Es braucht noch etwas Geduld

Im November 1946 vollf¨¹hrte eine Maschine der US Air Force auf dem Gauligletscher im Berner Oberland eine veritable Bruchlandung. Der Pilot der Douglas Dakota flog bei einem Flug von M¨¹nchen nach Marseille im dichten Nebel zu tief und kollidierte mit dem Gel?nde. Da die Maschine bei diesem Vorfall mehr oder weniger unversehrt blieb, ¨¹berlebten alle Insassen den Vorfall und konnten nach einigen Tagen gerettet werden.

Ein Wrack f¨¹r die Forschung

Der Pr?sident der Schweizerischen Glaziologischen Kommission, Paul Louis Mercanton, setzte sich in der Folge bei den Amerikanern erfolgreich daf¨¹r ein, dass die Ungl¨¹cksmaschine nicht wegtransportiert wurde. Mercanton argumentierte, das Flugzeug w¨¹rde vom Schnee zugedeckt und nach und nach im Eis versinken. Irgendwann w¨¹rde es dann wieder auftauchen, und daraus k?nne man wertvolle R¨¹ckschl¨¹sse auf die Bewegung des Gletschereises gewinnen.

Eine Expedition der Schweizer Luftwaffe im Fr¨¹hjahr 1947 barg zwar einige Teile der Ungl¨¹cksmaschine. Doch der gr?sste Teil des Flugzeugs wurde wie von Mercanton gew¨¹nscht an der Ungl¨¹cksstelle belassen und verschwand tief im Gletschereis.

Unsicherheiten in der berechneten Eisbewegung

Erst in den letzten Jahren gab der Gauligletscher verschiedene Teile des Wracks wieder frei. So konnten beispielsweise im Sommer 2018 in einer aufw?ndigen Aktion ein Propeller, ein Motorenblock sowie Teile der Fl¨¹gel geborgen werden. Nun stellt sich nat¨¹rlich die Frage, wann denn der Rumpf des Flugzeugs wieder an der Oberfl?che auftauchen wird.

Forscher der Versuchsanstalt f¨¹r Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Z¨¹rich kommen nun in einer neuen Studie in der Zeitschrift ?Frontiers in Earth Science? zum Schluss, dass es bis dahin noch eine Weile dauern wird. Anhand von Modellrechnungen zum Gletscherfliessen erwarten sie, dass der Rest des Flugzeugs zwischen 2027 und 2035 wieder an der Gletscheroberfl?che auftauchen wird ¨C allerdings nicht dort, wo die bisherigen Wrackteile gefunden wurden, sondern etwa ein Kilometer weiter oben.

?Dass der Rumpf des Flugzeugs dort auftauchen wird, wo die bisherigen Teile zu Tage kamen, ist unwahrscheinlich, denn dazu m¨¹sste sich das Gletschereis in den letzten Jahrzehnten viel schneller bewegt haben als wir es erwarten?, erkl?rt Loris Compagno, der die Modellrechnung im Rahmen seiner Masterarbeit durchgef¨¹hrt hat.

Spuren der Rettungsaktion

F¨¹r die Distanz zwischen der bisherigen und der prognostizierten Fundstelle haben die Forscher eine plausible Erkl?rung. ?Mit unserem Modell haben wir rekonstruiert, wo sich die bisher gefundenen Teile 1947 befunden haben k?nnten?, erl?utert Guillaume Jouvet, Forscher an der VAW. ?Die Berechnungen zeigen, dass sie vermutlich dort in den Gletscher gelangten, wo die Armee 1947 eine Landepiste f¨¹r die Bergungsflugzeuge eingerichtet hatte.?

Vermutlich waren die Teile, die bisher aufgetaucht sind, damals schlicht zu schwer f¨¹r die eher kleinen Rettungsflugzeuge, mit denen man zum ersten Mal ¨¹berhaupt eine solche Bergungsaktion durchf¨¹hrte. ?Allein der Motor war eine halbe Tonne schwer?, erkl?rt Compagno, der anhand von historischen Recherchen auf die Bergungsaktion aufmerksam wurde. ?Deshalb hat man diese Teile vermutlich einfach bei der Landepiste liegen gelassen.?

Verschiedene Daten kombiniert

F¨¹r ihre Berechnungen haben die Forscher verschiedene Daten miteinander kombiniert: Anhand von fr¨¹heren Beobachtungen wussten sie ungef?hr, wie m?chtig der Gletscher Ende der 1940er-Jahre war. Und basierend auf Klimadaten sowie Gel?ndemodellen konnten sie in der Folge berechnen, wie schnell sich der Gletscher in den letzten Jahrzehnten bewegt haben k?nnte. ?Unsere Berechnungen stimmen gut mit aktuellen Messdaten ¨¹berein, mit denen wir die Geschwindigkeit der Eisbewegung erfassen?, erkl?rt Compagno. ?Aber wie schnell sich der Gletscher vor 70 Jahren tats?chlich bewegte, wissen wir nat¨¹rlich nicht genau.?

Ein Modell f¨¹r spektakul?re F?lle

Das Gletschermodell der VAW wurde bereits einmal erfolgreich eingesetzt, um einen mysteri?sen Fall aufzukl?ren: Nachdem auf dem Aletschgletscher Leichenteile von drei Br¨¹dern gefunden wurden, die in den 1920er-Jahren verungl¨¹ckt waren, konnten die ETH-Forschenden mit ihrem Modell zeigen, dass sich die Alpinisten am Ungl¨¹ckstag auf dem R¨¹ckweg zur H¨¹tte vermutlich verirrt hatten. ?Damals haben wir mit unserem Modell ein vergangenes Ereignis rekonstruiert?, erkl?rt Jouvet. ?Nun setzen wir es als Prognoseinstrument ein.?

Als Forscher sei er sehr gespannt, ob sich die Voraussagen ¨¹ber das Auftauchen der Dakota best?tigen werden. Falls der Rumpf des Flugzeugs bereits fr¨¹her wieder aus dem Eis auftauchen sollte, w?re das f¨¹r Compagno und Jouvet kein Fehlschlag, im Gegenteil: ?Wir bek?men so wichtige Hinweise, wie wir das Gletscherfliessen besser beschreiben k?nnten.? Sollte der Rumpf beispielsweise dort auftauchen, wo die ersten Wrackteile gefunden wurden, w?re das ein Hinweis, dass sich der Gauligletscher in den 1950er-Jahren viel schneller bewegt haben muss als erwartet. ?Das w?re f¨¹r uns Gletscherforscher eine sehr aufschlussreiche Erkenntnis?, erkl?rt Jouvet. So oder so steht f¨¹r ihn schon jetzt fest, dass sich Mercantons Initiative f¨¹r die Gletscherforschung bereits ausbezahlt hat.