Die anthropophile Technik und wir
Wichtiger als die Frage, ob man für oder gegen bestimmte technische Ent?wicklungen ist, ist im ersten Schritt die Reflexion darüber, wie Mensch und Maschine sich konkret gegen?sei?tig beeinflussen, sagt Kevin Liggieri.
Werden wir bald von transhumanen Maschinen ersetzt? Werden wir durch neue Biotechnologie alle zu Cyborgs? Also: Mensch vs. Maschine, Leben vs. Technik? Sind neue Technologien das Sinnbild einer technikeuphorischen Verschmelzung oder Startschuss zum Untergang der Menschheit?
Technologische Fortschritt l?ste schon immer solche Hoffnungen und ?ngste aus, doch stelle ich mir die Frage, ob diese emotional geführten Debatten mit Blick auf gegenw?rtige Technologien den Kern der Sache treffen. Technologien, die wir doch selber gestalten und eigentlich tagt?glich im wahrsten Sinne des Wortes im Griff haben.
Neben den beiden klassischen Narrativen von Dystopie oder Utopie schlage ich daher eine andere Richtung ein. Das Problem liegt meiner Meinung nach nicht mehr in einer apokalyptischen Angst, einer Entfremdung oder einer technologischen Scham, wie wir sie aus früheren Tagen kennen und wie sie bis heute medial aufbereitet wird. Ganz im Gegenteil, Technik ist heute anthropophil, sprich an den Menschen angepasst. Die mobilen Endger?te schmeicheln uns. Sie umgarnen unseren K?rper, unseren Geist und unser Ego. In gewisser Weise komplementieren sie uns sogar.
Neue Beziehung zur Technik
Die herk?mmlichen Beschreibungsversuche von Technik (als Verfahren, um naturwissenschaftliche Erkenntnisse nutz- und anwendbar zu machen oder als Beschaffenheit eines Ger?tes) treffen unseren heutigen Umgang mit Technik demzufolge nicht mehr ganz. Denn trotz aller Untergangs?szenarien und einem immer wiederkehrenden Technologiepessimismus stellt die Anwendung der Technik in unserm Alltag gerade kein Problem mehr dar. Wir bedienen unsere Handys, Smart-TV, Laptops; wir scrollen, tippen, drücken oder streicheln. Wir sind mit der Technik immer relational verbunden – und nicht selten emotional. Heutige Technik pr?gt uns durch soziokulturelle, private und ?ffentliche Kontexte sowie massgeblich durch ihr benutzerfreundliches Design. Die Interaktion mit Technik funktioniert, weil wir ihr gerade nicht neutral gegenübertreten k?nnen.
Doch wie kam es dazu, dass wir einer eigentlich radikal menschlich-fremden Existenz, heute fühlend und streichelnd begegnen? In der zweiten H?lfte des 20. Jahrhundert wurde Technik erkenntnistheoretisch wie praktisch vermenschlicht, das heisst in die menschliche Lebenswelt integriert1. Damit verschwammen die Grenzen und die Distanz zwischen Mensch und Maschine verringerte sich: Das Technische wurde für uns praktisch unsichtbar.
Technik pr?gt Menschen
Die technischen M?glichkeiten wirken normativ auf den Menschen, wie beispielsweise das Smartphone verdeutlicht. Die st?ndige Erreichbarkeit, die Routenplanung per Google Maps, oder unser digitales Selbstbild auf unz?hligen sozialen Netzwerken verbinden uns scheinbar unmittelbar mit der Wirklichkeit. Doch brauchen all diese Applikationen das unbemerkt wirkende, kleine Endger?t, welches so leicht in unseren H?nden liegt. Hiermit wird die Umwelt, erst zu "unserer" Mitwelt.
Zweifelsohne ver?ndern also neue Maschinen, technische Milieus und digitale Arbeitsumwelten das Bild des Menschen sowie der Maschine diskursiv und praktisch. Der Tramfahrer der 1920er oder der Pilot der 1960er Jahre agierten in anderen technischen Systemen als der total vernetze User heute.
