Verhalten von Bakterien beeinflusst die Wolkenbildung
Mit Analysen an einzelnen Zellen haben ETH-Forschende nachgewiesen, dass Stoffwechselvorg?nge im Inneren von Meeresbakterien bestimmen, welche Menge eines Gases freigesetzt wird, das an der Wolkenbildung beteiligt ist.
Dass der sinnbildliche Flügelschlag eines Schmetterlings an einem v?llig anderen Ort einen Wirbelsturm ausl?sen kann, weiss die Meteorologie eigentlich schon seit fast 50 Jahren. Der Chaostheoretiker Edward Norton Lorenz pr?gte 1972 mit dem Begriff des Schmetterlingseffekts das Verst?ndnis dafür, dass sich minime ?nderungen in den Anfangsbedingungen langfristig auf die Entwicklung dynamischer Systeme auswirken k?nnen.
Ozeane sind die Lungen der Erde
Doch nun legen Resultate der Forschungsgruppe um Roman Stocker vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich nahe, dass Meteorologinnen und Meteorologen in Zukunft nicht nur auf Schmetterlinge, sondern vor allem auch auf in Ozeanen lebende Bakterien achten müssen. ?Wir haben gezeigt, unter welchen Umst?nden diese Bakterien ein Gas freisetzen, das zentral an der Bildung von Wolken beteiligt ist?, sagt Stocker.
In ihren soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Communications ver?ffentlichten Arbeiten beugten sich die Forschenden über die Kleinstlebewesen, die sich von den Stoffwechselprodukten des marinen Phytoplanktons ern?hren. Unter diesem Begriff wird eine Vielzahl mikroskopischer Algen zusammengefasst. Ihre Photosynthese-Aktivit?t übertrifft diejenige aller Pflanzen. Die wahren Lungen der Erde sind deshalb nicht die W?lder, sondern die Ozeane, wo ungef?hr die H?lfte des in der Erdatmosph?re vorhandenen Sauerstoffs entsteht. Dabei stellt das Phytoplankton j?hrlich auch über eine Milliarde Tonnen der Substanz namens Dimethylsulfoniopropionat oder kurz DMSP her.
Geruch des Meeres
?Mit DMSP decken die Meeresbakterien 95 Prozent ihres Bedarfs an Schwefel und 15 Prozent ihres Bedarfs an Kohlenstoff?, sagt Cherry Gao, die Erstautorin der Studie und Doktorandin in Stockers Gruppe. Um das DMSP in Biomasse umzuwandeln, verfügen die Bakterien über zwei verschiedene Stoffwechselwege: Wenn sie es demethylieren, nutzen sie sowohl den Schwefel wie auch den Kohlenstoff. Wenn sie es jedoch in mehrere kleine Moleküle spalten, nutzen sie nur den Kohlenstoff – und der Schwefel entweicht in der Form von Dimethylsulfid (DMS) in die Atmosph?re. ?DMS ist für den typischen Geruch des Meeres verantwortlich?, sagt Stocker. Zudem spielt DMS als Kondensationskern für Wasserdampf eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Wolken.
Bisher war nicht klar, wann die Bakterien welchen Stoffwechselweg brauchen. Die Forschenden um Stocker haben ein Meeresbakterium der Art Ruegeria pomeroyi gentechnisch ver?ndert, so dass es in verschiedenen Farben leuchtete, je nachdem, wie es das DMSP biochemisch umwandelte. So haben die Forschenden nachgewiesen, dass bei tiefen Konzentrationen von DMSP die Bakterien vor allem auf die Demethylierung setzen – und dass dafür bei hohen Konzentrationen von einigen Mikromol pro Liter die Spaltung überwiegt.
Genauer hinschauen
Die durchschnittliche Konzentration von DMSP im Meerwasser betr?gt nur einige Nanomol pro Liter. Unter diesen Umst?nden hat der Stoffwechselweg der Spaltung eine vernachl?ssigbare Bedeutung, die Bakterien verwenden den Schwefel für ihr Wachstum, und die Wolkenbildung bleibt aus. ?Doch der Durchschnittswert – die Konzentration von DMSP in einem grossen Eimer, der bisher für die klassischen Messungen einfach ins Meer getaucht wurde – erz?hlt nur die halbe Wahrheit?, sagt Stocker. ?Die andere H?lfte der Wahrheit offenbart sich erst beim genaueren Hinschauen.?
Denn wo Phytoplankton blüht, k?nnen tausendfach erh?hte DMSP-Konzentrationen vorliegen. Offenbar sind die Meeresbakterien an diese ungleiche Verteilung von DMSP im Meerwasser angepasst. Wenn sie unmittelbar neben den mikroskopischen Algen wachsen, beginnen sie das DMSP zu spalten. ?Wie viele Wolken sich also bilden oder nicht, h?ngt schlussendlich auch vom mikrobiellen Zusammenspiel der Algen und Bakterien im Meer ab?, sagt Stocker.
Literaturhinweis
Gao C, Fernandez VI, Lee KS et al.: Single-cell bacterial transcription measurements reveal the importance of dimethylsulfoniopropionate (DMSP) hotspots in ocean sulfur cycling. Nature Communications 2020, 11: 1942, doi: externe Seite 10.1038/s41467-020-15693-z