«Wir brauchen eine kluge Innovationspolitik»

Als wir Tobias Schmidt in seinem B¨¹ro an der Z¨¹richer Clausiusstrasse treffen, ist die Klimakonferenz in Glasgow bereits drei Tage im Gang. Schmidt kennt die Mechanik und Dramaturgie dieser Grossereignisse bestens. 2008 nahm er als junger Doktorand selbst das erste Mal daran teil. ?ber die Jahre hat er einiges gesehen: Grosse Entt?uschungen, wie 2009 bei der gescheiterten Konferenz in Kopenhagen, aber auch Begeisterung wie 2015 in Paris, wo sich die Staats- und Regierungschefs auf eine neue Architektur zur Bek?mpfung des Klimawandels einigten.

?Meine Erwartungen an diese Konferenzen sind heute um einiges weniger naiv?, erkl?rt Schmidt. Aus dem Doktoranden von damals ist nicht nur ein ETH-Professor f¨¹r Energie- und Technologiepolitik geworden, sondern auch ein Realist. Denn das Schicksal des Weltklimas h?nge weniger von einzelnen Gipfelergebnissen ab als vielmehr davon, wie ambitioniert die Klimapolitik einzelner L?nder in den n?chsten Jahren ausfalle. Und dies werde vor allem von einem Faktor beeinflusst: den Kosten von emissionsfreien Technologien f¨¹r alle wirtschaftlichen Aktivit?ten.

?Wenn Klimaschutz g¨¹nstiger und profitabler wird?, so Schmidt, ?ist es f¨¹r Politikerinnen und Politiker, die in kurzfristigen Wahlzyklen denken, einfacher, ambitioniert zu sein.? Damit geh?rt er zu jenen, die ¨¹berzeugt sind, nur mit einem tiefgreifenden technologischen Wandel lasse sich die Klimakrise bew?ltigen. Zu erforschen, unter welchen politischen und finanziellen Rahmenbedingungen dieser Wandel im Energiesektor gelingt, sieht er als seinen Beitrag gegen den Klimawandel.

Fr¨¹he Begeisterung f¨¹r Technik und Umweltthemen

Schmidt w?chst als Sohn eines Ingenieurs und einer Materialwissenschaftlerin in einem Dorf s¨¹dlich von M¨¹nchen auf. Die Begeisterung f¨¹r Technik packt ihn schon in jungen Jahren. Fr¨¹h entdeckt er die Werkstatt seines Vaters und bastelt darin an eigenen Ideen. Doch seine Eltern legen immer grossen Wert darauf, dass sich ihre Kinder auch kulturell und musikalisch engagieren. Schmidt singt jahrelang im Knabenchor. Bis heute ist er ein begeisterter S?nger.

Als Sch¨¹ler beginnt er sich f¨¹r Umweltthemen zu interessieren. Es ist vor allem seine Mutter, die ihn f¨¹r Nachhaltigkeit sensibilisiert. Im Rahmen seiner Abiturarbeit entwirft der damals 18-J?hrige ein M¨¹lltrennungssystem, das seine Schule bis heute nutzt. Als er davon erz?hlt, sp¨¹rt man heute noch den Stolz, etwas Nachhaltiges und Sinnvolles geschaffen zu haben.

Nach dem Abitur weiss Schmidt lange nicht, was er studieren soll. Er entscheidet sich schliesslich f¨¹r ein Studium der Elektrotechnik an der TU M¨¹nchen, belegt daneben aber auch Kurse in ?konomie und Geschichte. Der Drang, den Blick ¨¹ber die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus zu werfen, treibt ihn schon damals um.

Vom Ingenieur zum Public-Policy-Forscher

Ein klassisches Ingenieursstudium ist dem damals 26-J?hrigen bald zu einseitig. Er will verstehen, warum sich gewisse Technologien im Energiesektor durchsetzen und andere nicht und verfasst eine Diplomarbeit zur wirtschaftlichen Attraktivit?t von erneuerbaren Technologien in Entwicklungsl?ndern. Als Betreuer kann er Volker Hoffmann gewinnen, der damals schon Professor f¨¹r Nachhaltigkeit und Technologie an der ETH Z¨¹rich ist. ?hnlich wie Schmidt ist Hoffmann ein Ingenieur, der sich interdisziplin?r mit Innovationen im Energiesektor besch?ftigt.

