Fahrerlos im Stau

Aktuelle Trends, wie Digitalisierung und Sharing-?konomie, werden die Mobilit?t in St?dten grunds?tzlich ver?ndern. Dar¨¹ber sind sich die meisten Experten einig. Der ?ffentliche Verkehr der Zukunft wird elektrisch, individualisiert und ¨¹bers Smartphone stets zur Hand sein. Schon heute gibt es erste fahrerlose Taxidienste in Las Vegas und in Phoenix. Die Hoffnung: Eine Mobilit?tsversorgung mit deutlich weniger Fahrzeugen, mit weniger Emissionen und zu geringeren Kosten (88 Prozent der Kosten f¨¹r eine Taxifahrt in Z¨¹rich entf?llt heute auf den Fahrer). Bisherige Studien befl¨¹gelten diese Hoffnungen: F¨¹r Singapur kamen Forschende 2014 zum Ergebnis, dass der gesamte Mobilit?tsbedarf innerhalb der Stadt dank automatisierter Taxis mit einem Drittel der heutigen Fahrzeugflotte abgedeckt werden k?nnte. In einer Studie f¨¹r Austin, die Hauptstadt des US-Bundesstaats Texas, prognostizierten Forschende sogar eine Reduktion der aktuellen Autoflotte um 90 Prozent. Ridesharing-Unternehmen wie Uber und Lyft witterten gest¨¹tzt auf solche Studien einen riesigen Markt f¨¹r ihre Dienste, die k¨¹nftig ohne Fahrer auskommen werden. 

Umfassendere Simulationen

Kay Axhausen, Professor am Institut f¨¹r Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Z¨¹rich, kommt in einer aktuellen Studie im Auftrag der Schweizerischen Vereinigung der Verkehrsingenieure und -experten (SVI) und finanziert vom Bundesamt f¨¹r Strassen (ASTRA) zu neuen Erkenntnissen. Sein Team hat simuliert, wie sich das Verkehrsaufkommen in Z¨¹rich durch die Einf¨¹hrung von automatisierten Taxis im Zeithorizont von 20 Jahren ver?ndern k?nnte. Das ¨¹berraschende Ergebnis: Die Anzahl Privatfahrzeuge wird durch ein Ridesharing-Angebot nicht zur¨¹ckgehen. Und ein automatisierter Verkehr k?nnte die Anzahl gefahrener Kilometer sogar noch erh?hen.

Die Studie sei in dieser Form weltweit einzigartig, erkl?rt Axhausen: ?Bisherige Simulationen gingen meist von Idealbedingungen aus, wie zum Beispiel, dass jeder Verkehrsteilnehmer ein automatisiertes Taxi nutzen muss, solange die Wartezeiten unter einem bestimmten Wert bleiben.? Sein Team entwickelte dagegen eine Simulation, bei welcher Angebot und Nachfrage sowie individuelle Verhaltensmuster von Nutzern ber¨¹cksichtigt werden. F¨¹r eine vorgegebene Flottengr?sse wird dadurch ein bestimmter Preis pro Fahrt und eine bestimmte Nachfrage generiert.

Die Forschenden nutzten ?MATSim?, eine Simulationsplattform, die seit mehr als zehn Jahren an der ETH und der TU Berlin weiterentwickelt wird, und die sich f¨¹r Simulationen von komplexen Mobilit?tsfragen durchgesetzt hat. MATSim ist Agenten-basiert, wird also durch das Verhalten von einzelnen virtuellen Verkehrsteilnehmenden mit individuellen Entscheidungsmustern angetrieben und nicht durch ¨¹bergeordnete Regeln. Damit das Verhalten dieser Agenten m?glichst realistisch ist, f¨¹hrte Axhausens Team f¨¹r die aktuelle Studie eine Befragung im Kanton Z¨¹rich durch, in welcher 359 Probanden dar¨¹ber befragt wurden, unter welchen Umst?nden sie bereit w?ren, auf automatisierte, geteilte Transportmittel umzusteigen. Dies vor allem in Abh?ngigkeit von Wartezeiten und Preis.

