Wasserstoff für Transport und Wärme ist der falsche Weg
Pl?ne, Wasserstoff zu einem zentralen Energietr?ger für eine klimafreundliche Zukunft zu machen, erachtet Anthony Patt als falsch. Wir sollten fossile Energie wo immer m?glich direkt durch erneuerbaren Strom ersetzen, vor allem im Verkehr und beim Heizen.
Um die Erderw?rmung einzud?mmen muss die Welt bis Mitte Jahrhundert aus der fossilen Energie aussteigen. Wir bewegen uns nun in die richtige Richtung. Nahezu alle neuen Investitionen im Energiesektor fliessen in erneuerbare Energiequellen. Batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEV) werden immer beliebter. Und die meisten neuen Geb?ude heizen nicht fossil. Klar gibt es Hürden. Das alles muss schneller gehen, und es braucht eine konsequentere Klimapolitik. Was den Wandel aus meiner Sicht jedoch am st?rksten gef?hrdet, kommt heute ?getarnt? als Teil der L?sung daher: Wasserstoff.
Der falsche Hoffnungstr?ger
Wasserstoff ist wie Elektrizit?t ein Energietr?ger, keine Energiequelle. Man kann ihn auf drei Arten herstellen. Grauer Wasserstoff, der derzeit fast den gesamten Verbrauch ausmacht, wird aus Methan gewonnen, was erhebliche CO2- und unkontrollierte Methanemissionen verursacht. Blauer Wasserstoff ist wie grauer Wasserstoff, bei dem CO2 abgeschieden und gespeichert wird – doch aufgrund der Methanverluste (Methanschlupf) und der Prozessineffizienz emittiert blauer Wasserstoff immer noch mehr Treibhausgase als das Erd?l oder Erdgas, welches er ersetzen soll.1
Grüner Wasserstoff wird aus Wasser mittels Elektrolyse und erneuerbarem Strom produziert. Er verursacht keine direkten Emissionen und ist die einzige klimafreundliche Option. Das Problem mit grünem Wasserstoff ist jedoch, dass es in den meisten F?llen effizienter, kostengünstiger und ressourcenschonender ist, die erneuerbare Energie direkt zu nutzen. Für das Gesamtsystem sind diese Aspekte entscheidend.
Wettbewerbsf?hig und vernünftig
Nehmen wir den Landverkehr. Heutige BEV sind bezüglich Kosten im Vergleich mit Benzin- und Dieselfahrzeugen wettbewerbsf?hig und gewinnen schnell Marktanteile. Ihre Reichweite genügt für 99 Prozent aller Fahrten2, und für die restlichen 1 Prozent bieten Schnellladeger?te entlang den Autobahnen zus?tzliche Reichweiten von über 400 km in weniger als 30 Minuten – was etwa den Pausen entspricht, die Autofahrende ohnehin ben?tigen. Neue Studien zeigen, dass batterieelektrische Lastwagen nun auch auf langen Strecken wirtschaftlich werden und gleich gut funktionieren.3, 4 Es gibt Bedenken wegen der umweltbelastenden Batterieproduktion; hier k?nnen und werden Konzepte der Kreislaufwirtschaft Abhilfe schaffen.5, 6
Die Grundinfrastruktur für das Aufladen von BEV – das Stromnetz – ist bereits vorhanden. Mit steigender Zahl an BEV auf den Strassen k?nnen wir gleichzeitig die erneuerbare Stromproduktion und das Netz an Ladestationen sukzessive ausbauen.
?hnlich verh?lt es sich mit W?rmepumpen. Sie sind die effizienteste Art, mit erneuerbarer Energie zu heizen und sind in den Kosten konkurrenzf?hig. Auch hier kann die Infrastruktur schrittweise mit dem steigenden Marktanteil der W?rmepumpen wachsen.
Ineffizient, teuer und langsam
Zum Wasserstoff. Ein Vorteil von Brennstoffzellen-Elektrofahrzeugen (FCEV) besteht darin, dass man sie schneller auftanken kann als BEV laden. Das f?llt jedoch je l?nger je weniger ins Gewicht, weil Ladegeschwindigkeit und Reichweite von BEV kontinuierlich steigen. Ein wesentlicher Nachteil von FCEV ist, dass ihr Gesamtwirkungsgrad – von Strom zu grünem Wasserstoff, zurück zu Strom und aufs Rad – nur die H?lfte bis ein Drittel desjenigen von BEV betr?gt.7 Der h?here Energieverbrauch macht FCEV deutlich teurer als BEV, Benzin oder Diesel.
