Mit Vakuum die Haut untersuchen
Die Biomechanikerin Bettina Müller hat ein Ger?t entwickelt, mit dem die Heilung von Narben besser untersucht werden kann. Damit will sie ?rztinnen und ?rzte bei der Diagnose von Hautkrankheiten unterstützen. Innert zwei Jahren soll ?Nimble? marktreif sein.
Fast jeder hat sie irgendwo am K?rper: Narben. Sie entstehen, wenn nebst den obersten Hautschichten auch das darunter liegende Bindegewebe verletzt wird. Um die Verletzung wieder zu schliessen, bildet der K?rper zun?chst Kollagenfasern, welche die Wundr?nder zusammenzuziehen. Das daraus entstehende Narbengewebe ist jedoch h?rter und weniger elastisch als die gesunde Haut. Bis die ursprüngliche Hautstruktur wiederhergestellt ist, dauert es unter Umst?nden Jahre.
Bei schweren Hautverletzungen wie Verbrennungen kann sich die Narbe krankhaft ver?ndern. Eine ?berproduktion von Kollagen macht sie dick und wulstig. Das kann Schmerzen bereiten und die Beweglichkeit einschr?nken. ?rzte und ?rztinnen beobachten die Narbenheilung daher mindestens ein Jahr lang. Bettina Müller, Postdoktorandin am Institut für Mechanische Systeme der ETH Zürich, hat nun ein Messger?t namens ?Nimble? entwickelt, das diese Untersuchungen unterstützen soll.
Medizin und Technik kombiniert
Dass ihr Beruf etwas mit Medizin zu tun haben soll, merkt die gebürtige Feldkircherin schon in der Hauptschule. Weil sie sich aber als 14-J?hrige für den Schwerpunkt ?Elektrotechnik? entscheidet, besucht sie statt Biologie F?cher wie Informatik und Hochfrequenztechnik. Eine M?glichkeit, den technischen Hintergrund und das Interesse für Medizin zu verbinden, findet Müller dennoch: das Medizintechnik-Studium an der Technischen Universit?t München.
Für ihre Doktorarbeit sucht sie dann bewusst nach einem Projekt, das nahe an der Anwendung steht. Die Wissenschaftlerin sagt:
?Mir war wichtig, dass meine Forschung der Medizin einen direkten Nutzen bringt.?Bettina Müller
Die Entwicklung eines Hautuntersuchungsger?t als Teilprojekt des interdisziplin?ren Verbundes externe Seite Skintegrity.CH hat diese Erwartungen mehr als erfüllt.
Die Messmethode ist in der Gruppe von Edoardo Mazza, Professor am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik, bereits etabliert, als Müller mit der Arbeit beginnt. Die Aufgabe der Biomechanikerin besteht darin, ein Ger?t anzufertigen, das sich einfach und flexibel bei medizinischen Hautchecks einsetzen l?sst. So ist etwa ein kleiner Messkopf, der alle m?glichen K?rperstellen erreicht, gefordert.
Mit Vakuum die Elastizit?t der Haut messen
Heute – fünf Jahre nach Beginn ihrer Doktorarbeit – steht die 32-J?hrige der Anwendung so nah wie noch nie. Anfang September erh?lt sie ein ETH Pioneer Fellowship, um das Vorhaben weiterzuverfolgen. Das Ziel: ?Nimble? soll innert zwei Jahren als Medizinger?t auf den Markt kommen. ?Aus medizinischer Sicht ist der Mehrwert des Ger?tes unbestritten?, so Müller. Das habe auch der Austausch mit ?rztinnen und ?rzten w?hrend den klinischen Studien gezeigt.
Ist die Narbe hart und unbeweglich oder weich und elastisch? Heute untersuchen Dermatologinnen dies mit der sogenannten Palpation. Sie greifen dazu eine Hautfalte und beurteilen, wie stark sie beim Ziehen nachgibt. ?Wenn man genügend Erfahrung mitbringt, funktioniert das gut?, sagt Müller. Dennoch gibt es Nachteile: Das Ergebnis ist abh?ngig von der untersuchenden Person. Feine Unterschiede über die Zeit sind schwer fassbar.
Hier kommt ?Nimble? ins Spiel. Mussten Dermatologen Ver?nderungen der Hautstruktur bislang erspüren, macht ?Nimble? diese nun erstmals messbar. Das Prinzip der Messung ist einfach zu verstehen: Ein runder Messkopf saugt unter Vakuum so lange an der Haut, bis er sie um wenige Millimeter angehoben hat. Je steifer die Haut, desto mehr Unterdruck ist dazu n?tig. In einer klinischen Studie mit brandverletzten Kindern im Kinderspital Zürich, unterscheidet das Messger?t zuverl?ssig zwischen gesunder und vernarbter Haut an verschiedenen K?rperstellen.
Die praktischen Erfahrungen im Spital motivieren
In einer zweiten Studie zeigt Müller, dass sich das Messger?t auch für die Diagnose der seltenen Autoimmunkrankheit Sklerodermie eignet. Bei Betroffenen verh?rtet sich die Haut an Fingern und im Gesicht, weil überm?ssig Kollagen produziert wird – ?hnlich wie bei einer Narbe. Der Fortschritt der Krankheit wird schon heute an den Hautver?nderungen gemessen. ?Nimble? kann diese über die Zeit genauer dokumentieren.
Gerade der Transfer des Messger?tes von der Werkstatt in die Klinik war jedoch eine der gr?ssten Herausforderungen. ?Wir reden immer von einem Prototyp. Vielmehr ist das aber ein aus vielen Einzelteilen zusammengebautes Ger?t?, erkl?rt Müller. So habe beispielsweise die Installation der Software im Spital nicht auf Anhieb funktioniert. Scheinbar banale Dinge wie das Aufsetzen der Messkopfes war für das Medizinpersonal nicht so selbstverst?ndlich wie für die Biomechanikerin.
Gerade die Arbeit w?hrend den klinischen Studien gef?llt Müller besonders gut. ?Im Spital zu sehen, wie die eigene Forschung angewendet wird, ist unglaublich motivierend?, sagt sie. Und der Austausch mit ?rztinnen und ?rzten habe entscheidend zur Weiterentwicklung von ?Nimble? beigetragen.
Von der Forscherin zur Unternehmerin
Marktanalyse durchführen, Firmenkosten berechnen, Businessplan schreiben: Seit kurzem steht nicht mehr die Forschung, sondern unternehmerische Arbeit im Zentrum von Müllers Alltag. Zwar kommt sich die Biomechanikerin oft vor ?wie eine Anf?ngerin?, durch die Beratungsangebote und den Austausch mit anderen Pioneer Fellows, fühlt sie sich den neuen Aufgaben aber dennoch gewachsen.
?Ich bin mir bewusst, dass es keine Erfolgsgarantie gibt für das Start-up?, so Müller. ?Gerade weil die Messungen so gut klappen, bin ich sehr motiviert, das Ger?t auf den Markt zu bringen.? Diese Begeisterung für ihr Projekt bekommt auch ihr privates Umfeld zu spüren: ?Manchmal erz?hle ich so viel, dass es wohl etwas nervt?, sagt sie und lacht.
Ungeachtet dessen, erf?hrt die ETH-Forscherin von ihrem Freund und ihrer Familie grosse Unterstützung. ?Sie haben viel Verst?ndnis, dass ich im Moment nicht so viel Zeit habe?, so Müller. Freie Tage verbringt sie am liebsten in der Natur, beim Wandern oder Velo fahren. Und wenn das nicht klappt, geniesst sie das Bergpanorama wenigstens von ihrem Büroplatz aus.