Unterschätzte Risiken
Klimawandel, Pandemien, Cyberangriffe sind Risiken, die seit l?ngerem im Fokus der ?ffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Es gibt aber auch Risiken, denen wir nach der Ansicht von ETH-Forschenden noch zu wenig Beachtung schenken. Die Fotografin Tina Sturzenegger hat die Szenarien in Szene gesetzt.
Sicheres Lernen
Autonome Systeme wie Roboter, Fahrzeuge oder Produktionsanlagen sollen lernen, sich selbst zu verbessern. Die Vision ist ein System, das mit seiner Umgebung interagiert und lernt, eine Aufgabe zu erfüllen. Durch die Vielzahl der M?glichkeiten k?nnen Handlungen, die rein auf Erfahrungen basieren, aber zu Fehlern führen – mit m?glicherweise kritischen Konsequenzen. Wir entwickeln Methoden, die durch Modelle, Systemverst?ndnis und Analyse das Risiko einer Handlung absch?tzen und diese falls n?tig anpassen k?nnen, um so Lernen in einem sicheren Rahmen zu erm?glichen.
Melanie Zeilinger, Professorin für Intelligente Regelsysteme
Mangelnde Transparenz
In der Schweiz werden bis zu 25 Prozent der abgegebenen Wahlzettel für ungültig erkl?rt. Die Vertr?ge zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und den Impfstoffherstellern sind geheim. Solche Nachrichten unterminieren das Vertrauen in die Demokratie und führen zu berechtigten Fragen: Wurde meine Stimme korrekt gez?hlt? Wie wird unser Steuergeld ausgegeben? Technologisch ist diese Geheimniskr?merei im Zeitalter von Blockchains nicht zu rechtfertigen. Die Digitalisierung erlaubt einen dringend n?tigen Paradigmenwechsel zu transparentem Regieren. Wir forschen daran.
Roger Wattenhofer, Professor für Computer Engineering and Networks Laboratory
Infrastrukturversagen
Einer der wichtigsten Aspekte bei der Planung von Bauwerken besteht darin, ein Strukturversagen zu verhindern. In Bezug auf die Alterung von Bauwerken und der Dauerbelastung als Bew?hrungsprobe für neue Konstruktionsmethoden wurde dieses Risiko in den letzten Jahren untersch?tzt. Wir entwickeln datengetriebene Algorithmen, die mit Sensortechnik den Zustand der überwachten Objekte prüfen. Dazu nutzen wir Datenverarbeitung, maschinelles Lernen und Computertechnik, um Daten von in Betrieb befindlichen Bauwerken und fortgeschrittenen Labortests mit physikalischen Modellen zusammenzuführen und neue Erkenntnisse für den Betrieb und Schutz von Bauwerken und Infrastrukturen zu gewinnen.
Eleni Chatzi, Professorin für Strukturmechanik und Monitoring
Zuviel Vertrauen in Wissenschaft
Risikobeurteilungen und Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen sollten sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Eine grosse Gefahr ist jedoch das ?bersch?tzen von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Mit dem Klimawandel k?nnten Katastrophenszenarien Wirklichkeit werden, die in der Wissenschaft bisher niemand erwartet oder nur eine Minderheit in Betracht zieht. Wir erforschen optimale Entscheidungsfindung in F?llen, in denen Fachleute widersprüchliche Informationen liefern, und hinterfragen die Rolle von Fachleuten dabei. Daneben betonen wir die Bedeutung von Forschungseinrichtungen, die die Entwicklung origineller und wom?glich disruptiver Erkenntnisse unterstützen.
Antoine Bommier, Professor of Integrative Risk Management and Economics
?bersch?tzte Resilienz
Resilienz beschreibt die F?higkeit von Systemen, interne und externe Schocks zu bew?ltigen. Beispiele sind etwa ein erdbebensicheres Geb?ude oder ein gesundes Immunsystem. Aber wie bestimmt man die Resilienz von sozio?konomischen Systemen, beispielsweise von Unternehmen und Organisationen? Wir entwickeln Modelle und datenbasierte Indikatoren für solche Systeme. Sie zeigen, wann dynamische Anpassung auf Kosten der internen Stabilit?t erfolgt und statt der erhofften Verbesserung der Zusammenbruch droht. Damit werden die unbeabsichtigten Konsequenzen von Entscheidungen fassbar.
Frank Schweitzer, Professor für Systemgestaltung
Knochenbrüche vorhersagen
Oberschenkelbrüche sind vor allem für ?ltere Menschen gef?hrlich. Unser Ziel ist es, das Risiko eines Bruchs anhand numerischer Simulationen zuverl?ssig vorherzusagen. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern vom Labor für numerische Mechanik und experimentelle Biomechanik der Universit?t Tel Aviv entwickeln wir neuartige Modellierungs- und Berechnungsverfahren, um die Genauigkeit biomechanischer Prognosen zu verbessern. So wollen wir dem klinischen Fachpersonal helfen, das Risiko eines Oberschenkelbruchs für ?ltere Menschen bei einem Sturz auf die Seite oder für Patientinnen und Patienten mit Knochentumoren genau abzusch?tzen, damit sie gezielte patientenspezifische Massnahmen planen k?nnen.
Laura de Lorenzis, Professorin für Numerische Mechanik
Der stille Rückgang der Lebewesen
Die Diversifizierung von Organismen über Millionen von Jahren im Zuge der Evolution hat die Entfaltung menschlicher Zivilisationen und die Entstehung landwirtschaftlicher, materieller und biotechnologischer Ressourcen erm?glicht. In welchem Ausmass Lebensformen in allen ?kosystemen weltweit verschwinden, ist schwer zu messen und zu verstehen. Regulierende und versorgende Funktionen, auf die wir uns seit Jahrtausenden verlassen, sind bisher dank funktionaler Redundanzen erhalten geblieben. Doch nichtlineare Reaktionen von ?kosystemen auf das zunehmende Artensterben k?nnten uns an einen unumkehrbaren Wendepunkt bringen.
Lo?c Pellisier, Professor für Landschafts?kologie
Eisenmangel und Immunsystem
Mehr als die H?lfte der Kinder in Entwicklungsl?ndern leidet an Blutarmut aufgrund von Eisenmangel. Kinderimpfungen wirken weniger gut in Entwicklungsl?ndern, die Gründe dafür sind unklar. Kürzlich publizierte Studien zeigten, dass weisse Blutzellen nach einer Impfung viel Eisen ben?tigen, um Antik?rper zu produzieren. Darum haben Kinder mit Eisenmangel weniger Antik?rper oder Antik?rper mit einer verminderten Qualit?t und damit ein erh?htes Risiko, nach der Impfung nicht genügend geschützt zu sein. Die Verabreichung von Eisen verbessert die Wirkung von Impfungen gegen Kinderkrankheiten.
Dr. Nicole Stoffel, Professur für Humanern?hrung
Dieser Text ist in der Ausgabe 22/01 des ETH-????Magazins Globe erschienen.