Ausserdem braucht es eine neue Infrastruktur, um Wasserstoff zu verteilen und zu tanken. Diese müsste im Gegensatz zu BEV zuerst errichtet werden, bevor FCEV für den Massenmarkt geeignet w?ren.8
?Trotz dieser Probleme gibt es viel politischen Enthusiasmus für Wasserstoff.?Anthony Patt
Beim Heizen zeigt sich ein ?hnliches Bild: Hier kommen zwar ?wasserstofftaugliche? Heizkessel (Boiler) auf den Markt, die ein Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff verbrennen k?nnen.9 Reine Wasserstoffkessel, wie wir sie letztlich br?uchten, existieren noch nicht. Boiler bieten gegenüber W?rmepumpen kurzfristig den Vorteil, dass manche Geb?ude weniger stark saniert werden müssen. Aber wie beim Verkehr gibt es gewichtige Nachteile. Heizen mit grünem Wasserstoff ben?tigt etwa sechsmal mehr erneuerbaren Strom als mit einer W?rmepumpe. Die Kosten fallen h?her aus, da mehr Energie verbraucht wird. Zudem w?re parallel ein neues Verteilsystem für Wasserstoff erforderlich, um reine Wasserstoffkessel einzusetzen10 – und die br?uchten wir sp?testens bis 2050.
Bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen sehe ich den gr?ssten Engpass darin, die erneuerbare Elektrizit?t schnell genug auszubauen. In der Schweiz wird aktuell zwar mehr Photovoltaik-Kapazit?t installiert als je zuvor – doch wir müssen diese Installationsraten noch vervierfachen, wollen wir bis 2050 den Bodenverkehr vollst?ndig und das Heizen teilweise elektrifizieren.11 Setzt sich grüner Wasserstoff durch, muss der ohnehin schon ambitionierte Ausbau deutlich schneller erfolgen.
Der Hype um Wasserstoff
Trotz dieser Probleme gibt es viel politischen Enthusiasmus für Wasserstoff. Um es klar zu sagen: Natürlich gibt es Anwendungen, wo Wasserstoff die Dekarbonisierung unterstützen kann, etwa als saisonaler Energiespeicher, bei der Stahlproduktion oder als Zwischenschritt bei der Synthese nachhaltiger Flugzeugtreibstoffe (siehe ETH-News). Die derzeit diskutierten Pl?ne gehen jedoch weit darüber hinaus.
Energy Week zu ?Klimaneutrale Schweiz 2050?
Die Rolle von Wasserstoff ist auch Thema an der Energy Week @ ETH 2021. Die viert?gige Konferenz des Energy Science Center (ESC) dreht sich um die Kernfrage ?Klimaneutrale Schweiz 2050: Welches Energiesystem brauchen wir??. Der ?ffentliche Event findet ab dem 30. November 2021 im Hybrid-Format statt.
Zum Beispiel die Wasserstoffstrategie der EU: Sie will Wasserstoff zu einem zentralen Energietr?ger für Landverkehr und W?rme machen und sieht Milliarden an ?ffentlichen Mitteln für Forschung, Planung und den Bau der Infrastruktur vor.12 Die Schweizer Regierung hat keine derartigen Pl?ne fürs Heizen, aber einzelne Kantone haben signalisiert, dass sie den Ausbau der Infrastruktur für BEV und FCEV als gleichrangig betrachten. 13, 14 Aus wissenschaftlicher Sicht ergibt das keinen Sinn.
Was steckt dahinter?
Die beste Antwort, die ich finden kann: Das Wohlwollen gegenüber Wasserstoff scheint auf politische Einflussnahme zurückzuführen zu sein. Laut einem Bericht von Corporate Europe Observatory, einer Organisation, die den Einfluss von Firmen auf die EU-Politik untersucht, investiert die europ?ische Wasserstofflobby j?hrlich über 50 Millionen Euro in die Interessenarbeit. Gemessen an der Anzahl Treffen mit hochrangigen Mitgliedern der EU-Kommission übertrifft die Wasserstofflobby Umweltorganisationen fast um das Fünffache.15 Die Mittel kommen in erster Linie von fossilen Energiefirmen.16
?Wasserstoff ist die letzte ?berlebenschance für die ?l- und Gasindustrie – entsprechend spielen diese das politische Spiel. Sollten sie gewinnen, werden Umwelt und Gesellschaft verlieren.?Anthony Patt
Für die Branche macht das Sinn, denn mit der Energiewende drohen Gas und Erd?l obsolet zu werden. Die Kernkompetenz der fossilen Energiewirtschaft liegt in der Verarbeitung, Lagerung und Lieferung von Kraftstoffen über Pipelines und Verkaufsstellen an die Kunden. Eine Priorisierung von Wasserstoff würde die Energiewende verlangsamen und die Lebensdauer der fossilen Assets verl?ngern. Steigt die Nachfrage nach Wasserstoff schneller als die Produktion von grünem Wasserstoff decken kann, würde grauer oder blauer Wasserstoff aus Erdgas verwendet.
