ETH Forscher berechnen Turbulenzen mit Künstlicher Intelligenz
Erstmals ist es Forschern der ETH Zürich gelungen, die Modellierung von Turbulenzen zu automatisieren. Ihr Projekt verbindet Reinforcement Learning-Algorithmen mit turbulenten Str?mungssimulationen auf dem CSCS-Supercomputer ?Piz Daint?.
Für das Design eines Autos oder einer Herzklappe, für die Vorhersage des Wetters der n?chsten Tage, oder um die Geburt einer Galaxie zurückzuverfolgen, ist die Modellierung und Simulation turbulenter Str?mungen entscheidend. Die Str?mungsmechanik besch?ftigte bereits den griechischen Mathematiker, Physiker und Ingenieur Archimedes. Heute, rund 2000 Jahre danach, ist die Komplexit?t des Str?mungsverhaltens noch immer nicht vollst?ndig verstanden. Der Physiker Richard Feynman z?hlte Turbulenzen zu den wichtigsten ungel?sten Problemen der klassischen Physik. Bis heute sind sie ein aktives Forschungsthema für Ingenieurinnen, Wissenschaftlerinnen und Mathematikerinnen.
Die Auswirkungen von turbulenten Str?men müssen Ingenieure berücksichtigen, wenn sie ein Flugzeug oder eine künstliche Herzklappe bauen. Meteorologinnen müssen sie berücksichtigen, wenn sie das Wetter vorhersagen, ebenso Astrophysiker, wenn sie Galaxien simulieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Disziplinen modellieren seit über 60 Jahren Turbulenzen und führen Str?mungssimulationen durch.
Turbulente Str?mungen sind durch Str?mungsstrukturen charakterisiert, die sich über einen grossen Bereich r?umlicher und zeitlicher Gr?ssenmassst?be erstrecken. Für die Simulationen dieser komplexen Str?mungsstrukturen gibt es zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Die eine ist die direkte numerische Simulation (DNS), die andere die Large-Eddy-Simulation (LES).
Str?mungssimulationen testen die Grenzen von Supercomputern
Die DNS l?sen die für die Beschreibung von Str?mungen zentralen Navier-Stokes-Gleichungen, mit einer Aufl?sung von Milliarden und manchmal Billionen von Gitterpunkten. Die DNS ist die genaueste Methode zur Berechnung des Str?mungsverhaltens, aber leider ist sie für die meisten Anwendungen in der realen Welt nicht praktikabel. Denn um alle Details der turbulenten Str?mungen zu erfassen, ben?tigen sie weit mehr Gitterpunkte, als in absehbarer Zukunft von irgendeinem Computer verarbeitet werden k?nnen.
Aus diesem Grund verwenden die Forscher in ihren Simulationen Modelle, um nicht jedes Detail berechnen zu müssen und trotzdem hohe Genauigkeit zu erreichen. Beim LES-Ansatz werden die grossen Str?mungsstrukturen aufgel?st, w?hrend sogenannte ?Closure Models? die feineren Str?mungsskalen und deren Wechselwirkungen mit den grossen Skalen berücksichtigen. Die richtige Wahl des ?Closure Models? ist entscheidend für die Genauigkeit der Ergebnisse.
Eher Kunst als Wissenschaft
?Die Modellierung dieser turbulenten ?Closure Models? ist in den vergangenen 60 Jahren weitgehend einem empirischen Prozess gefolgt und ist nach wie vor eher eine Kunst als eine Wissenschaft?, sagt Petros Koumoutsakos, Professor am Labor für Computational Science and Engineering der ETH Zürich. Koumoutsakos und sein Doktorand Guido Novati sowie sein ehemaliger Masterstudent (nun Doktorand an der Universit?t Zürich) Hugues Lascombes de Larousilhe schlagen deshalb eine neue Strategie zur Automatisierung des Prozesses vor: Künstliche Intelligenz (KI) nutzen, um aus dem DNS die besten turbulenten ?Closure Models? zu lernen und sie dann auf die LES anzuwenden. Ihre Ergebnisse ver?ffentlichten sie in Nature Machine Intelligence.
