Wir sind weniger Gentech-skeptisch als gedacht
Schweizer Konsumierende wollten eine gentechfreie Landwirtschaft, heisst es oft. Doch die Akzeptanz gegenüber gentechnisch ver?nderten Kulturpflanzen ist vermutlich h?her als dargestellt, meint Angela Bearth.
Das in der Schweiz herrschende Anbauverbot für gentechnisch ver?nderte Kulturpflanzen l?uft Ende Jahr aus. Nun soll das Moratorium zum vierten Mal verl?ngert werden und – wie bisher – auch die moderne Genom-Editierung umfassen. Somit dürfte dieses für die Pflanzenzüchtung vielversprechende Werkzeug gleich streng reguliert bleiben wie die klassische Gentechnologie. Ein h?ufiges Argument für die strikte Regulierung ist, dass die Konsumentinnen und Konsumenten gentechnisch ver?nderte Produkte ohnehin ablehnen. Genau betrachtet steht dieses Argument aber auf wackeligen Beinen.
So verweisen Befürworter des Moratoriums oft auf ?ltere Studien, die sich auf die frühen Gentech-Methoden beziehen, oder sie stützen sich auf ungeeignete Daten. Beispielsweise wird h?ufig eine Befragung des Bundesamts für Statistik1 als Beleg für die mangelnde Konsumentenakzeptanz zitiert. Darin geben Konsumenten j?hrlich an, wie gef?hrlich sie Gentechnologie zur Produktion von Lebensmitteln finden. Diese wird demnach als vergleichbar gef?hrlich eingesch?tzt wie die sinkende Biodiversit?t, synthetische Pflanzenschutzmittel oder der Klimawandel.
Unsere Wahrnehmung h?ngt vom Kontext ab
Aus dieser isolierten Frage zu schliessen, dass die Konsumenten Gentechnik grunds?tzlich ablehnen, ist falsch. Der Fokus auf die Gefahr losgel?st vom Kontext der Technologie blendet weitere Aspekte aus, die ebenfalls eine Rolle spielen k?nnen für die Akzeptanz. Aus der Risikoforschung wissen wir, dass Leute ein kleines Mass an Unsicherheit akzeptieren, wenn sie einen pers?nlichen oder gesellschaftlichen Nutzen erkennen.
Als Psychologin m?chte ich verstehen, wie Menschen mit komplexen Themen umgehen und entscheiden. Ich besch?ftige ich mich h?ufig mit naturwissenschaftlichen Themen und kollaboriere mit anderen Disziplinen. Es wird allgemein untersch?tzt, wie viel Arbeit in einen guten Fragebogen zur Akzeptanz bestehender oder neuer Technologien einfliesst. Dabei gibt es evidenzbasierte Prinzipien, um valide und relevante Antworten zu erhalten.
Befragen, ohne zu beeinflussen
Das erste Prinzipien ist, Fragen so zu formulieren, dass sie keine Antworttendenzen ausl?sen. Wer direkt fragt, wie gef?hrlich man Gentechnologie findet, suggeriert bereits, dass eine Gefahr besteht. Das begünstigt extremere Antworten als etwa eine neutrale Frage nach der pers?nlichen Einsch?tzung.
Als weiteres Prinzip sollte man sicherstellen, dass die befragten Personen verstehen, was sie beurteilen. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Menschen bei unsicheren Entscheidungen so genannte Heuristiken – also einfache Daumenregeln – nutzen. Wer wenig über ein Thema weiss, l?sst sich von Assoziationen leiten. Bei der Frage ?H?ttest du lieber eine normale oder eine Gentech-Kartoffel? w?hlen mehr Menschen die ?normale? Kartoffel, weil sie bei der Gentechnik ein diffuses Unbehagen empfinden oder an ?Frankenstein-Kartoffeln? aus dem Internet denken.
Es fehlt an aussagkr?ftigen Daten
Um zu beurteilen, wie Schweizer Konsumentinnen zur Gentechnologie stehen, br?uchte es neue sozialwissenschaftliche Daten, die der Komplexit?t des Sachverhalts gerecht werden. Seitdem das Stimmvolk die Gentechfrei-Initiative im Jahr 2005 angenommen hat, haben sich Wissenschaft und Gesellschaft enorm weiterentwickelt.
?Ich halte es für denkbar, dass die Gesellschaft angesichts der dr?ngenden Probleme wie Pestizideinsatz, Klimawandel und Artensterben neue Technologien eher annehmen wird.?Angela Bearth
So sind die neuen Verfahren der Genom-?Editierung viel pr?ziser als die Gentechnik der Nullerjahre und bergen das Potenzial, krankheitsresistente und klimatolerante Kulturpflanzensorten effizient zu züchten, ohne artfremde DNA ins Erbgut einzubauen. Derweil haben sich die befürchteten Risiken durch genetisch ver?nderte Pflanzen bislang nicht bewahrheitet. Viele Forschende schlagen daher vor, das Risiko von neuen Sorten nicht generell aufgrund der Züchtungsmethode, sondern fallweise anhand ihrer Eigenschaften zu bewerten.
Zudem w?chst eine neue Generation von Konsumentinnen heran, die nachweislich offener ist für innovative L?sungen in der Landwirtschaft. Ich halte es für denkbar, dass die Gesellschaft angesichts der dr?ngenden Probleme wie Pestizideinsatz, Klimawandel und Artensterben neue Technologien eher annehmen wird.
Die Debatte frisch lancieren
In einer Studie zur Akzeptanz von L?sungsans?tzen gegen die Kartoffelf?ule2 haben wir Probanden vier Massnahmen pr?sentiert, welche die Kartoffeln schützen oder resistent machen: Synthetische Fungizide spritzen, mit Kupfer behandeln, Gene einer Wildsorte in die Kartoffel übertragen (Gentechnologie) oder das Erbgut der kultivierten Kartoffel ver?ndern (Genom-Editierung). Das Ergebnis: Die Akzeptanz war am h?chsten gegenüber der Gentechnologie.
Von dieser einen Studie auf eine breite Zustimmung in der Schweizer Bev?lkerung zu schliessen, w?re sicher ebenfalls falsch. Die Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass die Frage nach der Wahrnehmung der Gentechnologie vielschichtiger ist als dargestellt wird.
Wenn wir von vornherein ausschliessen, dass Konsumierende offen sind für gut erforschte Technologien, ist das unverantwortlich und entmündigend. Wenn wir den Menschen die richtigen Fragen stellen, erhalten wir auch relevante Antworten.
Angela Bearth ist Vizepr?sidentin des Forums Genforschung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz.
Referenzen
1 Bundesamt für Statistik: externe Seite Umwelt. Taschenstatistik 2020. Kapitel 4, Einsch?tzung der Gefahr für Mensch und Umwelt (Seite 40).
2 Saleh, Bearth, & Siegrist (2020). How chemophobia affects public acceptance of pesticide use and biotechnology in agriculture. Food Quality and Preference, 91, 104197, externe Seite 10.1016/j.foodqual.2021.104197