Marsbeben – Der Stein kommt ins Rollen
Fünfzig Jahre nachdem die Apollo-11-Astronauten das erste Seismometer auf der Mondoberfl?che platzierten, liefert die NASA InSight-Mission seismische Daten, die es Forschern erm?glichen, Marsbeben mit Mond- und Erdbeben zu vergleichen.
Der Stein kam im wahrsten Sinne des Wortes ins Rollen, als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Marsbebendienstes im Erdbebensimulator der ETH Zürich zum ersten Mal Marsbeben erlebbar machten. Die Forschenden hatten Echtdaten von Marsbeben hochgeladen, die am Marstag bzw. Sol 128 und 173 der Mars-Mission InSight aufgezeichnet worden waren. Die Marsbeben hatte das Seismometer SEIS registriert, dessen hochempfindliche Elektronik am Labor für Raumfahrtelektronik und -instrumente der ETH entwickelt worden war.
Zwei Arten von Marsbeben
SEIS ist das wohl empfindlichste je verwendete Seismometer. Es ist in der Lage, selbst schw?chste Erschütterungen auf dem Mars zu erkennen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mussten die Signale der Marsbeben 10-millionenfach verst?rken, damit die Forschenden die schwachen und entfernten Beben im Erdbebensimulator überhaupt wahrnehmen und sie mit entsprechend verst?rkten Mond- und Erdbeben vergleichen zu k?nnen.
?Wir beobachten momentan zwei Arten von Marsbeben?, sagt Simon St?hler. ?Das erste Beben war eines mit hoher Frequenz, das einem Mondbeben ?hnlicher ist als erwartet. Das zweite Beben hatte eine viel niedrigere Frequenz, was unserer Ansicht nach mit der Entfernung zum Epizentrum zusammenh?ngen k?nnte. Verglichen mit Erdbeben dauern beide Arten von Marsbeben l?nger.?
Erd-, Mond- und Marsbeben
W?hrend Erdbeben normalerweise zwischen mehreren Sekunden bis zu einigen Minuten andauern, k?nnen Mondbeben bis zu einer Stunde oder l?nger dauern. Die St?rke des seismischen Signals h?ngt von der Entfernung und von Unterschieden in den geologischen Strukturen ab. Vergleicht man die Oberfl?chen von Erde und Mond, stellt man überrascht fest, dass die Erdkruste homogener ist als jene des Mondes. Als Folge der Meteoriteneinschl?ge über Milliarden von Jahren hinweg ist die Mondkruste gebrochen. Zudem gibt es auf dem Mond keinen Prozess, der das Gestein ?zusammenschweisst?. Auf der Erde hingegen verschmelzen Gesteinsspalten durch Vulkanismus, Erw?rmung im Inneren, Plattentektonik sowie Erosion und Ablagerung durch Wasser und Wind. Dadurch entsteht eine relativ unversehrte und geschichtete Kruste, die Spuren von Meteoriteneinschl?gen schnell verschwinden l?sst.
?Die heterogene Mondkruste führt zu einer Streuung der seismischen Wellen, ?hnlich einem nachhallenden Echo, das lautes Rufen in einer felsigen Berglandschaft erzeugen kann?, erkl?rt John Clinton, der den Marsbebendienst an der ETH Zürich leitet. Im Vergleich dazu sind Erdkruste und -mantel für seismische Wellen transparent – etwa so wie eine weite, offene Landschaft für Schallwellen. W?hrend seismische Sensoren auf der Erde Erdbebensignale deutlich ?h?ren?, registrieren seismische Sensoren auf dem Mond eine Unmenge von Echos, was zu einer Verzerrung des Signals führt. Dies macht es sehr schwierig, nur schon den Beginn des Signals zu ermitteln.
Auch wenn die Erdbebenforschung auf dem Mars noch in den Kinderschuhen steckt, scheint es, als seien Marsbeben irgendwo zwischen Mond- und Erdbeben angesiedelt: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennen zwar die ersten seismischen Signale des Marsbebens, aber die Signale, die folgen, zeigen st?rkere Echos als von den Forschenden erwartet. Die Dauer des Signals eines Marsbebens kann circa 10 bis 20 Minuten betragen. Noch r?tseln die Forscherinnen und Forscher, ob die Bruchstellen der Marskruste nur wenige Kilometer tief sind – wie auf dem Mond – oder ob sie oberfl?chlicher sind.
Marsbebendienst in Betrieb
Für die Schweizer Beteiligung an der Insight-Mission verantwortlich ist Domenico Giardini, Professor für Seismologie- und Geodynamik. Er hat auch den Marsbebendienst an der ETH gegründet. Rund zweimal t?glich analysieren zehn Seismologinnen und Seismologen die von SEIS aufgezeichneten Daten mit dem Ziel, Marsbeben zu entdecken und zu charakterisieren.
Da es auf dem Mars nur ein Seismometer gibt, kombinieren Giardini und sein Team Methoden aus den Anf?ngen der Seismologie mit modernen Analyseverfahren. Letztlich dienen die seismischen Daten den Forschenden nicht nur zur Beantwortung von Fragen zur geologischen Struktur des Mars, sondern auch zur Entstehung der Planeten im inneren Sonnensystem vor mehr als vier Milliarden Jahren.
Internationale Kooperation
Der Marsbebendienst unter der Leitung der ETH Zürich ist eine Kooperation von Seismologinnen und Seismologen des Instituts für Geophysik und des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich, des Instituts für Geophysik Paris (IPGP), der franz?sischen Ingenieurhochschule ISAE Toulouse, der Universit?t Bristol, des Imperial College London, des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung G?ttingen (MPS) und des Jet Propulsion Laboratory Pasadena (JPL).