Wie wichtig ist Gegenseitigkeit in der Klimapolitik?
Das Pariser Abkommen beruht auf freiwilligen und somit eher schwachen Verpflichtungen. Anders als oft angenommen untergr?bt das damit verbundene Trittbrettfahren der einen L?nder das Engagement anderer nicht, schreibt Thomas Bernauer.
Wenn Du Dich an die Regeln h?ltst, halte ich mich auch daran – verletzt Du sie, pfeif ich ebenfalls darauf. In vielen gesellschaftlichen Bereichen verhalten wir uns nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (auch Reziprozit?t genannt). Es verlangt ein wechselseitiges Geben-und-Nehmen.
Auch auf der internationalen Ebene spielt Reziprozit?t eine wichtige Rolle. Zum Beispiel in der Aussenhandelspolitik. Dort verpflichten sich L?nder meist nur dann zur Markt?ffnung, wenn das andere L?nder ebenfalls tun. Es gibt aber auch Bereiche, wo sich Staaten mehrheitlich nicht-reziprok verhalten. Ein Beispiel ist die Uno Konvention gegen die Folter. Kaum ein Land wird diese Konvention kündigen oder verletzen und die Folter wieder einführen, nur weil sich andere L?nder nicht an das Abkommen halten.
Wie reziprok ist internationale Klimapolitik?
Die Klimapolitik, so die vorherrschende Meinung, folgt eher dem Muster der Handelspolitik als der Folter-Konvention. Viele Aussagen von Politikerinnen und Politikern deuten in diese Richtung, auch in der Schweiz. Die Argumente sind typischerweise: Nicht vorw?rtsmachen, solange andere nicht handeln. Denn CO2 reduzieren verursacht hohe Kosten. Wenn andere L?nder nicht mitziehen, entsteht ein Wettbewerbsnachteil, Jobs gehen verloren und die globalen Klimaziele werden trotzdem nicht erreicht.
Dass viele L?nder zu wenig für den Klimaschutz tun, ist unbestritten. Doch schm?lert dieser Umstand tats?chlich die Unterstützung für die Klimapolitik in anderen L?ndern, also den politischen Willen ihrer Bürger und Regierungen, selber Emissionen zu reduzieren? Wenn die internationale Klimapolitik tats?chlich stark auf Gegenseitigkeit beruhte, stünden die Aussichten für das Pariser Klimaschutzabkommen, das gr?sstenteils auf freiwilligen und bislang unzureichenden Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten beruht, jedenfalls schlecht.
Klima schützen, auch wenn andere es nicht tun
Wir haben genau dieses Problem im Rahmen von repr?sentativen Befragungen und Entscheidungsexperimenten mit mehreren Tausend Teilnehmenden in den USA und China untersucht1. Diese beiden L?nder verursachen rund die H?lfte der globalen Emissionen.
Das Hauptergebnis, das mit Blick auf die Argumentation in der Klimadebatte erstaunt: Die Haltung der Menschen zur Klimapolitik folgt weitgehend nicht-reziproken Mustern. Sie unterscheiden sich zwar in ihren Ansichten dazu, ob und wie stark die Politik die Emissionen des eigenen Landes reduzieren sollte. Diese Haltungen sind jedoch kaum davon beeinflusst, was andere L?nder tun.
Wider das l?hmende Trittbrettfahrer-Argument
Was k?nnen wir aus diesen Resultaten schliessen? Aus Sicht des Klimaschutzes positiv zu werten ist, dass die Architektur des Pariser Abkommens in Bezug auf die Gegenseitigkeit und das Problem des Trittbrettfahrens keine Fehlkonstruktion ist. Das Abkommen schreibt zwar den Staaten keine konkreten Verpflichtungen zur Emissionsreduktion vor und erlaubt es damit, dass etliche Staaten ungestraft nichts oder zu wenig für den Klimaschutz tun. Dennoch unterminieren diese Trittbrettfahrer die ?ffentliche Unterstützung für ambiti?se Klimapolitik in klimafreundlicheren Staaten nicht.
?Die meisten Menschen erachten es für richtig und wichtig, im eigenen Land Emissionen zu senken – unabh?ngig vom Verhalten anderer Staaten.?Thomas Bernauer
Auch die Rhetorik von Klimaschutzskeptikern, die mit Verweis auf das Trittbrettfahren anderer Staaten den Klimaschutz im eigenen Land auszubremsen versuchen, scheint bei der breiten Bev?lkerung wenig zu verfangen. Das deutet darauf hin, dass die Kommunikationsarbeit des Weltklimarates und vieler anderer Institutionen trotz allem greift. Die meisten Menschen erachten es für richtig und wichtig, im eigenen Land Emissionen zu senken – unabh?ngig vom Verhalten anderer Staaten.
Generationen-Aufgabe bleibt
Dennoch: Auch wenn die Bremswirkung der zweifellos sehr umst?ndlichen und schleppenden globalen Klimakooperation auf die nationale Klimapolitik geringer ist als vermutet, bleibt eine nahezu vollst?ndige Reduktion der Emissionen in den kommenden Jahrzehnten eine Herkulesaufgabe. Viele Leute sind denn auch noch nicht bereit, Kosten und Einschr?nkungen auf sich zu nehmen um die n?chsten Generationen vor Klimasch?den im eigenen Land und weltweit zu schützen – egal was andere L?nder tun.
Thomas Bernauer hat diesen Beitrag zusammen mit Liam Beiser-McGrath verfasst.
Referenzen
1 Beiser-McGrath, L., Bernauer, T. (2019) externe Seite Commitment-Failures Are Unlikely to Undermine Public Support for the Paris Agreement. Nature Climate Change.
2 McGrath, L., Bernauer, T. (2017) externe Seite How Strong is Public Support for Unilateral Climate Policy and What Drives it? WIREs Climate Change.
3 Bernauer, T., Dong, L., McGrath, L., Zhang, H. (2016) externe Seite Unilateral vs Reciprocal Climate Policy: Experimental Evidence from China. Politics and Governance 4/3: 152-171.
4 Bernauer, T., Gampfer, R. (2015): How Robust Is Public Support for Unilateral Climate Policy? Environmental Science & Policy 54: 316–330.