Kulturstätte und Pionierbau aus dem 3D-Drucker
Der 23 Meter hohe Turm aus 3D-gedrucktem Beton soll eine Kulturst?tte im Dorf Mulegns am Julierpass werden. ETH-Architekten und -Ingenieure entwarfen und planen ihn. Im Frühling 2022 soll der Bau beginnen, Roboter drucken die Bauteile des Turmes vor Ort, sodass jede und jeder zusehen kann.
Das Dorf Mulegns liegt an der Julierpassstrasse und hat noch sechzehn Einwohnerinnen und Einwohner. Jetzt soll die Kultur einziehen und den Ort neu beleben. Diesen Plan verfolgt Giovanni Netzer, Theaterintendant und Gründer des Origen-Kulturfestivals. Seine Stiftung liess dafür eine alte Villa verschieben, nahm ein Hotel wieder in Betrieb und l?sst jetzt einen Turm aus weissem Beton drucken.
Digitale Bautechnologie im Bergdorf
Entworfen und geplant haben den ?Weissen Turm? ETH-Professor Benjamin Dillenburger und Michael Hansmeyer aus der Forschungsgruppe Digitale Bautechnologien zusammen mit der Origen Stiftung. Heute hat die Stiftung das Projekt in Mulegns erstmals pr?sentiert. Pers?nlich vorstellen liess sich das Projekt auch der Schweizer Bundespr?sident Guy Parmelin.
Der Turm ist 23 Meter hoch und besteht haupts?chlich aus 3D-gedruckten, organisch geformten, weissen Betons?ulen. Sie tragen vier Etagen, die zwischen vier und acht Metern hoch sind. Ganz oben bilden sie eine Kuppel und umrahmen eine Bühne, auf der Theater, Tanz und Konzerte stattfinden sollen.
Das Projekt verbindet Kultur und Wissenschaft. Mit der Zusammenarbeit wolle die ETH die Brücke zwischen Kultur, Forschung und Technologieentwicklung st?rken, sagt Detlef Günther, Vizepr?sident für Forschung der ETH Zürich. ?Denn neues Wissen entsteht oft dort, wo sich unterschiedliche Disziplinen treffen.?
Der weisse Turm wird zu einem markanten Bau am Julierpass. Er soll optisch an die Bündner Zuckerb?cker-Tradition erinnern. Zahlreiche Bündner Auswanderer hatten sich im 18. Jahrhundert in Europas Hauptst?dten einen Namen als Patissier gemacht, ihre Torten waren filigrane, kleine Zuckertürme mit aufw?ndiger Verzierung.
Vier ETH-Professuren beteiligt
Herausragend soll der Turm nicht nur künstlerisch, sondern auch bautechnisch sein: Er wird eine der h?chsten jemals 3D-gedruckten, von Robotern gebauten Strukturen sein. An der Entwicklung beteiligt sind neben Benjamin Dillenburger drei weitere ETH-Professoren des Nationalen Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation: Robert Flatt arbeitet an der Betonmischung, sozusagen der ?Tinte? für den 3D-Drucker, Walter Kaufmann an der Tragstruktur und den Verbindungen der gedruckten Beton-Elemente und Andreas Wieser an der Vermessung und Formkontrolle.
Die Bauweise mittels 3D-Druck erlaubt es, komplexe Geometrien herzustellen und den Beton genau dort einzusetzen, wo er für die Tragstruktur auch ben?tigt wird. Weil zudem die Schalung entf?llt, kommt der Bau insgesamt mit weniger Rohmaterialien aus.
Dem Roboter zuschauen
L?uft alles nach Plan, wird im April 2022 eine ?ffentliche Baustelle eingerichtet. Jede und Jeder soll dabei zusehen k?nnen, wie ein Roboter den weissen Beton Schicht für Schicht auftr?gt. Für eine drei Meter hohe S?ule ben?tigt er gerade einmal zwei Stunden. Eingeplant ist bereits auch der Rückbau: Die Betonelemente k?nnen wieder voneinander getrennt und der Turm kann theoretisch an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden.
Die ETH und die Stiftung Origen arbeiteten bereits im Jahr 2019 zusammen: Digital gedruckte Betons?ulen bildeten damals in den G?rten der Villa Carisch in Riom ein Bühnenbild für Tanz und Theater.