Wie sich ein Lockdown auf Psyche und Beziehungen auswirkt
Sozialforschende der ETH Zürich haben untersucht, wie sich die sozialen Netzwerke sowie die psychische Gesundheit von Studierenden durch die Corona-Massnahmen ver?nderten. W?hrend ?ngste sich verlagerten, nahmen Stress und Einsamkeit zu. Ein starkes soziales Netz kann diese Effekte abschw?chen.
Die strengen Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus im M?rz zeigten Wirkung. Allerdings nicht nur auf den Verlauf der Pandemie, sondern auch auf das Sozialleben und die Psyche. Wie sich das im Fall von Studierenden ?ussert, haben Forschende des Social Networks Lab der ETH Zürich um den Soziologen Christoph Stadtfeld in einer L?ngsschnittstudie untersucht. Grundlage dafür sind regelm?ssige Umfragen, die im Rahmen der ?Swiss StudentLife?-Studie gemacht wurden. Dabei wurden Schweizer Studierende ausführlich darüber befragt, mit wem sie wie sozialen Kontakt pflegen und wie es ihnen psychisch geht.
Um den Einfluss des Lockdowns zu ermitteln, verglichen die Forschenden Antworten aus zwei Befragungswellen mit derselben Untersuchungsgruppe: Eine im September 2019 und eine im April 2020, rund zwei Wochen nach Inkrafttreten der ?ausserordentlichen Lage? und des Versammlungsverbots sowie der Schliessung der Universit?ten. Zus?tzlich verglichen sie mit einer anderen Kohorte von Studierenden, die ein Jahr vor der Corona-Krise eine ?hnliche Umfrage beantwortet hatte.
Einsamkeit und ?ngste
Bezüglich der Entwicklung der sozialen Netzwerke kommen die Forschenden zum Schluss, dass die meisten befragten Studierenden auch nach zwei Wochen im Lockdown sozial gut eingebunden waren. Trotzdem sank bei vielen die Anzahl der als positiv empfundenen Interaktionen, und das Lernen fürs Studium geschah h?ufiger allein als in der Gruppe. In Bezug auf die psychische Gesundheit zeigte sich, dass es den Befragten im Durchschnitt schlechter ging als vor dem Lockdown. Stress, Sorgen und Niedergeschlagenheit kamen h?ufiger vor. Namentlich sorgten sich die Studierenden etwa vermehrt um ihr Umfeld und um ihre berufliche Zukunft. Dagegen traten auch positive Aspekte zutage. So gaben Studierende im April an, sie h?tten weniger Angst, etwas zu verpassen. Auch der Konkurrenzstress unter ihnen scheint gesunken zu sein.
Viele dieser Resultate entspr?chen den Erwartungen der Forschungsgruppe, meint Stadtfeld. Interessanter werde es, wenn man einen Schritt weitergehe und sich frage, warum die negativen Effekte auf die Psyche bei gewissen Personen st?rker sind als bei anderen. ?Es zeigt sich, dass ein starkes soziales Netzwerk solche Effekte abfedern kann?, betont er. So erwiesen sich etwa Studierende ohne regelm?ssige Kontakte und solche, die allein wohnen, in der Studie als anf?lliger. Ein weiteres Kriterium scheint das Geschlecht zu sein. So gaben Studentinnen h?ufiger als Studenten an, im Lockdown ?ngstlich, niedergeschlagen oder gestresst zu sein. ?Frauen haben im Durchschnitt st?rkere soziale Netzwerke?, erkl?rt Kieran Mepham, einer der Koautoren der Studie. Dafür k?nne es für sie umso belastender sein, wenn diese eingeschr?nkt werden.
Massnahmen müssen früh ansetzen
Was kann eine Universit?t für diese Studierenden tun? Am wichtigsten sei es, die soziale Einbindung m?glichst früh zu f?rdern, meinen die Forschenden. Gelegenheiten zum Kennenlernen und für den informellen Austausch spielten hier eine grosse Rolle, zum Beispiel in Form von Events vor dem Studium, die auch an der ETH durchgeführt werden (siehe ETH-News vom 8. Juni 2020). Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie überlegt sich die Gruppe auch, wie sich Vernetzung online bewerkstelligen liesse. Physischer Kontakt lasse sich aber nicht vollst?ndig ersetzen, gibt Stadtfeld zu bedenken. ?In dieser Hinsicht ist es zu begrüssen, dass die ETH alles daran setzt, dass das kommende Herbstsemester mit einem gewissen Anteil an Pr?senzunterricht starten kann?, schliesst der Professor.
Literaturhinweis
Elmer T, Mepham K, Stadtfeld C. Students under lockdown: Comparisons of students’ social networks and mental health before and during the COVID-19 crisis in Switzerland. PLoS ONE. 23 July 2020. DOI: externe Seite 10.1371/journal.pone.0236337