Ein Bit-chen mehr Demokratie?
Wie soll die Gesellschaft damit um?ge?hen, dass die Tech-Giganten ihre Mo?no?pole st?ndig erweitern? Hans Gers?bach schl?gt vor, sie zu demokratisieren, indem die Nutzerinnen und Nutzer formale Mitspracherechte erhalten.
T?glich tragen wir zu Monopolen bei: Wir nutzen die Produkte der grossen Technologiefirmen Apple, Google, Microsoft, Facebook und Amazon. Diese fünf Technologieunternehmen gelten als die wertvollsten Konzerne der Welt und werden deshalb auch gerne Tech-Giganten genannt. Das Wachstum dieser Konzerne scheint ungebrochen, denn je mehr von uns ihre Dienstleistungen nutzen, desto nützlicher werden sie für uns alle. Suchalgorithmen werden so immer relevanter und raffinierter und damit scheinbar auch immer unverzichtbarer. Dies bedeutet auch, dass sich die Monopolstellung dieser Unternehmen laufend selber verst?rkt.
Wir kennen das von anderen Monopolen: Diese erzeugen langfristig h?here Kosten und geringere Auswahlm?glichkeiten für Kunden. So stellen auch Tech-Giganten zuerst einmal eine ?konomische Bedrohung dar. Doch die von den Tech-Giganten erzeugten Risiken betreffen auch die Demokratie. Dies weil Tech-Giganten wichtige Informationsprozesse kontrollieren k?nnen, auf denen Entscheidungen unserer Gesellschaft beruhen. Informationen sammeln, verifizieren, speichern, abrufen, vergleichen, gewichten und verwerfen – all diese Prozesse k?nnen die Tech-Giganten massgeblich beeinflussen, sobald ihre Produkte dafür genutzt werden. Und obschon die Dienste der Tech-Giganten auch damit beworben werden, die Demokratie zu f?rdern, sind sie tats?chlich zu einem Risiko für die Demokratie geworden.
Regulierung – aber wie?
Es liegt also im Interesse der Demokratien, diese Monopolstellung zu beschr?nken. Eine g?ngige Methode, Monopolen beizukommen, ist grosse Unternehmen aufzusplittern. Leider scheint eine solche Massnahme bei Tech-Giganten wenig sinnvoll. Es würden wohl lediglich neue Technologieunternehmen entstehen – für die Demokratie w?re damit wenig gewonnen. Der Economist stellte die These auf, dass es nur einen Weg g?be, den Tech-Giganten beizukommen, n?mlich über diejenige W?hrung, in der Nutzende die Dienste bezahlten: Pers?nliche Daten. Die Rechte an den eigenen Daten und deren Austausch k?nnten so festgelegt werden, dass die Tech-Giganten mittels dieser Gesetzgebung im Zaum gehalten werden. Doch es stellt sich die Frage, wer solche Gesetze ausarbeiten und durchsetzen soll. Tech-Giganten agieren global und schnell, weshalb supranationale Regeln schwer zu implementieren sind.
Der andere Weg
Doch ein solches Monitoring kann auch andersrum funktionieren, n?mlich durch eine Demokratisierung der Firmen selber. Der Grundgedanke dabei: Die Nutzerinnen und Nutzer erzeugen wertvolle Daten, wenn sie die Dienste der Technologiekonzerne nutzen. Diese Daten erlauben es, Produkte und Dienste st?ndig zu verbessern und zu erweitern – warum sollten nicht diejenigen ein Mitspracherecht bekommen, welche dazu beitragen? Mein Vorschlag zielt darauf ab, die Nutzenden an allen Entscheidungen der Tech-Giganten teilhaben zu lassen, die sie direkt betreffen. An meinem Lehrstuhl entwickeln wir dafür neue Entscheidungsprozesse, mit denen man experimentieren kann. Die Technologieunternehmen sind aus unserer Sicht ein ideales Experimentierfeld.
