ETH-Absolventen erfinden die Bedienungsanleitung neu

Drei Sachen haben David Shapira und Kordian Caplazi gemeinsam: Sie sind jung, sie haben einen ETH-Abschluss in der Tasche und sie wussten schon vor dem Studium, dass sie sich selbst?ndig machen m?chten. Den Traum der eigenen Firma haben sie sich mit der Gr¨¹ndung von Rimon Technologies im August 2020 erf¨¹llt. Das Start-up ist so erfolgreich, dass im vergangenen Jahr bereits vier weitere Mitglieder zum Team gestossen sind.

Rimon entwickelt virtuelle Bedienungsanleitungen f¨¹r Industrieunternehmen. Diese sollen Techniker:innen unterst¨¹tzen, wenn sie ein neues Ger?t in Betrieb nehmen oder es reparieren m¨¹ssen. Statt sich m¨¹hsam ins Handbuch einzulesen, tragen die Nutzer:innen eine Augmented-Reality-Brille, die sie schrittweise durch komplexe Anleitungen f¨¹hrt. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort beliefert sie die Brille mit den n?tigen Informationen.

Augmented Reality, zu Deutsch erweiterte Realit?t, ist nicht zu verwechseln mit der Virtual Reality. Wer VR-Anwendungen nutzt, taucht komplett in eine virtuelle Welt ein. Dagegen gibt die AR-Brille einen freien Blick auf die reale Umgebung und ¨¹berlagert diese mit holografischen Elementen. Im Falle der virtuellen Bedienungsanleitung projiziert die Brille Erkl?rvideos, interaktive Textfelder oder auch das 3D-Modell einer Maschine in das Sichtfeld.

Aus dem Forschungslabor in die Industrie

?Was wir genau machen, verstehen unsere Kundinnen und Kunden oftmals erst, wenn wir ihnen eine AR-Brille aufsetzen?, sagt Shapira und lacht. Gut geeignet f¨¹r solche Demos sei der sogenannte ?Coffee Case?, eine Schritt-f¨¹r-Schritt-Anleitung f¨¹r die Kaffeezubereitung mit einer Barista Maschine. Der 29-J?hrige hat die Anleitung urspr¨¹nglich als Semesterarbeit entwickelt ¨C das war Anfang 2019.

In einer Wahlvorlesung im Maschinenbaustudium hatte Shapira die AR-Technologie und deren Anwendungsm?glichkeiten erst richtig kennengelernt. ?Mich faszinierte, wie sich durch die AR-Brille Informationen anders darstellen lassen?, erz?hlt er. Caplazi, der die Vorlesung ebenfalls besuchte, erg?nzt: ?Weil es eine junge Technologie ist, gab es viel Spielraum f¨¹r neue Ideen.? Beiden wurde schnell klar, dass sie sich in der Masterarbeit tiefer mit AR auseinandersetzen wollen.

Ein gl¨¹cklicher Zufall verhalf Shapira zu seinem Projekt: Der technische Direktor des Schliesstechnikunternehmens Dormakaba besucht die Maschinenbaulabors an der ETH und kommt mit dem Masterstudenten ins Gespr?ch. Shapira erz?hlt von m?glichen AR-Anwendungen, die er f¨¹r das Industrieunternehmen sieht. Er ¨¹berzeugt. In einer praktischen Studie soll er das Potenzial der neuen Technologie im Betrieb von Dormakaba aufzeigen.

Corona-Notl?sung entpuppt sich als Erfolg

F¨¹r seine Studie entwirft Shapira eine virtuelle Bedienungsanleitung, die durch die Montage einer Sicherheitsschleuse f¨¹r Gesch?ftsgeb?ude f¨¹hrt. ?Die Schleuse hat sich als Fallbeispiel gut geeignet, weil sie zu dieser Zeit nur selten installiert wurde?, erkl?rt er. Servicetechniker:innen f¨¹r diese Arbeit zu schulen, sei entsprechend aufw?ndig. Der Plan war, die Performance der Techniker:innen nach klassischer Schulung und mit Anleitung durch die AR-Brille zu vergleichen.

Doch wie bei so vielen Praxisarbeiten macht Corona auch hier einen Strich durch die Rechnung. Die geplante Studie mit den Industrieangestellten darf Shapira im Lockdown nicht durchf¨¹hren. Die Notl?sung: Maschinenbaustudierende. Ohne Vorwissen zur Sicherheitsschleuse oder dem Umgang mit der 3D-Brille gelingt die Montage s?mtlichen Studierenden ohne Fehler. ?Das h?tte ich nie erwartet?, so Shapira.

