Chemiker:innen haben eine einfache Reaktionsmethode gefunden, mit der sich ein wichtiger chemischer Baustein direkt in andere Arten von Verbindungen umwandeln l?sst. Das erweitert die M?glichkeiten der Chemie und erleichtert die Suche nach neuen Wirkstoffen.
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Arzneimittel wirken immer pr?ziser. Aktuelle Beispiele sind die neuen Medikamente, welche die Vermehrung des Coronavirus an unterschiedlichen Stellen im Virus-Kreislauf sehr spezifisch eind?mmen. Um Wirkstoffe zu finden, die so zielgenau im Organismus funktionieren, werden heute in der Regel m?glichst umfassende Bibliotheken von chemischen Verbindungen ausgetestet. Die Vergr?sserung der bestehenden Wirk- und Naturstoff-Bibliotheken ist darum eine entscheidende Voraussetzung, um in Zukunft noch wirksamere Medikamente entwickeln zu k?nnen.
Wissenschaftler:innen von Laboratorium für organische Chemie der ETH Zürich haben jetzt eine einfache und robuste Methode entwickelt, mit der sich die in der Natur sehr h?ufig vorkommende Indol-Gruppe gezielt in andere Strukturelemente umwandeln l?sst. Die entstehenden Verbindungen haben ein ebenso grosses biologisches Wirkungspotenzial wie ihre Indol-Ausgangsstoffe. Sie sind aber in den Bibliotheken bisher noch viel seltener vorhanden. Durch das Verfahren der ETH-Chemiker werden sich die Bibliotheken deshalb mit wenig Aufwand um sehr viele zus?tzliche potenzielle Wirkstoffe vergr?ssern lassen.
Grundgerüst von wichtigen Naturstoffen
Die Indol-Gruppe bildet das Grundgerüst von hunderten von Naturstoffen und Medikamenten, wie etwa der in unseren Proteinen vorkommende Aminos?ure Tryptophan, dem Schlafhormon Melatonin, dem als Glückshormon bekannten Hirnbotenstoff Serotonin oder dem Rheumamittel Indometacin.
Wie sehr viele andere Wirkstoffe in unserem K?rper ist die Indol-Gruppe aus Atomringen aufgebaut. Acht Kohlenstoffatome und ein Stickstoffatom sind im Grundgerüst in einem aus zwei aneinandergeh?ngten Ringen bestehenden, sogenannten aromatischen System miteinander verbunden. Einer der Ringe besteht dabei aus sechs Kohlenstoffatomen und der andere aus einem Stickstoff- und vier Kohlenstoffatomen, das heisst einem Fünfring.
Die Wissenschaftler:innen aus der Gruppe von Bill Morandi, Professor am Departement für Chemie und angewandte Biowissenschaften, haben nun einen Weg gefunden, den Fünfring gezielt mit einem zus?tzlichen Stickstoffatom zu einem Sechsring zu erweitern. Eine derartige spezifische Erweiterung eines Ringgerüsts sieht auf dem Papier einfach aus. In der Laborrealit?t war sie bisher eine grosse Herausforderung. ?Schon l?nger gibt es Verfahren, mit denen sich ein derartiges Ringsystem um ein Kohlenstoffatom erweitern l?sst. Das gezielte Einsetzen eines biologisch viel wertvolleren Stickstoffatoms ist aber wesentlich schwieriger?, erkl?rt Morandi.
Alte Inspiration und neuer chemischer Trick
Die neuartige Methode hat Julia Reisenbauer, Doktorandin in Morandis Gruppe, erarbeitet. Dabei liess sie sich von einer Reaktion aus dem 19. Jahrhundert inspirieren. Mit der nach deren Erfindern benannten Ciamician-Dennstedt-Umlagerung lassen sich einzelne Kohlenstoffatome in aromatische Ringsysteme einführen. Um den Stickstoff dazu zu bringen, sich entgegen seinen eigentlichen chemischen Eigenschaften genauso mit dem Ring zu verbinden, war aber ein Trick n?tig. Eine Verbindung mit einem speziellen, sogenannt hypervalenten Iod-Atom sorgte dafür, dass sich die natürliche Reaktivit?t des Stickstoffs umkehrte.
?Im Gegensatz zu vielen anderen Labormethoden funktioniert unsere fast unabh?ngig davon, welche anderen Atomgruppen auch noch an das Indol-Gerüst gebunden sind.?Julia Reisenbauer
Schliesslich stellte sich heraus, dass dieser Trick nicht nur in einzelnen F?llen erfolgreich ist, sondern mit fast allen getesteten Indol-Verbindungen funktioniert. ?Ein grosser zus?tzlicher Vorteil unserer Reaktion liegt in ihrer ausserordentlich grossen Robustheit?, unterstreicht Reisenbauer. ?Im Gegensatz zu vielen anderen Labormethoden funktioniert sie fast unabh?ngig davon, welche anderen Atomgruppen auch noch an das Indol-Gerüst gebunden sind.? Kommt dazu, dass das Stickstoffatom an zwei verschiedenen Stellen im neuen Sechserring spezifisch platziert werden kann. Die vielen bekannten Indol-Verbindungen lassen sich dadurch sogar in jeweils zwei unterschiedliche neue Abk?mmlinge umwandeln.
Und das Potenzial der Methode ist vielleicht noch wesentlich gr?sser. Erste weitergehende Experimente lassen vermuten, dass sich mit ihr nicht nur Indol-Gruppen um einzelne Stickstoffatome erweitern lassen. Auch mit anderen Ringsystemen scheint das Verfahren zu funktionieren. ?Durch das Einführen von Stickstoffatomen in unterschiedliche aromatische Ringe k?nnten viele zus?tzliche potenzielle Wirkstoffe hergestellt werden?, erkl?ren Morandi und Reisenbauer.
Stickstoffatome geh?ren zu den zentralen Wirkungselementen in der Chemie des Lebens, und aromatische Ringsysteme, die mehrere Stickstoffatome enthalten, z?hlen zu den wichtigsten Strukturmotiven in der medizinalen Chemie überhaupt. Sie sind unter anderem dafür verantwortlich, dass die Erbsubstanz DNA unsere genetische Information exakt und zuverl?ssig kopieren und speichern kann. Und genau in diese Mechanismen will man beispielsweise mit Viren- und Krebsmedikamenten eingreifen.
Literaturhinweis
Reisenbauer JC, Green O, Franchino A, Finkelstein P, Morandi B: Late-stage diversification of indole skeletons through nitrogen atom insertion. Science, 2. September 2022, doi: externe Seite 10.1126/science.add1383