Flemings Methode im Miniformat
Forschende am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel haben eine Methode entwickelt, mit der sie schnell eine sehr grosse Anzahl an Molekülen auf ihre antibiotische Wirkung testen k?nnen. Sie entdeckten damit neue Kandidaten für Antibiotika. In Zukunft m?chten sie mit dem Verfahren auch Bodenproben und das Mikrobiom auf der menschlichen Haut auf medizinisch interessante Organismen hin untersuchen.
Unbeabsichtigt gelangte vor 90 Jahren ein Schimmelpilz auf eine Bakterienkultur in Alexander Flemings Labor. Der schottische Bakteriologe beobachtete, dass der Pilz einen Stoff produzierte, der die Bakterien auf der Zellkulturplatte abt?tete. Er entdeckte so Penicillin, eines der ersten Antibiotika. Mittlerweile gibt es mehrere Dutzend Klassen von Antibiotika, und die Wissenschaft sucht weiterhin unermüdlich nach neuen antimikrobiellen Wirkstoffen, weil diese in der Medizin dringend ben?tigt werden. Ein Grossteil dieser Medikamente sind Naturstoffe oder bauen auf diesen auf. Und noch immer ist die Nachweismethode dieselbe wie zu Flemings Zeiten: Ein Antibiotikum ist ein Stoff, der auf einer Zellkulturplatte Bakterien abzut?ten vermag.
Wissenschaftler um Steven Schmitt aus der Gruppe von ETH-Professor Sven Panke am Department für Biosysteme der ETH Zürich in Basel haben nun Flemings Methode modernisiert und miniaturisiert und sie so fit gemacht für die Hochdurchsatz-Analyse von Mikroorganismen und den von ihnen produzierten Wirkstoffen. ?W?hrend es heute mit herk?mmlichen Methoden bis zu einem Jahr dauert, um 10'000 Wirkstoffproduzenten zu testen, k?nnen wir innerhalb von wenigen Tagen Millionen von Varianten untersuchen?, sagt Schmitt, der die Methode in seiner Doktorarbeit an der ETH entwickelte.
Mit der neuen Technologie ist es den ETH-Wissenschaftlern gemeinsam mit niederl?ndischen und deutschen Kollegen gelungen, eine Reihe neuer Antibiotika-Kandidaten zu identifizieren. Nun werden die Forscher in einem n?chsten Schritt untersuchen, ob sich unter diesen Kandidaten auch solche befinden, die sich für eine Anwendung in der Medizin eignen.
?Bubble Tea? für die Wirkstoffsuche
Was bei Alexander Fleming eine Zellkulturschale mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern war, sind in der neuen, ?Nano-Fleming? genannten Technik kleine Gel-Kügelchen von bloss einem halben Millimeter – ?hnlich wie ?Bubble Tea? oder Kaviar-Imitat aus der Molekularküche. In diesen Kügelchen k?nnen die Wissenschaftler neue Stoffe auf ihre antibiotische Wirkung hin testen. Sie betten dazu in die Kügelchen einerseits mehrere Sensor-Bakterien ein und andererseits pro Kügelchen jeweils einen Mikroorganismus, der einen zu testenden und potenziell antibiotisch wirkenden Stoff produziert.
Wirkt der produzierte Stoff tats?chlich antibiotisch, sterben die Sensor-Bakterien ab. Wirkt er nicht, vermehren sie sich und bilden Zellhaufen. Nachdem die Wissenschaftler die Sensor-Bakterien mit einem Fluoreszenz-Farbstoff markieren, k?nnen sie die nur schwach fluoreszierenden Gel-Kügelchen mithilfe einer Hochdurchsatz-Sortierungsmethode aussortieren. In ihnen befindet sich ein Mikroorganismus, der ein wirksames Antibiotikum produzierte. Anschliessend k?nnen die Wissenschaftler diesen Wirkstoff identifizieren.
Wirksamere Antibiotika
In der aktuellen Arbeit, welche die Forscher im Fachmagazin externe Seite Nature Chemical Biology ver?ffentlichten, testeten sie eine Sammlung von 6000 Peptiden (kurzen Proteinen) auf ihre antibiotische Wirkung. Es handelte sich dabei um Moleküle, die einer Gruppe von bekannten Peptid-Antibiotika, sogenannten Lantibiotika, ?hnlich sind. Die Wissenschaftler wollten untersuchen, ob es durch eine intelligente Ver?nderung der molekularen Struktur der Lantibiotika m?glich ist, ihre Wirksamkeit zu erh?hen oder bekannte Resistenzmechanismen zu umgehen.
Zusammen mit den niederl?ndischen und deutschen Kollegen gingen sie von bekannten Lantibiotika und ihren strukturellen und funktionellen Untereinheiten aus. In einem biotechnologischen Ansatz kombinierten sie die Untereinheiten verschiedener Lantibiotika auf alle erdenklichen Weisen und fertigten so eine Sammlung von Mikroorganismen an, welche diese neukombinierten Peptide herstellen. Diese Mikroorganismen testeten sie anschliessend mit der ?Nano-Fleming?-Methode. Tats?chlich fanden sie elf Peptide, die im Vergleich zu den bekannten Lantibiotika entweder in kleinerer Dosis wirken oder in der Lage sind, bekannte Resistenzmechanismen auszutricksen.
Suche in der Natur
?Mit der Methode l?sst sich auch hervorragend untersuchen, ob Mikroorganismen aus der Natur bisher unentdeckte Wirkstoffe produzieren?, sagt Schmitt. Dass Mikroben versuchten, ihre Konkurrenten mit biochemischen Verbindungen auszuschalten, sei ein natürlicher und verbreiteter Mechanismus. M?glicherweise finde man daher in Lebensr?umen wie Bodenproben oder dem noch wenig untersuchten Mikrobiom auf der menschlichen Haut und im Speichel neue Antibiotikaklassen. Mit der neuen Technik k?nnten Mikroorganismen aus diesen Lebensr?umen sehr gut analysiert werden. ?Und weil wir nun in kurzer Zeit sehr viel mehr Wirkstoffproduzenten testen k?nnen als mit bisherigen Methoden, erh?ht sich die Chance, Wirkstoffe von seltenen Mikroorganismen zu entdecken.?
Ebenso k?nnte die Technik angepasst werden, um weitere Kriterien für Antibiotika gleich bei der ersten Analyse zu testen, etwa die Stabilit?t in der menschlichen Blutbahn oder die Umgehung von Resistenzmechanismen. Oder es w?re m?glich, die Gel-Kügelchen mit verschiedenen Sensor-Bakterien zu bestücken – solchen, die ein Wirkstoff unbedingt abt?ten soll, zum Beispiel Krankheitserregern, und anderen, denen er keinesfalls schaden soll, beispielsweise Bakterien der gesunden Haut- oder Mundflora.
Weiterentwicklungen wie diese plant Schmitt nun im Rahmen seines ETH-Pioneer-Fellowships sowie eines Bridge-Stipendiums, mit dem der Schweizerische Nationalfonds und Innosuisse gemeinsam Entwicklungen an der Schnittstelle von Hochschulen und Industrie f?rdert. Ebenfalls in Planung ist die Gründung eines Spin-offs, um die Methode zu kommerzialisieren.
Literaturhinweis
Schmitt S, Montalbán-López M, Peterhoff D, Deng J, Wagner R, Held M, Kuipers OP, Panke S: Analysis of modular bioengineered antimicrobial lanthipeptides at nanoliter scale. Nature Chemical Biology 2019, 15: 437, doi: externe Seite 10.1038/s41589-019-0250-5externe Seite