Dabei sind zwei Fragen vorab zu kl?ren: Die erste ist, bei welchen Entscheidungen die Nutzer und Nutzerinnen mitbestimmen sollen. Man k?nnte mit denjenigen Entscheidungen anfangen, welche die Rechte an pers?nlicher Information betreffen. Somit k?nnten die Nutzenden mitbestimmen, was mit ihren Daten passieren darf und was nicht. Zudem sollten sie bei der Spezifikation von Such- und Lern-Algorithmen mitreden dürfen, und bei der Festlegung von Zensurregeln. Ich m?chte aber vor allem auf die zweite Frage eingehen: Wie man die Nutzerinnen und Nutzer bei Entscheidungen einbeziehen soll. Um diese zweite Frage zu kl?ren, kommen zwei Verfahren in Frage:
Co-voting ver?ndert Haltung
Man k?nnte die Nutzenden einfach über die sie betreffenden Fragen abstimmen lassen. Dafür ist das von uns entwickelte Co-voting-Verfahren geeignet. Das Verfahren sieht vor, eine zuf?llig ausgew?hlte Untergruppe zu bestimmen, die sogenannte "Assessment Group". Diese Gruppe stimmt zuerst ab, und das Resultat der Abstimmung wird ver?ffentlicht. Danach stimmen die Aktion?rinnen und Aktion?re ab, und die beiden Resultate werden – nach einem vordefinierten Schlüssel gewichtet – zusammengez?hlt und ergeben die endgültige Entscheidung.
?Eine Demokratisierung der Tech-Giganten würde deren Monopol nicht reduzieren, aber sie würde das Verh?ltnis zwischen diesen Konzernen und den Nutzenden ins Gleichgewicht bringen.?Hans Gersbach
Diese Art Mitbestimmung würde dazu beitragen, die Haltung der Nutzerinnen und Nutzer gegenüber den Tech-Giganten zu ver?ndern: Die Nutzenden w?ren dann m?glicherweise eher bereit, die Konsequenzen schwieriger oder kostenintensiver Entscheidungen zu tragen. Auch k?nnte dieses Mitspracherecht dazu beitragen, die Rechte an den eigenen Daten zu schützen, und das Recht auf freie Meinungs?usserung zu bewahren.
Dieses Verfahren w?re am einfachsten zu implementieren, wenn jedes Mitglied der Assessment Group eine Stimme bekommt. Doch man k?nnte sich auch raffiniertere Stimmrechte vorstellen: Intensiv-Nutzende k?nnten zum Beispiel mehr Stimmen bekommen.
Nutzerrat bestimmt mit
Das zweite Verfahren k?nnte man sich als eine Art "Nutzerrat" vorstellen. Im Nutzerrat k?nnten zum Beispiel Algorithmen-Expertinnen und -Experten dabei sein, die besonders fachkundig über geplante Weiterentwicklungen der Produkte und Services urteilen k?nnen. Für besonders wichtige Entscheidungen w?re es für den aber auch stets m?glich, weitere Nutzende beizuziehen, und Vertreter der Nutzenden k?nnten im Verwaltungsrat Einsitz nehmen.
Eine Demokratisierung der Tech-Giganten, wie wir sie vorschlagen, würde deren Monopol nicht reduzieren, aber sie würde das Verh?ltnis zwischen diesen Konzernen und den Nutzenden ins Gleichgewicht bringen. Wenn die Nutzerinnen und Nutzer innerhalb des Monopols mehr zu sagen haben, k?nnte das die Tech-Giganten letztlich effizienter im Zaum halten als der Versuch, dies über eine Regulierung erwirken zu wollen, die den technologischen Innovationen nachhinkt.
Der Beitrag erscheint in gekürzter Form auch in der externe Seite NZZ am Sonntag.
Referenzen
1 Siehe Crémer et al. (2019) für eine Einsch?tzung der M?glichkeiten, Wettbewerbspolitik im digitalen Zeitalter zu gestalten. Crémer, Jacques, de Montjoye, Yves-Alexandre, und Schweitzer, Heike (2019), Competition Policy for the Digital Era: Report, Luxembourg, Publications Office of the European Union.
2 Für eine ausführliche Beschreibung, siehe Basin and Gersbach (2020).
Basin, David and Gersbach, Hans (2020), Democratizing Tech Giants! Starting the Journey, forthcoming.