Können Wasserkraft und Fische koexistieren?
Wasserkraft liefert erneuerbaren Strom, verursacht aber massives Fischsterben – ein globales Dilemma, das nur durch Kompromisse gel?st werden kann, meint Luiz Silva und sagt, wie man diese finden kann.
Wasserkraft ist weltweit auf dem Vormarsch. Die erneuerbare Energiequelle liefert knapp 16 Prozent des globalen Stroms und soll sich bis 2050 gut verdoppeln. ?ber 3700 neue Staud?mme sind im Bau oder geplant1, vor allem in Südamerika, Südostasien und Afrika. Auch in der Schweiz sieht die Energiestrategie 2050 einen weiteren Ausbau des Sektors an, um die Klimaziele zu erreichen.2 Doch Wasserkraft ist mit hohen Umweltkosten verbunden.
Tod durch Turbine
Weltweit ist ein Drittel aller Süsswasserfischarten vom Aussterben bedroht. Eine der Hauptursachen sind Wasserkraftwerke und Staud?mme: Sie ver?ndern die Lebensr?ume in den Flüssen, blockieren die Wanderrouten von Fischen, t?ten und verletzen Fische. Ich habe vor kurzem das Fischsterben durch Wasserkraftwerke in Brasilien untersucht. In den letzten zehn Jahren wurden Hunderte von Tonnen an Fischen get?tet.3
Auch in Europa und in der Schweiz verenden Fische an Wasserkraftwerken. Das Fischsterben bedroht nicht nur die Biodiversit?t, sondern verursacht der Industrie mitunter hohe Kosten3 und verringert die Umweltqualit?t für die gesamte Gesellschaft.
Die weltweit wachsende Wasserkraft steht im Widerspruch zu globalen und nationalen Naturschutzzielen, welche den Ausbau des Sektors behindern k?nnen.4 Das ist das Dilemma zwischen Wasserkraft und Fischen. Es führt oft zu verh?rteten Fronten zwischen Anspruchsgruppen und zu politischen Blockaden. Das müssen wir besser machen.
Interessen vereinen, nicht gegeneinander ausspielen
Ich halte es für m?glich, die Wasserkraft auszubauen und gleichzeitig die Fischpopulationen zu erhalten. Dazu müssen wir als Gesellschaft anerkennen, dass wir auf erneuerbare Energien ebenso angewiesen sind wie auf gesunde Süsswasser-?kosysteme – auch wenn sich das beisst. Die Frage ist also nicht entweder oder, sondern wie man beides in Einklang bringt. Anstatt erneuerbare Energien und Naturschutz gegeneinander auszuspielen, sollten wir die unterschiedlichen Interessen zusammenführen. Kurz: Wir müssen Kompromisse finden.
?Je inklusiver wir Wasserkraft planen, desto ausgewogener werden die Kompromisse sein, um den Zielkonflikt zwischen Energieversorgung und Fischschutz zu entsch?rfen.?Luiz Silva
Kompromisse efordern gegenseitige Zugest?ndnisse. Das ist nicht immer einfach, sind doch potenzielle Standorte für Wasserkraft wie etwa frei fliessende Flüsse auch Hotspots für den Schutz von Fischen – und selbst mit ?kologischen Massnahmen sind Staud?mme nie wirklich fischfreundlich.
Hier kann pragmatisches Denken helfen, Handlungsspielr?ume zu ?ffnen: Flüsse wurden über Jahrhunderte hinweg ver?ndert, so dass nicht alle Gebirgsb?che ?kologischen gleich wertvoll sind; einige k?nnten entbehrlich sein. Im Gegenzug muss Wasserkraft nicht jedes Tal fluten und k?nnte Standorte für neue Staud?mme sorgf?ltiger ausw?hlen, um den ?kologischen Schaden zu minimieren.
