Der Unternehmer, der in den Untergrund schaut
Der Geophysiker Mauro H?usler ist Pioneer Fellow der ETH Zürich. Mit einer seismischen Methode untersucht er Felsinstabilit?ten und will sich damit als Dienstleister in der Geoingenieurbranche etablieren.
Der Rheinfall rauscht und tost an diesem Morgen, die Gischt sieht im Gegenlicht wie Nebel aus. Ein kleines Boot bahnt sich seinen Weg vom Aussichtsfelsen mitten in den sch?umenden Wassermassen zum Schl?ssli W?rth.
Zwei M?nner steigen aus. Einer von ihnen ist Mauro H?usler, Pioneer Fellow der ETH Zürich, der andere Lorenz Gr?miger vom Geologiebüro Dr. von Moos AG. Die beiden haben soeben Seismometer auf dem Felsen und an seinem Fusse aufgestellt.
Nun fahren sie in einem weissen Transportbus der ETH zu einer anderen Stelle am Rand des Rheinfalls. Eine betonierte Besucherplattform erscheint H?usler passend. In nur zehn Minuten richtet er eine weitere Messstation ein, und das Experiment kann beginnen. Das Ziel: mittels Seismik zu untersuchen, wie stabil der Aussichtsfelsen im Rheinfall ist.
Auf dem Weg in die Selbstst?ndigkeit
Die Messungen am Rheinfall und seinem Felsen sind für H?usler ein Testlauf. Er hat im September seine Doktorarbeit verteidigt, nun ist er daran, sich selbstst?ndig zu machen. Seine Gesch?ftsidee ist, seismische Gutachten zur Stabilit?t von Felsen und H?ngen anzufertigen.
Dazu verwendet H?usler eine Reihe von Seismometern, die Schwingungen respektive Wellen von Erschütterungen, die sich unterirdisch ausbreiten, wahrnehmen und aufzeichnen. So nutzt der Jungunternehmer den Umstand, dass Erdbeben, Wind, Flüsse oder der Strassenverkehr Erschütterungen erzeugen, die als Wellen durch den Untergrund rasen.
Auf ihrer Reise treffen die Wellen auf Hindernisse oder St?rungen unterschiedlichster Art. So werden sie zum Beispiel an Brüchen oder Rissen im Gestein abgelenkt. Im instabilen, aufgelockerten Material wiederum werden die Amplituden der Wellen verst?rkt. Die Wellenmuster, die das Seismometer aufzeichnet, lassen deshalb Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Untergrunds zu.
Zudem werden Felsen, Berge oder Geb?ude von den Erschütterungen dazu angeregt, selbst zu schwingen, wie eine Gitarrensaite, die angeschlagen wird. Das Seismometer registriert auch die Eigenschwingungsfrequenzen der Objekte, was Auskunft darüber gibt, wie solide sie sind und welche Gebiete eines Hanges oder eines Felsens strukturell verbunden sind.
Schwingt der Fels an zwei Messpunkten synchron und mit der gleichen Frequenz, k?nnen sie mit grosser Wahrscheinlichkeit dem gleichen strukturellen Volumen zugeordnet werden. Generell schwingen grosse Volumen langsamer, das heisst mit einer tieferen Frequenz als kleine Volumen.
So liegt die Schwingungsdauer der meisten Felsinstabilit?ten zwischen 0,1 und 0,3 Sekunden, w?hrend sie bei Bergen wie dem Matterhorn über zwei Sekunden dauert, wie H?usler als Mitautor der Studie (vgl. ETH News) über die Resonanzfrequenzen des berühmten Felszahnes herausfand.
Technik hat sich bew?hrt
Die Technik ist an sich nicht neu. Bauingenieure nutzen sie, um Bauten wie Brücken, Hochh?user, Staud?mme oder Windturbinen zu überwachen. H?usler hat die Methode in seiner Doktorarbeit jedoch so weiterentwickelt, um sie für die Untersuchungen in Hangrutschzonen und von Felsinstabilit?ten nutzbar zu machen.
In Preonzo im Kanton Tessin, wo 2012 ein Felssturz ins Tal donnerte, entdeckte H?usler mithilfe der Methode, dass gr?ssere Teile der Anrisszone zur Instabilit?t geh?ren als angenommen. Auf der Walkerschmatt über dem Mattertal im Wallis kartierte der Geophysiker mit seiner Methode Brüche, welche andere Geologen mit Feldbegehungen nicht aufdecken konnten. Zum Einsatz kam sie auch beim Bündner Dorf Brienz/Brinzauls, das sowohl auf einem instabilen Hang steht, der sich derzeit mit einem Meter pro Jahr talw?rts bewegt, als auch bergseitig von instabilen Felsen bedroht wird.