Konkret entwickelten die Forscher neue Reinforcement Learning (RL) Algorithmen und kombinierten sie mit physikalischen Erkenntnissen, um Turbulenzen zu modellieren. ?Vor 25 Jahren leisteten wir Pionierarbeit bei der Kopplung von KI und turbulenten Str?mungen?, sagt Koumoutsakos. Aber damals waren die Computer noch nicht leistungsf?hig genug, um viele dieser Ideen zu testen. ?In jüngerer Zeit haben wir auch erkannt, dass die g?ngigen neuronale Netzwerke zur L?sung solcher Probleme nicht geeignet sind, da das Modell die Str?mung, die es erg?nzen soll, aktiv beeinflusst?, sagt der ETH-Professor. Die Forscher mussten deshalb auf einen anderen Lernansatz zurückgreifen, bei dem der Algorithmus lernt, auf bestimmte Muster im turbulenten Str?mungsfeld zu reagieren.
Automatisierte Modellierung
Die Idee hinter Novatis und Koumoutsakos neuartigen RL Algorithmus für Large-Eddy-Simulationen ist, die Gitterpunkte, die das Str?mungsfeld aufl?sen, als KI-Agenten zu verwenden. Die Agenten lernen ?Closure Models? durch die Beobachtung von Tausenden von Str?mungssimulationen. ?Um solche Simulationen in grossem Massstab durchführen zu k?nnen, war es entscheidend, Zugang zum CSCS-Supercomputer "Piz Daint" zu haben?, betont Koumoutsakos. Nach dem Training sind die Agenten frei, in der Simulation von Str?mungen zu agieren, in denen sie vorher nicht trainiert wurden.
Das Turbulenzmodell lernt, w?hrend es mit der Str?mung ?spielt?. ?Die Maschine ?gewinnt?, wenn die Ergebnisse von LES identisch sind mit denen von DNS, ?hnlich wie wenn Maschinen lernen eine Schachpartie oder das Spiel GO zu spielen?, sagt Koumoutsakos. ?W?hrend der LES führt die KI die Aktionen der ungel?sten Skalen durch, indem sie nur die Dynamik der aufgel?sten gro?en Skalen beobachtet.? Die neue Methode übertrifft laut den Forschern nicht nur gut etablierte Modellierungsans?tze, sondern kann auch über Gittergr??en und Str?mungsbedingungen verallgemeinert werden.
Der entscheidende Teil der Methode ist ein neuartiger, von Novati entwickelter Algorithmus, der identifiziert, welche der vorhergehenden Simulationen für jeden Str?mungszustand relevant sind. Der so genannte ?Remember and Forget Experience Replay?-Algorithmus (Merken- und-Vergessen-Erfahrung-Wiederholung-Algorithmus) übertrifft den Forschern zufolge die grosse Mehrheit der vorhandenen RL-Algorithmen bei mehreren Benchmark-Problemen, die über die Str?mungsmechanik hinausgehen. Das Team geht davon aus, dass ihre neu entwickelte Methode nicht nur beim Bau von Autos und bei der Wettervorhersage von Bedeutung sein wird. ?Für die meisten anspruchsvollen Probleme in Wissenschaft und Technik k?nnen wir nur die ?gro?en Ma?st?be? l?sen und die ?feinen? modellieren?, sagt Koumoutsakos. ?Die neu entwickelte Methodik bietet einen neuen und leistungsf?higen Weg zur Automatisierung der Multiskalenmodellierung und zum Fortschritt der Wissenschaft durch eine vernünftige Nutzung der KI.?
Literaturhinweis
Novati G, Lascombes de Laroussilhe H & Koumoutsakos P: Automating turbulence modelling by multi-agent reinforcement learning, Nature Machine Intelligence, January 4 2021, DOI: externe Seite 10.1038/s42256-020-00272-0