirkungen zwischen Erdoberfl?che und Atmosph?re zu bestimmen. Im Kleinen bilden Vegetationskarten in den meisten L?ndern die Grundlage für die Planung neuer Nationalparks und Naturschutzgebiete oder für Umweltvertr?glichkeitsprüfungen.
Frühe Invasionsbiologie und Stadt?kologie
Im 19. Jahrhundert erstellten Zürcher Botaniker wie Martin Rikli, Otto N?geli und Albert Thellung eine erste Flora des Kantons Zürich. Bereits damals besch?ftigten sie sich mit der Ver?nderung der Flora durch den Menschen: Sie klassifizierten gebietsfremde Arten aufgrund ihres Ausbreitungsverhaltens und interessierten sich für die Stadtflora Zürichs.
Damit stellten die Zürcher Vorreiter Fragen, die aktuell im Brennpunkt ?kologischer Trendthemen wie der Invasionsbiologie oder Stadt?kologie stehen. H?tten sie in Englisch statt Deutsch und Franz?sisch publiziert, dann w?ren ihre Analysen wohl nicht erst ein Jahrhundert sp?ter als Grundlagenwerk der weltweiten Diskussion um invasive Arten erkannt worden.4
Das Fundament der ?kologischen Forschung
Heute arbeiten viele ?kologen im Labor oder am Computer. Das hat sicher seine Berechtigung. Doch selbst im Zeitalter der Digitalisierung reicht es nicht, sich auf moderne Methoden und rein digitale Daten zu verlassen – denn deren richtige Interpretation bedingt die vertiefte Kenntnis der Zusammenh?nge im Feld.
Die drei historischen Beispiele zeigen, wie dank der Feldbiologie Ver?nderungen in der Natur frühzeitig erkannt werden, Computermodelle und Planungsinstrumente den Realit?tsbezug nicht verlieren, und kreative Ideen und neue Theorien entstehen k?nnen. Es braucht sie also noch, die Expertise der Feldbiologinnen und -biologen, die den Gang in die Natur wagen und mit Artenkenntnis und Detailtreue festhalten, was sie beobachten.
Christoph Küffer hat diesen Beitrag gemeinsam mit Alexander Widmer verfasst.
Referenzen
1 Braun-Blanquet, J., H. Jenny 1926. Vegetations-Entwicklung und Bodenbildung in der alpinen Stufe der Zentralalpen (Klimaxgebiet des Caricion curvulae): Mit besonderer Berücksichtigung der Verh?ltnisse im schweizerischen Nationalparkgebiet (Vol. 4, Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung des Schweizer. Nationalparks). Denkschriften der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft. Band LXIII Abh. 2. Zürich: Fretz.
2 Vitousek, P., L. R. Walker, L. D. Whiteaker, D. Mueller-Dombois, P. A. Matson. 1987. Biological invasion by Myrica faya alters ecosystem development in Hawaii. Science 238: 802-804.
3 Schr?ter, C. 1924. Chronik der ersten bis dritten Internationalen Pflanzengeographischen Exkursion (I.P.E.). Ver?ffentlichungen des Geobotanischen Institutes Ru?bel in Zu?rich 1: 7-27. externe Seite http://doi.org/10.5169/seals-306654
4 Kowarik, I., & Py?ek, P. 2012. The first steps towards unifying concepts in invasion ecology were made one hundred years ago: revisiting the work of the Swiss botanist Albert Thellung. Diversity and Distributions 18(12): 1243-1252.