Einen fairen Mittelweg finden
Das Dilemma zwischen Wasserkraft und Fischen l?sst sich nur l?sen, indem man die relevanten Interessen einbindet und gemeinsam getragene L?sungen sucht. Ich halte folgende Grunds?tze für hilfreich:
1. Integrative Planung ist entscheidend. Sie erfordert kompetente Beh?rden, die bei der Entwicklung von Projekten mit unterschiedlichem Forderungen umgehen k?nnen. Eine gute Planung sollte s?mtliche Anspruchsgruppen einbeziehen, alternative Standorte sowohl ?kologisch als auch energiewirtschaftlich bewerten und Handlungsoptionen ausloten. Die Priorisierung technisch geeigneter Standorte mit geringen ?kologischen Folgen kannn Entscheidungsprozesse beschleunigen.5
2. Energie- und Naturschutzpolitiken sollten anpassungsf?hig und auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik sein, um flexible und effektive L?sungen zu erm?glichen. Allzu starre Vorschriften führen hingegen oft in eine Sackgasse.
3. Transparenter Daten- und Erfahrungsaustausch zwischen Projekten und Regionen kann massgebend zur L?sung des Wasserkraft-Fisch-Dilemmas beitragen. Meiner Meinung nach w?re eine globale Wissensplattform für die Verbreitung bew?hrter Praktiken sinnvoll. Beteiiligte sollten Informationen offen mit der Gesellschaft teilen.
Ein Runder Tisch für die Wasserkraft
Hier ist ein vielversprechendes Beispiel: Nachdem in der Schweiz neue Wasserkraftwerke jahrelang blockiert worden waren, trafen sich Stromunternehmen, Umweltverb?nde und kantonale Beh?rden im Sommer 2020 zu einem runden Tisch. Die Akteure haben sich seither auf eine gemeinsame Bewertungsmethode sowie auf eine Liste von fünfzehn potenziellen Projekten für den Ausbau der Wasserkraft geeinigt.6
Der Kompromiss wurde m?glich, weil jedes Projekt an einem anderen Ort Ausgleichsmassnahmen zum Schutz von Biodiversit?t und Landschaft vorsieht – zus?tzlich zu den baulichen Massnahmen, um die Kraftwerke weniger sch?dlich für Fische zu machen. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen aus Brasilien: Oft sind die involvierten Parteien bereit, Kompromisse einzugehen, wenn sie die M?glichkeit erhalten, solche gemeinsam zu erarbeiten.
Wir müssen jetzt handeln, wenn wir die Stromversorgung decken und Fischpopulationen weltweit erhalten wollen. In grossen Flusssystemen wie dem Amazonas, dem Mekong und dem Kongo stehen nicht nur die Stromversorgung und die Fischvielfalt auf dem Spiel, sondern auch die Ern?hrungssicherheit. Je umsichtiger wir Wasserkraft planen, desto ausgewogener werden die Kompromisse sein, um den Zielkonflikt zwischen Ausbau und Schutz zu entsch?rfen.
Referenzen
1 Zarfl et al. 2015. externe Seite A global boom in hydropower dam construction. Aquatic Sciences 77(1):161-170 doi:10.1007/s00027-014-0377-0.
2 In der Schweiz liefern derzeit mehr als 670 Wasserkraftwerke rund 57 Prozent des inl?ndischen Stroms. Siehe: Bundesamt für Energie: externe Seite Wasserkraft and externe Seite Energiestrategie 2050
3 Unser Bericht: Fish mortality at Hydropower Plants – Identifying Problems and Co-Creating Solutions mit Beispielen von brasilianischen Geldstrafen von über 100 Millionen Schweizer Franken in zehn Jahren.
4 Zum Beispiel bieten das externe Seite Schweizerische Gew?sserschutzgesetz und die externe Seite Gew?sserschutzverordnung sowie die externe Seite Europ?ische Wasserrahmenrichtlinie eine rechtliche Grundlage zum Schutz von Süsswasser?kosystemen, einschliesslich geeigneter Lebensr?ume für Fische.
5 Diese Planungsinstrumente haben wir für die Standortwahl von Kleinwasserkraftwerken in Brasilien entwickelt: Romanelli et al, 2018. externe Seite Site Selection for Hydropower Development: A GIS-Based Framework to Improve Planning in Brazil. Journal of Environmental Engineering 144(7) doi:10.1061/(asce)ee.1943-7870.0001381.