Forschende schlagen Alarm
Ich bin nicht der Einzige, der besorgt ist. Einer der führenden Analysten für den Energiesektor und Cleantech, Michael Liebreich, vermutete bereits, dass die ?lindustrie Lobbyarbeit für Wasserstoff betreibt, ?um die Elektrifizierung zu verz?gern?.17 Britische Forschende wandten sich unl?ngst in einem offenen Brief an ihre Regierung und ?usserten tiefes Bedenken wegen ?hnlicher Pl?ne mit Wasserstoff.18
Nochmal: In bestimmten Bereichen kann grüner Wasserstoff sehr wohl zur Energiewende beitragen. Aber für Bodenverkehr und W?rme, die zusammen den L?wenanteil des fossilen Energieverbrauchs ausmachen, ist Wasserstoff eine denkbar schlechte Idee. Es ist die letzte ?berlebenschance für die ?l- und Gasindustrie, und entsprechend spielen diese das politische Spiel.
Sollten sie gewinnen, wird sich der ?bergang zu sauberer Energie verz?gern. Wir werden mehr Treibhausgase ausstossen. Mehr Land und Ressourcen verbrauchen. Und es wird mehr kosten. Die Umwelt und die Gesellschaft würden verlieren.
Dieser Meinungsbeitrag erscheint zus?tzlich im Energy Blog der ETH Zürich.
Referenzen
? Howarth, R. W., and M. Z. Jacobson, 2021: How green is blue hydrogen? Energy Sci. Eng., 9(10), 1676–1687, doi:externe Seite 10.1002/ese3.956.
? Melliger, M. A., O. P. R. van Vliet, and H. Liimatainen, 2018: Anxiety vs reality – Sufficiency of battery electric vehicle range in Switzerland and Finland. Transp. Res. Part D Transp. Environ., 65, 101–115, doi:externe Seite 10.1016/j.trd.2018.08.011
? Nykvist, B., and O. Olsson, 2021: The feasibility of heavy battery electric trucks. Joule, 5(4), 901–913, doi:externe Seite 10.1016/J.JOULE.2021.03.007.
? Gem?ss EU-Vorschriften müssen Lkw-Fahrende alle 4,5 Stunden 45 Minuten pausieren. Bald kommen BEV-Lkw auf den Markt, die Reichweiten für mehr als 7 Stunden Autobahnfahrt aufweisen und in 30 Minuten zu 80 Prozent aufgeladen werden k?nnen. Ihre Gesamtbetriebskosten scheinen unter denen von Diesel-Lkw zu liegen. Siehe Insideevs: externe Seite Making Sense Out of Tesla’s Semi Truck Economics
? Baars, J., T. Domenech, R. Bleischwitz, H. E. Melin, and O. Heidrich, 2021: Circular economy strategies for electric vehicle batteries reduce reliance on raw materials. Nat. Sustain., 4(1), 71–79, doi:externe Seite 10.1038/s41893-020-00607-0.
? European Parliament: externe Seite New EU regulatory framework for Batteries.
? Insideevs: externe Seite Battery Electric vs Hydrogen Fuel Cell: Efficiency Comparison
externe Seite ? Wasserstoff-Tankstellen Schweiz: In der Schweiz gibt es derzeit acht Wasserstoff-Tankstellen; in fast allen Orten muss man erhebliche Distanzen zurücklegen, um FCEV aufzutanken. Die meisten BEV-Besitzer laden ihr Fahrzeug zu Hause über Nacht auf.
? Viesmann: externe Seite How do hydrogen boilers work. Wasserstofftaugliche Boiler sind attraktiv, weil die Produktion insbesondere von grünem Wasserstoff noch begrenzt ist. Man kann sie vorab installieren und dann in Betrieb nehmen, wenn Wasserstoff in die bestehenden Erdgasleitungen eingespeist wird.
?? ?berlappende Generationen von Heizkesseln erfordern ein doppeltes Verteilnetz: Nachgerüstet k?nnen bestehende Erdgasleitungen eine Mischung aus Erdgas und Wasserstoff und in gewissen F?llen sogar reinen Wasserstoff verteilen. Solange jedoch ?ltere Erdgaskessel an diese Leitungen angeschlossen sind, kann man keinen Wasserstoff einspeisen. Das gleiche gilt beim Wechsel von wasserstofftauglichen zu reinen Wasserstoff-Kesseln.
?? Bafu: externe Seite Langfristige Klimastrategie 2050 setzt auf die Elektrifizierung prim?r durch mehr Photovoltaik (PV) kombiniert mit Importen erneuerbarer Energien. Der vierfache Anstieg leitet sich aus der Annahme einer S-f?rmigen Diffusionskurve für PV ableiten.
?? EU-Kommission: externe Seite A hydrogen strategy for a climate-neutral Europe
?? Energate Messenger: externe Seite Berner Regierungsrat will Aufbau von H2-Tankstellennetz unterstützen
?? Kanton Zürich Medienmitteilung: externe Seite Regierungsrat künftig auch mit Wasserstoff-Fahrzeugen unterwegs
?? Corporate Europe: externe Seite The Hydrogen Hype
?? Siehe vorherige Referenz
17 Recharge news: externe Seite Liebreich: ‘Oil sector is lobbying for inefficient hydrogen cars because it wants to delay electrification’
18 SRF: externe Seite Open Letter to Prime Minister Boris Johnson about Hydrogen Strategy