Wie Traumata unsere Gehirnzellen prägen
ETH-Fellow Rodrigo Arzate-Mejia untersucht, wie sich traumatische Lebenserfahrungen auf unser Gehirn auswirken. Dabei hat er epigenetische Ver?nderungen in den Gehirnzellen im Blick.
Mangelnde Fürsorge, einschneidende Ereignisse oder gar Missbrauch: Traumatische Kindheitserfahrungen erh?hen das Risiko für psychische und physische Erkrankungen und k?nnen auch lange Zeit sp?ter noch zu psychiatrischen St?rungen führen. Doch wie werden traumatische Erlebnisse dauerhaft im Gehirn gespeichert? Was passiert in den Nervenzellen eines Kindes, wenn Angst und Stress seine normalen Bew?ltigungsmechanismen überfordern?
?Wir gehen heute davon aus, dass Erfahrungen abgespeichert werden, indem sich die Verbindungen zwischen den Hirnzellen ver?ndern. Doch was genau auf molekularer Ebene in diesen Zellen passiert, ist weiterhin ein R?tsel?, erkl?rt ETH-Fellow Rodrigo Arzate-Mejia. Der gebürtige Mexikaner forscht seit fast einem Jahr im Labor für Neuroepigenetik von Isabelle Mansuy, die eine Doppelprofessur an der ETH und an der Universit?t Zürich inne hat.
Mehr als die Summe unserer Gene
Mit dem Aufkommen der Genetik setzte sich zunehmend die Sichtweise durch, dass unsere Gene bestimmen, wer wir sind. Dieses starre Menschenbild geriet in den letzten 20 Jahren im Zuge der Sequenzierung des Genoms langsam ins Wanken. Für junge Biologen wie Arzate-Mejia, mit dem wir uns Corona bedingt virtuell treffen, ist der genetische Determinismus der 1990er-Jahre heute nicht mehr haltbar: ?Wir k?nnen mittlerweile sehr gut belegen, dass Umwelteinflüsse wie das soziale Milieu in dem wir leben, unsere Ern?hrung, oder k?rperliche Bet?tigung die Aktivit?t unsere Gene beeinflussen.?
Diese externen Faktoren wirken auf unser Genom, indem sie mit dem Epigenom interagieren, einem Ensemble biochemischer Markierungen auf oder um die DNA herum. Im Gegensatz zur DNA, deren Sequenz unver?nderlich ist, kann das Epigenom durch eine sich ?ndernde Umgebung modifiziert werden. Epigenetische Mechanismen sind notwendig, um die DNA zu lesen und zu interpretieren. ?Ohne sie?, so der ETH-Postdoc, ?sind Gene lediglich ein starrer Code. So wie eine Partitur ohne Musiker, der sie interpretiert.?
Nur durch die Anpassung des Epigenom auf unterschiedliche Umwelteinflüsse ist zum Beispiel zu erkl?ren, warum eineiige Zwillinge, die das gleiche Genmaterial teilen, sich sowohl k?rperlich als auch charakterlich unterscheiden k?nnen. Je nach Erfahrungen und Lebensbedingungen treten geringfügige Unterschiede in der Aktivit?t einiger Gene auf, die im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Merkmalen führen.
Doch damit nicht genug: Isabelle Mansuy konnte mit ihrem Team bei M?usen zeigen, dass Umwelteinflüsse epigenetische Spuren auf Genen hinterlassen, welche sich über die Keimzellen von einer Generation auf die n?chste übertragen k?nnen. Die durch traumatische Kindheitserfahrungen ausgel?ste Depression wird damit ebenso vererbbar wie die Augenfarbe oder die Statur.
Die Architektur des Genoms
Rodrigo Arzate-Mejia ist 16, als er das erste Mal von Epigenetik h?rt. Als Teilnehmer der nationalen Biologie-Olympiade, welche die mexikanische Akademie der Wissenschaften zur F?rderung talentierter Schüler organisiert und die er mit dem zweiten Platz abschliesst, nimmt er an einem Vortrag zur Molekulargenetik teil. Das Thema l?sst ihn seither nicht mehr los. ?Damals habe ich das erste Mal geh?rt, dass alle Zellen zwar die gleiche DNA haben, aber auf Grund divergierender epigenetischer Mechanismen und Interaktionen mit ihrer Umwelt sehr unterschiedliche Funktionen übernehmen.?
Die Frage, wie Gene reguliert werden, wird ihn w?hrend seines ganzen Studiums an der Universidad Nacional Autónoma de México in Mexiko City begleiten. Dort wird Arzate-Mejia nach Forschungsaufenthalten an der Johns Hopkins University, dem Marine Biological Laboratory in Massachusetts und der Emory University 2020 auch sein Doktorat abschliessen. In seiner Dissertation zeigt er mit einem Mix aus innovativen Methoden aus der Molekularbiologie, der Genetik und der Bioinformatik, dass die Genomarchitektur entscheidend ist für die Regulation der Genaktivit?t.