Optimum bei 3000 automatisierten Taxis

In einem ersten Szenario wurde das bestehende Verkehrssystem mit einer Flotte an selbstfahrenden Taxis erg?nzt. In der Simulation mit rund 150¡¯000 Agenten, was zehn Prozent der Z¨¹rcher Verkehrsteilnehmenden entspricht, erreichte der ?automatisierte ?V? mit selbstfahrenden Bussen, Bahnen und Taxis einen Anteil von ¨¹ber 60 Prozent am Gesamtverkehr. Gleichzeitig sank der motorisierte Individualverkehr von 44 auf 29 Prozent. Axhausens Team experimentierte dabei mit unterschiedlichen Flottengr?ssen. ?Wenn die Flotte zu klein ist, wird der Service f¨¹r die Nutzer unattraktiv?, erkl?rt Axhausen. ?Wenn sie zu gross ist, wird der Service zu teuer und verliert ebenfalls an Attraktivit?t.? Der Idealzustand hinsichtlich Nachfrage und Preis lag bei einer Flotte von rund 3000 automatisierten Taxis. Dadurch ergibt sich pro gefahrenen Kilometer ein Preis von 56 Rappen. Das entspricht etwa den heutigen Kilometerkosten bei einem herk?mmlichen Privatfahrzeug. Der Preis ist jedoch deutlich niedriger als die 2.73 Franken pro Kilometer f¨¹r ein herk?mmliches Taxi.

In einem zweiten Szenario erhielten die Befragten die M?glichkeit, selbst ein automatisiertes Fahrzeug zu kaufen ¨C anstelle dieses mit anderen zu teilen. W?hrend im ersten Szenario ein substantieller R¨¹ckgang der Anzahl Personenwagen pro Haushalt resultierte, entsprach die Anzahl an Personenwagen im zweiten Szenario in etwa dem heutigen Stand. ?Die Kombination von hoher Flexibilit?t und der M?glichkeit, die Zeit im Fahrzeug sinnvoll zu nutzen, macht diese Mobilit?tsform sehr attraktiv ¨C insbesondere, wenn alle Familienmitglieder das Fahrzeug nutzen k?nnen?, sagt Axhausen. Das fahrerlose Privatauto erscheint in der Simulation sogar als dermassen attraktiv, dass es zu einer Mehrbelastung der Strassen kommt. Bis 250`000 zus?tzliche Kilometer pro Tag legten Axhausens virtuelle Agenten in automatisierten Individualfahrzeugen zur¨¹ck. Die Autoren legen den Beh?rden deshalb nahe, die Einf¨¹hrung selbstfahrender Autos regulatorisch zu begleiten.

Konkurrenz und Chance f¨¹r ?V

Die Einf¨¹hrung selbstfahrender Taxis hat auch weitreichende Folgen f¨¹r den st?dtischen ?V. Einerseits k?nnte dieser von der Automatisierung profitieren, indem zum Beispiel Busse automatisiert werden. Die Kosten f¨¹r Busfahrten w¨¹rden laut Studie um die H?lfte gesenkt. Selbst bei stark sinkenden Kosten f¨¹r geteilte Taxifahrten, blieben Busse attraktiv. Andererseits zeigt das zweite Szenario, dass die hohe Attraktivit?t von individuellen automatisierten Fahrzeugen auch bisherige ?V-Nutzende zum Umsteigen motiviert.

F¨¹r Axhausen dr?ngt sich aufgrund der aktuellen Ergebnisse eine Neueinsch?tzung des automatisierten Stadtverkehrs auf: ?Die automatisierten Taxiflotten werden alleine aus Kostengr¨¹nden erst einmal relativ klein bleiben?, sagt er. ?Und die Annahme, dass der Individualverkehr aufgrund von geteilten, automatisierten Fahrzeugen verschwinden wird, ist falsch.? Axhausen bezweifelt deshalb auch, dass der urbane Verkehr k¨¹nftig einzig durch einzelne Ridesharing-Unternehmen bedient wird. Dies im Gegensatz zu Uber oder Lyft, die gest¨¹tzt auf ?ltere Simulationen, gerne ein baldiges Monopol durch ihre Dienste prognostizieren.