Visionen für die Zukunft
Unsere Welt wandelt sich immer schneller – Wissen ist notwendig wie nie. Doch wie gestalten wir Universit?ten so, dass sie zukunftsf?higes Wissen generieren?
Chris Luebkeman
Welche Konzepte gibt es für eine zukunftsf?hige Universit?t? Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass viele Aspekte des Hochschullebens online m?glich sind, viele aber auch nicht. Die Zukunft liegt in einer vollst?ndigen Hybridisierung – mit tiefgreifenden Folgen für Kultur und Alltag. Ausserdem haben wir gesehen, dass die ETH als physischer Ort ein wichtiger Aspekt unseres Wohlbefindens und ein Fundament unserer Community ist. Was wird dieser Ort also künftig für uns bedeuten? Ein weiteres Schlüsselkonzept ist lebenslanges Lernen. In die zukunftsf?hige Universit?t wird man zurückkommen, um von den n?chsten Generationen Neues zu lernen und eigene Erfahrungen mit ihnen zu teilen. Dieser Kreislauf umfasst die gesamte ETH als dynamische Lerngemeinschaft. Nicht zuletzt steht unser Land vor grossen Herausforderungen, für die es nicht nur ein hervorragendes Fundament in der Grundlagenforschung braucht, sondern auch Umsetzungsstrategien, die alle mittragen k?nnen. Eine zukunftsf?hige humboldtsche Universit?t wird dies als Teil ihres Kernauftrags verstehen und in ihre Vision integrieren. Eine Vision, die ihre Rolle als Impulsgeberin, Inkubatorin und Integratorin anerkennt. Die erm?chtigend wirkt und eine klare Richtung vorgibt. Das Programm rETHink ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg, unsere Universit?t wirklich zukunftsf?hig zu machen.
Lydia Bourouiba
In meiner Arbeit konzentriere ich mich auf Probleme an der Schnittstelle von grundlegender Str?mungsdynamik und Gesundheit. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf grundlegenden physikalischen Mechanismen beim Transport von Mikroorganismen und Krankheitserregern sowie ihrer Anpassung und Evolution, die für die ?bertragung von Krankheiten entscheidend sind. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass wir gesellschaftliche und gesundheitliche Herausforderungen grossen Ausmasses nur mit einer Kombination aus fundierten disziplin?ren Erkenntnissen und echter transdisziplin?rer Zusammenarbeit bew?ltigen k?nnen. Die F?rderung dieses ausgewogenen Verh?ltnisses von Tiefe und synergetischem Austausch zwischen den Fachgebieten ist eine entscheidende Aufgabe für die Universit?ten der Zukunft. Obwohl die Forschungsf?rderung in den USA und Europa zunehmend interdisziplin?re Ans?tze f?rdert, bleibt eine solche Integration unzureichend, was zum Teil daran liegt, dass eine echte Integration in einer historisch in Fachgebiete separierten Ausbildung und Wissenschaft eine grosse Herausforderung darstellt. Ein vielversprechenderer Versuch w?re der Aufbau wirklich interdisziplin?rer Zentren, die sich auf Probleml?sungen mit Tiefgang in den einzelnen Disziplinen konzentrieren, in denen jedoch Forscher aus verschiedenen Bereichen Seite an Seite arbeiten, um sich von Anfang an über Forschungsfragen auszutauschen. Solche Zentren, die sich beispielsweise auf grosse Herausforderungen bei Infektionskrankheiten oder im Umweltbereich konzentrieren k?nnten, würden nicht nur Forschung umfassen, sondern sich auch durch Mentoring ?und Lehre auszeichnen; und der gemeinsame physische Raum würde eine wirklich synergetische transdisziplin?re Arbeit begünstigen.
Michael Kiy
Unsere Welt und die M?rkte ver?ndern sich immer schneller. Jedes Jahr – oder noch ?fter – werden neue Mobiltelefongenerationen vorgestellt und innovative Produkte geben Ver?nderungen in hoher Frequenz vor. Das Tempo von Produktentwicklungen und die erforderliche Flexibilit?t, um auf Marktentwicklungen zu reagieren, haben sich stark erh?ht. Eine moderne Ingenieursausbildung sollte deshalb neben dem soliden Grundlagenwissen im Fachgebiet auch Methoden beinhalten, die den Studierenden zeigen, wie in Teams eine agile und iterative Entwicklung organisiert und durchgeführt wird. Zur Priorisierung der Entwicklungsziele sind oft faktenbasierte Entscheidungsfindungen n?tig, die h?here Datenanalysekenntnisse ben?tigen. Ausserdem sind die Entscheidungen in der Entwicklung meist direkt relevant für das Business. Deshalb sind Entrepreneur-Kenntnisse wie das Berechnen von Business Cases oder Kenntnisse über moderne Businessmodelle von grossem Vorteil. Bei Siemens entwickeln wir innovative Produkte ?im Bereich Automation, Energiemanagement, Geb?udetechnik und Mobilit?t. Dabei arbeiten wir in diversen Teams und wenden agile Entwicklungsmethoden an.