Die DNA einer Zelle ist rund zwei Meter lang. Obwohl sie im winzig kleinen Zellkern Platz hat, kann sie trotzdem ihre Struktur ?ndern. Welche Gene wie aktiviert werden, h?ngt daher auch von der r?umlichen Anordnung des DNA-Stranges ab. Hinzu kommt: Die DNA kann sogenannte Chromatinschlaufen bilden, welche die Isolierung einiger Gene erm?glichen. ?Da diese Gene besonders wichtig sind und deshalb nicht unkontrolliert aktiviert werden dürfen, erhalten sie im Zellkern ihren eigenen Raum in diesen Schlaufen?, erkl?rt der ETH-Postdoc. Für diese Erkenntnis wird Arzate-Mejia mit dem Weizmann Preis für die beste naturwissenschaftliche Dissertation der mexikanischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Sie wird sp?ter auch in der Zeitschrift externe Seite Nature Communications ver?ffentlicht.
Diese Ver?nderungen der Genarchitektur k?nnen dann unter dem Mikroskop beobachtet werden. (Bild: ETH Zürich / Stefan Weiss) Anschliessend wird die Ver?nderung der Genarchitektur am Bildschirm analysiert. (Bild: ETH Zürich / Stefan Weiss)
Die molekulare Basis traumatischer Erfahrungen
Nach seiner Promotion will sich Arzate-Mejia im Bereich Neuroepigenetik spezialisieren. Es sind die Nervenzellen, die es ihm angetan haben: ?Neuronen teilen sich im Unterschied zu anderen Zellen nicht mehr. Sie integrieren sehr viel Information, passen sich kontinuierlich ihrer Umwelt an und eignen sich daher gut um zu verstehen, wie Erfahrungen molekular gespeichert werden.? Zudem steht die Erforschung epigenetischer Ver?nderungen im Gehirn erst am Anfang. Für Arzate-Mejia ein optimales Forschungsgebiet, um seine Erkenntnisse zur Genomarchitektur auf kognitive Prozesse auszuweiten.
Dass 2019 eine Postdoc-Stelle bei Isabelle Mansuy frei wird, einer Pionierin auf diesem Gebiet, ist für Arzate-Mejia ein glücklicher Zufall: ?Ich h?tte mir keinen besseren Ort für meine aktuelle Forschung wünschen k?nnen?, betont der ETH-Fellow. Sein Umzug nach Zürich verz?gert sich zwar auf Grund der Corona-Pandemie etwas, geht dann aber dank des Einsatzes aller Beteiligten reibungslos vonstatten.
Traumatisierte Nervenzellen
Um zu verstehen, wie sich traumatische Erfahrungen auf die Nervenzellen auswirken, arbeitet Arzate-Mejia mit Laborm?usen. Diese eignen sich besonders gut als Modellorganismen und erm?glichen Erkenntnisse, die auch auf den Menschen übertragbar sind.
?Wir setzten junge M?use Bedingungen aus, die ein Kindheitstrauma simulieren. Wenn die Tiere dann erwachsen sind, testen wir ihr Verhalten und ihre kognitiven Leistungen und untersuchen ihre Nervenzellen im Gehirn auf genetische und epigenetische Ver?nderungen?, erkl?rt Arzate-Mejia die Versuchsanordnung. Beim Umgang mit den Tieren, betont er, gelten sehr strenge Auflagen: ?Ohne Tiere w?re eine Erforschung der Ursachen von traumatischen Ereignissen schlicht nicht m?glich. Wir behandeln sie mit der gr?ssten Sorgfalt und mit Respekt.? Bevor der Biologe überhaupt mit M?usen arbeiten durfte, musste er ausserdem eine obligatorische Ausbildung absolvieren.
Erste Ergebnisse dieser Forschung deuten darauf hin, dass auch Gene, die für wichtige kognitive Funktionen im Gehirn verantwortlich sind, durch Chromatinschlaufen geschützt sind. Wird dieser Schutz durch Ver?nderungen in der DNA-Struktur beeintr?chtigt, die durch Stress erzeugtet wurden, k?nnen dauerhafte Fehlfunktion resultieren, da die Gene dann unkontrolliert mit ihrer Umwelt interagieren. Für den ETH-Postdoc sind das vielsprechende Aussichten: ?Obwohl unsere Forschung noch am Anfang steht, glauben wir durch diesen Mechanismus besser verstehen zu k?nnen, wie sich traumatische Erlebnisse im Zellkern einpr?gen.?