Schmidt findet Gefallen an dessen Ansatz und entscheidet sich 2008, f¨¹r ein Doktorat an das Departement f¨¹r Management, Technologie und ?konomie (D-MTEC) der ETH zu kommen. Binnen knapp vier Jahren untersucht er die Auswirkungen der internationalen Klimapolitik auf Cleantech-Innovationen. ?berrascht muss er feststellen: Die Anreize der ersten Phase des europ?ischen Emissionshandels f¨¹hren dazu, dass eher mehr und nicht weniger Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden.

Fortan blickt Schmidt anders auf technologische Ver?nderungen. Er erkennt, wie wichtig die politischen Rahmenbedingungen f¨¹r Innovationen sind. Schleichend, aber stetig wird aus dem Ingenieur ein Public-Policy-Forscher.

Ein interdisziplin?res Forschungsprogramm

2015 ist ein Wendepunkt in Schmidts beruflichem Leben. Nach Beratungsauftr?gen f¨¹r das Umwelt- und Klimaprogramm der Vereinten Nationen und einem Forschungsaufenthalt an der Stanford Universit?t erh?lt er einen Ruf an die ETH Z¨¹rich. ?Es war erst die dritte Bewerbung auf eine feste Stelle. Mir war klar: Das ist die Chance meines Lebens?, erinnert er sich. F¨¹r Schmidt geht ein Traum in Erf¨¹llung: Er kann seine eigene Forschungsgruppe f¨¹r Energiepolitik aufbauen.

Der frisch gebackene Professor entwirft ein Forschungsprogramm, das auch seinen eigenen Werdegang widerspiegelt und sich Problemen an der Schnittstelle zwischen klimafreundlichen Technologien, dem Finanzsektor und der Politik widmet. Eine Frage steht dabei im Vordergrund: Wie entstehen technologische Innovationen im Energiesektor? Um diese Frage beantworten zu k?nnen, so Schmidt, m¨¹sse man zun?chst die Technologien selbst verstehen, denn ein typisches Innovationsmuster g?be es im Energiesektor nicht.

?Es h?ngt von der jeweiligen Technologie ab, ob eher Produkt- oder Prozessinnovationen entscheidend sind?, erkl?rt er. So finden Innovationen bei der Fotovoltaik vor allem dank Verbesserungen im Produktionsprozess statt, da diese zu einer Kostenreduktion f¨¹hren. Bei Windr?dern hingegen sind Produktinnovationen wichtig, da letztlich das bessere Design ¨¹ber den Erfolg im Markt entscheidet. ?Eine effiziente F?rderung klimafreundlicher Technologien?, so Schmidt, ?setzt dort an, wo Innovation tats?chlich stattfindet.?

Effektive Klimapolitik ist Innovationspolitik

Sowohl anhand der Solar- und Windenergie als auch der Batterietechnologie zeigt Schmidt, dass eine effiziente Energie- und Klimapolitik ohne kluge Innovations- und Industriepolitik nicht vorstellbar ist. Dazu geh?re zun?chst eine umfassende Forschungsf?rderung f¨¹r klimarelevante Sektoren. Doch dies allein reicht nicht: ?Je komplexer neue Technologien sind, desto wichtiger ist es, dass sie m?glichst schnell in Pilotanlagen getestet werden?, betont er und f¨¹gt hinzu: ?Bei sehr teuren, aber vielversprechenden Technologien kommt man an Massnahmen nicht vorbei, die den Markteintritt erm?glichen.?

Wie diese Subventionen am besten ausgestaltet werden, h?nge wiederum von der Technologie ab. Die Entwicklung der Fotovoltaik in China veranschauliche dies eindr¨¹cklich: ?Chinesische Hersteller nutzten g¨¹nstige Kredite der Regierung, um modernste Produktionsanlagen zu kaufen. Damit erlangten sie die Kostenf¨¹hrerschaft und einen immer gr?sseren Marktanteil?, erkl?rt der ETH-Professor.