Zuzana Sediva
Groam ist ein ETH-Spin-off für biologisch abbaubare Schaumstoffe auf Basis von Agrarabf?llen, etwa von Resten aus der Getreide- und Obstproduktion. Wir wollen unser Konzept für schnelle Einweganwendungen wie Verpackungen oder Pflanzensubstrate im grossen Massstab umsetzen und damit Kunststoffsch?ume auf fossiler Basis verdr?ngen. Im Jahr 2020 erhielt ich ein Pioneer Fellowship, erm?glicht durch Donatoren und Donatorinnen der ETH Foundation, sodass ich potenzielle Business Cases prüfen konnte. Damit begann unser unternehmerischer Weg. Innovation ist für Hochschulen und ihre künftige Rolle in der Gesellschaft zentral. Nicht nur in den Pioneer Fellowships zeigt sich die unternehmerische Strategie der ETH zur F?rderung multidisziplin?rer Projekte, die für die globalen Herausforderungen von heute relevant sind. Künftig werden Hochschulen noch wirksamer sein, indem sie Hightech-Innovationen lancieren und den Wissensaustausch mit internationalen Organisationen, Grossunternehmen und Regierungen f?rdern.
Samira Cabdulle
Meine Eltern stammen aus Somalia. Für mich ist es keine Selbstverst?ndlichkeit, dass ich ?in der wohlhabenden Schweiz aufgewachsen bin und studieren kann. In meiner Masterarbeit befasse ich mich mit Dürren in Ostafrika. Dieses Problem wird in Zukunft noch viel mehr Menschen als heute direkt oder indirekt betreffen. Wenn wir solchen globalen Herausforderungen erfolgreich begegnen wollen, müssen viele verschiedene Perspektiven zusammenkommen. Wir brauchen die Ideen von Menschen aus verschiedensten Kulturen und mit unterschiedlichen Erfahrungen und Herkünften. Die Universit?ten der Zukunft müssten deshalb in meinen Augen Diversit?t und Inklusion noch viel st?rker und selbstverst?ndlicher leben als heute. Deshalb finde ich es auch wichtig, dass Bildung für alle zug?nglich ist. Chancengleichheit entsteht aber nicht von allein. Ich wurde zum Glück immer wieder von Menschen ermutigt, den Weg an die Hochschule zu wagen. Diversit?t erreichen wir nur, wenn sich Hochschulen und Gesellschaft aktiv darum bemühen.
Jan Freihardt
Unsere Gesellschaft steht vor tiefgreifenden Umbrüchen. Angesichts fortschreitender ?kologischer und sozialer Krisen ist die Frage noch, ob Wandel by design oder by disaster erfolgt. Hochschulen k?nnen zu Katalysatoren einer Transformation by design werden, wenn sie Forschung und Lehre neu denken. In der Forschung kann eine engere Zusammenarbeit mit Akteuren und Akteurinnen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft helfen, praxisrelevantes Wissen zu erzeugen – gerade in gesellschaftsnahen Feldern wie dem Klimaschutz oder der Digitalisierung. Die dazu n?tigen Kompetenzen werden in der heutigen Lehre jedoch erst unzureichend vermittelt. So erfordert der Umgang mit krisenhaften und komplexen Problemlagen neben analytischen beispielsweise auch moralisch-empathische und selbstreflexive Kompetenzen. Solche Ver?nderungen sind nicht von heute auf morgen machbar. Doch haben wir alle es im eigenen Handeln – sei es in Forschung oder Lehre – in der Hand, den ersten Schritt schon heute zu gehen.
Was ist Ihre Vision? Machen Sie mit!
Welche Initiativen, Ideen oder Konzepte von heute sollen wir beibehalten oder ausweiten? Was soll es Neues geben? Was sind vielversprechende Hybride zwischen Etabliertem und Neuem? ... und was darf sich verabschieden? Was ist heute schon veraltet? Was brauchen wir nicht mehr? Wo k?nnen wir die Universit?t entrümpeln?
Teilen Sie Ihre Bilder, Fotos und Kommentare, Ideen und Visionen mit der Community auf folgendem miro-board: schreiben mit Betreff cut&paste. Das Board ist bis zum 23.01.2022 zur Bearbeitung offen und wird vom Team des Strategic Foresight Hub der ETH Zürich kuratiert.
Dieser Text ist in der Ausgabe 21/04 des ETH-??Magazins Globe erschienen.