?Die Wissenschaft hat die Technik nun seit über zehn Jahren erfolgreich entwickelt und erprobt, jetzt ist die Zeit reif, sie in die Praxis zu übertragen?, sagt H?usler. Er m?chte sp?ter im Jahr eine eigene Firma gründen, und das Pioneer Fellowship der ETH Foundation erlaubt es ihm, die Gründung nun vorzubereiten.
Dank des Fellowships kann er nun weitere Entwicklungen in Angriff nehmen, sein Gesch?ft aufbauen und Auftr?ge annehmen, mit denen er die Methode in der Praxis erproben und verfeinern kann, um sie markttauglich zu machen. Ein solcher Auftrag ist der Rheinfallfelsen. Geld verdient H?usler damit noch nicht. Aber er hat derzeit auch keinen grossen finanziellen Druck.
Zwei Standbeine
Zu den Dienstleistungen seiner Firma z?hlen zum einen kurzfristige seismische Messungen, die der Jungunternehmer tageweise an einem Standort durchführt. ?Mit meiner Methode kann ich rasch und pr?zise in den Untergrund ‘schauen’?, sagt H?usler. Oft reicht es aus, wenn er am Morgen die Seismometer im Gel?nde platziert, wenige Stunden misst und am Nachmittag die Ger?te abr?umt, dann die Daten auswertet.
Zum anderen fasst H?usler auch die l?ngerfristige ?berwachung von gef?hrdeten Gebieten ins Auge. Da würden die Seismometer mehrere Monate oder gar Jahre in Betrieb sein. Solche Langzeitüberwachungen würden beispielsweise pl?tzlich sinkende Frequenzen der überwachten Zone aufdecken. ?Dies w?re ein guter Hinweis auf abnehmende Stabilit?t des betreffenden Felsens oder Hanges. Ich kann die Seismik also auch als Frühwarnsystem einsetzen?, betont der Geophysiker.
Die Nische, in der er t?tig werden will, sind in erster Linie Felsinstabilit?ten. Dort bestehe derzeit kaum Konkurrenz durch andere Anbieter. Anwenden k?nnte man die Technik auch bei freistehenden Felsstrukturen, wie etwa Felsbrücken wie sie in einigen US-Nationalparks zu sehen sind.
Aber auch Monitoring und Erfolgskontrolle bei Schutzmassnahmen gegen Naturgefahren wie Stützmauern kommen als Anwendung in Frage. Bei der ?berwachung von Brücken oder anderen Geb?uden sehe er als Einsteiger eher weniger Potenzial, da er die (Bau-) Branche noch nicht kenne.
Seine ersten Kunden dürften daher vor allem Geotechnikbüros sein. Solche Büros erhalten Auftr?ge für geologische Gutachten von Beh?rden, Gemeinden oder Kantonen, aber auch von Transport- und Energieunternehmen. Bei Bedarf k?nnen sie H?uslers Dienstleistungen miteinbeziehen und mitofferieren. Der Jungunternehmer konzentriert deshalb die Werbung für seine Firma auf diese Branche. Auftr?ge wie jener am Rheinfall versteht er als Werbemassnahme, um sich in der Branche einen Namen zu machen.
Arbeit geht nicht aus
Auf Investoren ist er zurzeit noch nicht angewiesen. Die Seismometer geh?ren der ETH, H?usler kann sie w?hrend des Fellowships nutzen, bis er sich eigene Ger?te anschafft. Ein paar 10'000 Franken wird ihn das kosten. Auch kann er alle Daten auf seinem Laptop analysieren; er braucht dazu keinen Grossrechner. Zudem nutzt er Software, die er w?hrend seines Doktorats geschrieben hat oder in der Wissenschaft-Community frei verfügbar ist.
H?usler ist optimistisch, dass er sich mit seiner Gesch?ftsidee etablieren kann – Felsinstabilit?ten wird es in einem Alpenland wie der Schweiz immer geben. Und im Zuge des Klimawandels noch mehr. Die Arbeit dürfte daher nicht weniger, sondern eher mehr werden. Gute Aussichten für jemanden, der in den Untergrund schauen kann.