Bei Windturbinen w¨¹rde diese Strategie nicht funktionieren, da deren Entwicklung komplexes und schwer ¨¹bertragbares Designwissen voraussetzt, das nur erfahrene Ingenieurinnen und Ingenieure mitbringen. Ausserdem, so Schmidt, m¨¹ssen Windanlagen unter realen Bedingungen getestet und optimiert werden. Dazu brauche es vor allem Anreize f¨¹r Akteure, die Windparks bauen und betreiben. Vor diesem Hintergrund sei es nicht weiter ¨¹berraschend, dass China 20 und nicht wie der Fotovoltaik zwei Jahre gebraucht hat, um auch in der Windenergie zu einem Marktf¨¹hrer zu werden.

Leben im Zeichen des Tenure Tracks

F¨¹nf Jahre hat Schmid nach seinem Ruf an die ETH Zeit, um den Sprung auf eine unbefristete Professur zu schaffen. ?Tenure Track?, heisst dieser Karrierepfad f¨¹r Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die zum Zeitpunkt der Berufung in der Regel nicht ?lter als 35 Jahre sein d¨¹rfen, im Fachjargon. F¨¹r eine erfolgreiche Berufung sind Publikationen das wichtigste Kriterium. Und Schmidt liefert: Zwischen 2015 und 2020 ver?ffentlicht er 41 Beitr?ge in renommierten Fachzeitschriften. Die thematische Bandbreite reicht von den Treibern nationaler Klimapolitik ¨¹ber die Finanzierung kohlenstoffarmer Technologien bis hin zu Innovationsprozessen in einzelnen Technologiefeldern.

Wie ist diese Produktivit?t zu erkl?ren? Nat¨¹rlich arbeitet Schmidt in dieser Zeit sehr viel und verbringt zahlreiche Samstage im B¨¹ro. Doch vielleicht noch wichtiger: Er schafft es, motivierte und kompetente Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus unterschiedlichen Disziplinen zu rekrutieren, die gemeinsam mit ihm publizieren. Und ihm kommt zugute, dass eine Reihe neuer Zeitschriften auf den Markt kommen, die thematisch sehr gut zu seinen Themen passen und schnell an Relevanz gewinnen.

Als Schmidt im Herbst 2019 sein Berufungsdossier einreicht, ist seine Tochter ein halbes Jahr auf der Welt. ?Meine Tochter erdet mich ungemein und bringt mehr Ausgeglichenheit in mein Leben?, sagt er. Die Wochenenden sind nun der Familie vorbehalten. Doch die Geburt ?ndert auch seinen Blick auf den Klimawandel: ?Man fragt sich pl?tzlich: In welcher Welt wird meine Tochter leben, wenn sie 40 ist? Wie heiss wird es im Sommer in den Innenst?dten sein und wie sicher ist die Lebensmittelversorgung noch??

Dialog zwischen Wissenschaft und Politik

Seit Sommer 2021 leitet Schmidt das Institut f¨¹r Wissenschaft, Technologie und Politik, kurz ISTP. Mit seinem interdisziplin?ren Werdegang steht der ETH-Professor exemplarisch f¨¹r dessen Anspruch: Das Aus- und Weiterbildungsangebot des ISTP richtet sich an Studierende mit einem natur- oder ingenieurswissenschaftlichen Hintergrund, die sich im Bereich Public Policy spezialisieren wollen.

?Es geht uns darum, die Forschung an der ETH relevanter f¨¹r die Politik zu machen?, erkl?rt Schmidt. Daf¨¹r sei neben Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlern, die etwas von Politik verstehen, vor allem ein kontinuierlicher Dialog zwischen Politik und Wissenschaft n?tig, der wechselseitiges Verst?ndnis und Vertrauen f?rdere. Wie dieser Dialog gestaltet werden muss, damit er fruchtbar wird, und welche organisatorischen Strukturen es dazu braucht, wird Schmidt und die ETH wohl noch l?nger besch?ftigen.