Frische Kräuter aus Hallen und Bunkern
Aus der Halle statt vom Feld: Das ETH Spin-Off YASAI will schon bald 20 Tonnen Kr?uter pro Jahr aus einer Indoor-Anlage ernten. ?Vertical Farming? bringt vor allem ?kologische Vorteile. Mit weniger Ressourcen kann mehr produziert werden.
Mark Zahrans Grossvater fuhr im Berner Mittelland mit dem Traktor aufs Feld. Er selber tüftelt nun in einem Zürcher Grossraumbüro daran, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen k?nnte. ?Unser ?kologischer Fussabdruck h?ngt zu einem grossen Teil davon ab, wie wir unsere Lebensmittel produzieren?, sagt Zahran auf dem kleinen Vorplatz des Büros, wenige Meter daneben rauscht die Sihl. ?Zudem brauchen wir L?sungen, wie wir bis 2050 eine Weltbev?lkerung von 10 Milliarden Menschen nachhaltig ern?hren k?nnen.?
Zahran, der vor zwei Jahren seinen Architektur-Master an der ETH absolviert hat, ist Gründer von YASAI. Das bedeutet auf japanisch Gemüse und zeigt, worauf es die neuartige Landwirtschaft abgesehen hat. Mit der Zukunftstechnologie ?Vertical Farming? soll nicht mehr draussen auf dem Feld, sondern drinnen in Hochh?usern oder hohen Hallen angebaut werden: Gemüse, Salate und Kr?uter wachsen übereinander gestapelt auf mehreren Regalen. Das Besondere daran: Die Pflanzen gedeihen nicht in der Erde, sondern in n?hrstoffreichem Wasser. Das Klima des Raums – Licht, Temperatur, Bew?sserung – wird automatisch reguliert. Künstliche Intelligenz hilft dabei, die idealen Bedingungen zu schaffen.
Mehr Ertrag, weniger Verbrauch
Einiges spricht dafür, dass die neue Art des Gemüseanbaus eine Zukunft hat. Denn die Produktion unter künstlichen Bedingungen ist viel ressourceneffizienter als jene auf dem Feld. ?Auf der gleichen Fl?che produzieren wir 15 Mal mehr und brauchen 95 Prozent weniger Wasser?, erkl?rt Zahran. Ausserdem werden keinerlei Pestizide ben?tigt, und weil der Anbau im Siedlungsgebiet erfolgt, entfallen für die Umwelt sch?dliche Transportkosten. ?Unsere Produkte sind sogar besser als Bio. Denn wir produzieren nachhaltiger. Aus weniger Ressourcen machen wir mehr. Garantiert ohne Pestizide?, sagt Zahran.
St?rker als andere Vertical-Farming-Startups hat sich YASAI der Kreislaufwirtschaft verschrieben. Das gr?sste Problem beim Vertical Farming ist n?mlich die Energie, die notwendig ist, um die Hallen auf 25 Grad zu heizen und das Sonnenlicht mittels Lampen zu imitieren. ?Darum nutzen wir Abw?rme zum Heizen und energiesparende LED-Lampen für die Beleuchtung.? Ausserdem sollen organische Abf?lle für den Anbau rezykliert und Dünger aus Abwasser verwendet werden.
Die Idee zu YASAI kam Zahran auf einer Studienreise in Mexico-City, wo er ein Buch des Vertical-Farming-Pioniers Dickson Despommier gelesen hatte. In seiner Masterarbeit suchte Zahran daraufhin nach R?umen in der Schweiz, die sich für die vertikale Landwirtschaft eignen. Und er wurde fündig: ?Ungenutzte Industriehallen mit hohen R?umen gibt es hier zuhauf, und auch unterirdische Bunker eignen sich ganz gut.? Ende 2020 gründete Zahran gemeinsam mit seinem Halbbruder Stefano Augstburger sowie dem Umweltingenieur Philipp Bosshard eine Firma. Die drei feilten am Konzept für ihre erste ?Vertical Farm?.
Die ersten Kr?uter ernten
Schon bald wollen sie die ersten Früchte ihrer Arbeit ernten – oder besser gesagt: die ersten Kr?uter. Denn ab kommendem Herbst sollen in einer über 1000 Quadratmeter grossen Fabrikhalle in Niederhasli Basilikum, Pfefferminze, Koriander und Co. wachsen. Auch der Anbau von speziellen Kr?utern wie Mizuna oder Shiso Green ist geplant. L?uft alles nach Plan, wird sechs Wochen sp?ter erstmals geerntet. Rund 20 Tonnen Kr?uter pro Jahr sollen fortan in den Handel kommen. Das Pilotprojekt m?glich macht eine Partnerschaft mit der Agrargenossenschaft Fenaco, die in das Startup mitinvestiert hat.
Doch warum gerade Küchenkr?uter? ?Das sind die Produkte, die meistens eingeflogen werden und zudem profitabel sind? so Zahran. Denn nachhaltiger Anbau hin oder her: Das Startup muss auch am Markt bestehen k?nnen. Zwar sei Vertical Farming prinzipiell für jegliche Gemüse- oder Früchtearten m?glich. ?Mit billigen Peperoni aus Spanien k?nnen wir aber noch nicht konkurrieren.?
Niederhasli soll aber nicht das Ende sein. Denn wenn die Landwirtschaft der Zukunft wirklich einen signifikanten Unterschied machen soll, dann muss sie sich weltweit durchsetzen – gerade in Regionen, wo es an Wasser oder fruchtbarem Ackerland fehlt. ?Vertical Farming bedeutet lokale Produktion. Also dort anbauen, wo auch konsumiert wird?, so Zahran. Mit seinen Produkten m?chte er darum in erster Linie mit Importen konkurrieren. Ein Teil des Gesch?ftsmodells von YASAI ist es auch, im Auftrag von Kunden vertikale Farmen zu bauen und zu betreiben.
Schutzanzug statt Sonnenhut
Zehn Mitarbeitende brüten im Zürcher Büro daran, wie der Gemüseanbau der Zukunft sowohl ?kologisch als auch ?konomisch sein kann. Bereits tüfteln sie an einer Anlage, die zehnmal gr?sser sein soll als jene in Niederhasli. Aber auch für den Gaumen k?nnte die neue Art des Gemüseanbaus Vorteile bringen. Denn in kontrollierter Umgebung gedeihen auch Kr?uter mit ausgefalleneren Geschmacksrichtungen optimal – so zum Beispiel Zitronenbasilikum oder Schokoladenminze.
Steuert der Bauer der Zukunft also seine Saat am Computer, statt dass er wie Zahrans Grossvater mit dem Traktor aufs Feld f?hrt? Selbst wenn es so weit kommen sollte, eines wird sich vorl?ufig nicht ?ndern: die Ernte erfolgt von Hand. Mit dem Unterschied, dass die Pflücker der Zukunft keinen Sonnenhut tragen, dafür Ganzk?rperanzug, Brille und Handschuhe – denn nur so l?sst sich verhindern, dass Sch?dlinge in die Halle gelangen.