Zur gleichen Zeit untersucht sein Kommilitone Caplazi in seiner Masterarbeit, wie sich anhand von Hand- und Augenbewegungen die n?chste Handlung der AR-Nutzer:innen vorhersagen l?sst. So k?nnen diese fr¨¹hzeitig vor Gefahrensituationen gewarnt werden. Shapira und Caplazi tauschen sich gegenseitig aus, experimentieren in der Freizeit fleissig weiter. Immer mehr sind die beiden ¨¹berzeugt: AR-Anleitungen sind ein vielversprechendes Gesch?ftsfeld. Im August 2020 ist es so weit: Sie gr¨¹nden eine GmbH.

Kundenpalette des Start-ups ist divers

Heute arbeitet ein sechsk?pfiges Team daran, die AR-Anleitungen weiterzuentwickeln. Zwei Mitarbeitende konzentrieren sich nur aufs Programmieren, eine Designerin k¨¹mmert sich um den optischen Look. Ziel ist, eine Programmoberfl?che zu gestalten, welche Nutzer:innen m?glichst intuitiv durch den Prozess f¨¹hrt. ?Anders als bei Social-Media-Apps gibt es f¨¹r AR-Anleitungen noch kein Vorzeigebeispiel?, so Caplazi.

Die Kundenplatte des Startups ist divers: Firmen aus der Heiztechnik, der Energietechnik oder sogar K¨¹chenunternehmen sind vertreten, darunter internationale Unternehmen und kleine KMUs. Auf Projektbases arbeitet Rimon eng mit den Industrievertreter:innen zusammen, um die geeignete Anwendung f¨¹r jedes Unternehmen zu finden. ?In der Praxis zeigt sich, dass die Unternehmen oftmals ?hnliche Bed¨¹rfnisse haben?, sagt Roder.

Der studierte Lebensmitteltechnologe, der Erfahrungen aus einem fr¨¹heren Start-?up mitbringt, ist vor allem im Verkauf t?tig. Wie wahrscheinlich viele habe er sich nach dem Studienabschluss zuerst ¨¹berlegt, ein Doktorat anzuh?ngen, erz?hlt der 28-?J?hrige. Im Bereich der Augmented Reality war f¨¹r Roder jedoch schnell klar: ?Wissenschaftliche Erkenntnisse haben wir genug. Jetzt geht es darum, n¨¹tzliche Anwendungen zu finden.?

Einen Mehrwert bringen AR-?Anleitungen besonders f¨¹r Auslandsauftr?ge und Schulungen, welche die Pandemie zus?tzlich erschwert. F?llt eine Maschine bei einem Kunden im Ausland aus, kann die Firma statt einem Techniker die AR-?Brille als Hilfsmittel schicken. Sie bietet dadurch nicht nur einen schnelleren Service, sondern kann auch Kosten sparen. Schulungen k?nnen nun ortsunabh?ngig oder nur f¨¹r individuelle Mitarbeitende durchgef¨¹hrt werden.

Technologie entwickelt sich rasant weiter

Gerade besch?ftigt Rimon ein Projekt mit einem Heiztechnikunternehmen, bei dem das Potenzial der AR-?Brille als Schulungswerkzeug besonders gross ist. Der Umstieg auf erneuerbare Energien und Heizsysteme bedeutet n?mlich, dass das Unternehmen in kurzer Zeit grosse Teile der Belegschaft umschulen muss. ?70 Prozent der Servicetechniker:innen wurden f¨¹r die Arbeit mit fossilen Heizungen ausgebildet?, erkl?rt Caplazi. Die AR-?Anleitungen helfen dem Unternehmen, beim technologischen Wandel mitzuhalten.

Die Konkurrenz von Rimon ist gross. Auch Tech-?Giganten wie Microsoft t¨¹fteln an AR-?Anleitungen f¨¹r diverse Zwecke. ?Die ganze Industrie probiert im Moment aus, welche AR-?Anwendungen funktionieren?, so Roder. Derzeit konzentriert sich das ETH-?Startup daher auf L?sungen f¨¹r die Maschinenbaubranche, wo die beiden Firmengr¨¹nder bereits viel Expertise mitbringen. Als N?chstes planen die Jungunternehmer:innen, eine Self-?Service-Plattform zu lancieren, die es Firmen erm?glichen soll, selbstst?ndig AR-?Anleitungen zu erstellen.