Menschen pr?gen Technik
Aber ebenso wirkm?chtig ist die conditio humana auf die technische Realisierung. Besonders spannend finde ich daher die Frage, wie und warum Mensch-Technik-Interaktionen nach dem Vorbild von zwischenmenschlichen Interaktionen und anthropologisch-humanistischen Vorstellungen gedacht und konstruiert wird. Die verschiedenen Akteure der Industrie 4.0 oder des Affective Computing versuchen, die Technik nach menschlichen Masst?ben zu gestalten, um sie weniger fremdartig erscheinen zu lassen und den Umgang mit ihr zu erleichtern2. Die gro?e Befürchtung, der Mensch werde technisiert, wird abgel?st von der vermeintlich beruhigenden Tatsache, dass die Technik sich naturalisiert. Aufbau von Benutzer?freundlichkeit ist damit auch Abbau von Angst.
?Anthropologie, Humanismus und Anthropozentrismus sind wirtschaftlich und designtechnisch effizient.?Kevin Liggieri
Die neuen Technologien werden hierfür rhetorisch anthropologisiert, linearisiert und finalisiert, wie dies zum Beispiel eine Begrifflichkeit wie "Indus?trie 1.0 bis 4.0" sehr sch?n zeigt. Interessanterweise werden damit im technikwissenschaftlichen Diskurs der Moderne nicht mehr dystopische post-, trans-, oder antihumanistische Bilder aufgerufen, sondern geradezu klassische humanistisch-anthropologische. Eine anthropophile Schnitt?stellen-Gestaltung – man denke da nur an Siri oder Alexis – ist deshalb erfolgreich, weil sie Akzeptanz, Vertrauen und Effizienz in der Mensch-Maschine-Interaktion generiert. Michel Foucault fordert zu recht, dass die Wissenschaften aus dem ?anthropologischen Schlaf? erwachen und aufh?ren sollen, ?vom Menschen, von seiner Herrschaft und von seiner Befreiung [zu] sprechen?. Derselbe anthropologische Schlaf ist aber rhetorisch und praktisch in der Mensch-Maschine-Gestaltung bedeutend geworden.3
Debatte trifft nicht den Kern der Sache
Anthropologie, Humanismus und Anthropozentrismus sind wirtschaftlich und designtechnisch effizient. Das Design ist ganz auf das Subjekt, den lebendig, psychophysischen Menschen, sprich den User, ausgerichtet. Durch diese anthropologische Signatur des Technischen k?nnen wir Technik erst handhaben, mit ihr umgehen und leben. Das Problem der anthropophilen Technik k?nnte damit gerade darin liegen, dass es in der Anwendung (meist) kein Problem mehr gibt. Technische Applikationen vermitteln damit eine Natürlichkeit, die in ihren Strukturen, Argumentationen und Praktiken hinterfragt und analysiert werden muss. Natürlich werden die Debatten über eine technische Ersetzung oder Optimierung des Menschen, die Mensch und Maschine entweder gegeneinander ausspielt oder aber zu verschmelzen versucht, weitergeführt. Mir scheint aber die konkrete technikanthropologische Reflexion umso wichtiger, da das subtile Problem der Technik als intuitive Anwendung in unserer Lebenswelt sonst zwischen abstraktem Pro und Contra zu schnell verdeckt wird.
Referenzen
1 Vgl. Michael Hagner, 2016. "Kybernetik". In: Sprache, Kultur, Kommunikation. ed. Ludwig J?ger, Werner Holly, Peter Krapp, Samuel Weber, Simone Heekeren. Berlin: de Gruyter, 253-261.
2 Kevin Liggieri, 2018. "Verstehen und Gestalten. Zur produktiven Problematik des Mensch-Maschine-Interface". In: ?Das Wunder des Verstehens“. Ein interdisziplin?rer Blick auf ein "au?er-ordentliches" Ph?nomen. ed. Kevin Liggieri / Hans-Ulrich Lessing. Freiburg: Karl Alber, 305-332.
3 Michel Foucault, Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 1974, S. 410, 412.