Resilienz als positive Kraft
St?rungen stellen unser Leben auf den Kopf. Doch wenn der Mensch die richtigen Wege findet, konstruktiv mit ihnen umzugehen, k?nnen sich St?rungen und Resilienz positiv auswirken.
Ob im System Mensch, Gesellschaft oder Technik: St?rungen sind kaum vermeidbar. Wie k?nnen Mensch und Maschine sinnvoll reagieren und wie k?nnen sie aus solchen Situationen lernen?
St?rungen l?sen h?ufig das Gefühl von Unsicherheit aus – wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. ?Wir fühlen uns in unserem Macht- und Kontrollgefühl eingeschr?nkt?, erkl?rt Petra Schmid, Assistenzprofessorin für Organisationsverhalten. Diese Unterbrechungen setzen eine ganze Kette von Reaktionen in Gang. ?Wird der normale Tagesablauf beeintr?chtigt, so müssen wir mehr Selbstkontrolle aufwenden, um diese St?rung auszugleichen?, sagt die Psychologin. Wir haben mehr Mühe, uns zu konzentrieren, und verlieren schneller den Fokus.
Wie sich eine St?rung auf die Resilienzkraft auswirkt, ist von der betroffenen Person abh?ngig. ?Je nachdem, wie anf?llig die jeweilige Person ist, kann sie dank der richtigen Resilienzstrategie gest?rkt aus einer negativen Erfahrung hervorgehen?, betont Schmid.
Ohne St?rung kein Fortschritt?
Auch wenn St?rungen in erster Linie unerwünscht sind, k?nnen sie in der Folge aber auch einen Sekund?rgewinn bieten – sie geben Raum für M?glichkeiten, etwas zu ?ndern. ?Eine St?rung kann für Umbruchsstimmung sorgen, die man nutzen kann?, ist die Psychologin überzeugt. Zeiten der Ver?nderung k?nnen genutzt werden, um zu reflektieren und sich auf die eigentlichen Werte zu besinnen: Was ist wirklich wichtig? Was will ich wirklich? Sie führt weiter aus: ?Es ist oft so, dass man in Zeiten, in denen weniger St?rungen auftreten, eher weniger motiviert ist für solche ?berlegungen.?
Auch der Blick auf die Geschichte zeigt: Es gab als Folge eines Defizits besonders viel Ver?nderung und Fortschritt, weil die Menschheit bestrebt war, den gest?rten Zustand auszugleichen. Im Umkehrschluss: Gibt es ohne St?rungen keinen Fortschritt?
Petra Schmid bejaht die Frage: ?Beeintr?chtigungen des allt?glichen Trotts f?rdern Kreativit?t und Innovation.? Ohne Defizite würde der Mensch nicht viel ver?ndern wollen. So sieht sie auch in der Coronapandemie positive Aspekte: Neue Arbeitsformen seien entstanden und Menschen würden sich mehr Zeit für Hobbys nehmen, für die sie in normalen Zeiten nicht die Zeit gefunden h?tten – ob es nun um ein neues Sportprogramm gehe oder darum, eine neue Sprache zu lernen oder an sich selbst zu arbeiten.
?Eine St?rung kann für Umbruchstimmung sorgen, die man nutzen kann.?Petra Schmid
Erpicht auf Normalit?t
Der ETH-Kognitionswissenschaftler Christoph H?lscher befasst sich mit verschiedenen Formen der Resilienz, nicht nur beim Menschen: ?Die Resilienz als solche kann auf verschiedene Disziplinen angewendet werden.? Denn jedes System kennt zwei Zust?nde: den Normalzustand und den gest?rten Zustand. Ein System kann dabei ein Mensch, eine technische Infrastruktur oder die Kombination aus beidem darstellen. Wird das System gest?rt, so ist das System erpicht darauf, wieder in den normalen Zustand überführt zu werden.
Somit kann das Prinzip der Resilienz beim Menschen auch auf technische Systeme angewendet werden, sofern diese Systeme adaptiv auf die Umwelt reagieren k?nnen. ?Einer der Wege, Resilienz entwickeln zu k?nnen, ist die adaptive Kognition?, sagt Christoph H?lscher. Das bedeutet die F?higkeit, ad?quat auf seine Umwelt reagieren zu k?nnen und aus Herausforderungen zu lernen. ?Egal, ob Mensch oder Maschine – sie lernen immer dann, wenn etwas nicht im Standardrahmen stattfindet.?
Formel für mehr Resilienz
Den Wissenschaftler interessiert in diesem Kontext besonders, wie eine Maschine von ihrem Benutzer lernt und umgekehrt. Wie müssen beispielsweise Beatmungsger?te im MedTech-Bereich gestaltet sein, damit die Menschen sie auch in Stresssituationen schnell und zielführend bedienen k?nnen? Aus seiner Sicht gibt es dazu zwei wichtige Strategien: ?Anzuerkennen, dass es kein perfektes System gibt, ist der erste Schritt. Viel wesentlicher ist aber, dass die Benutzenden die n?tige Expertise aufbauen müssen, um mit dem Ger?t umgehen zu k?nnen.? Konkret bedeutet das, mit dem System zu üben – zuerst im normalen Zustand und ohne Stressfaktor – und dann kontinuierlich den Stressfaktor im Training zu erh?hen. So wird das auch bei Cockpit-Trainings gemacht, wo Mensch und Maschine eng miteinander arbeiten müssen.
?Unabh?ngig von der Expertise und der Ausgestaltung technischer Systeme ist jedoch der pers?nliche Faktor entscheidend. Wie gehen die Betroffenen mit Stress um??, fügt H?lscher hinzu. Dabei sei der Grad, in dem man die St?rung nach innen oder aussen attribuiere, entscheidend. Gibt man sich selbst oder der Situation die Schuld? H?lscher: ?Ein bestimmtes Mass an Eigenverantwortung ist zentral, doch zu viel eigene Schuldzuweisung kann die betroffene Person blockieren.?
Treiber für Ver?nderung
Tatsache ist: St?rungen sind n?tig, um Transformationsprozesse in Gang zu bringen. ?Sie bieten das Potenzial für nachhaltige Ver?nderungen?, sagt H?lscher. ?hnlich wie Schmid sieht auch er die Pandemie als St?rfall, der gleichzeitig als Beschleuniger für gewisse Trends und Innovationen wie Homeoffice und Videokonferenzen wirkt. St?rungen k?nnen positive individuelle, aber auch gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen – jedoch stets zu einem gewissen Preis, betont der Kognitionswissenschaftler. Entscheidend seien dabei geeignete Copingmechanismen und die n?tige Anpassungsf?higkeit der involvierten Systeme. Mittels Reflexion und der n?tigen Expertise k?nnen St?rungen und Resilienz eine positive Kraft entfalten.
Dieser Text ist in der Ausgabe 21/01 des ETH-Magazins Globe erschienen.