Die Graphische Sammlung der ETH Zürich hat über 50'000 Kunstwerke digitalisiert, die nun frei zug?nglich sind. Linda Sch?dler, Leiterin der Graphischen Sammlung, erkl?rt im Gespr?ch, warum sie auch noch die anderen 110'000 Bilder erfassen m?chte. ?

Dieses Bild zeigt die digitale Version von Albrecht Dürer's Rhinocerus von 1515.
Albrecht Dürer: Rhinocerus, 1515 (Bild: Graphische Sammlung ETH Zürich)

Frau Sch?dler, die Graphische Sammlung hat 50'000 ihrer Werke digitalisiert. Schafft sich das Museum damit nicht selber ab?
Nein, die Digitalisierung der Werke ist eine wunderbare Erg?nzung zur Ausstellung, aber ganz bestimmt kein Ersatz. Wenn wir eine Ausstellung kuratieren, dann w?hlen wir bewusst aus. Wir machen Werke von Künstler:innen zug?nglich, die sonst vielleicht unentdeckt bleiben würden und setzen Kunst in einen Kontext. So erhalten Besuchende automatisch noch mehr Informationen und stellen neue Verbindungen zwischen den Kunstwerken her. Die Digitalisierung bringt andere Vorteile.

Welche?
Bei uns ist der Tr?ger des Kunstwerks fast immer Papier, das heisst die Werke sind sensibel. Wir k?nnen also gar nicht alle Kunstwerke dauernd ausstellen und müssen diese gut vor Licht geschützt in Boxen aufbewahren. Durch die Digitalisierung sind diese Kunstwerke auch dann sichtbar, wenn sie gerade nicht ausgestellt sind. Wir schützen sie und k?nnen den Menschen gleichzeitig vermitteln, welch grosse Sch?tze wir in unseren Best?nden haben.

Walter Benjamin stellte fest, dass im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die Aura des Kunstwerks verkümmere – was verliert das Kunstwerk durch die Digitalisierung?
Die Fragilit?t, das Papier, die verschieden Drucktechniken oder manchmal auch schlicht den Eindruck der Gr?sse eines Kunstwerks k?nnen Sie am Computer nur erahnen, dafür müssen Sie das Original sehen. Was übrigens Viele nicht wissen: Nach Voranmeldung kann man sich unsere Werke auch im Studiensaal im Original anschauen und sich in sie vertiefen.

Und gewinnt das Kunstwerk auch etwas?
Wir sind als Museum in einer aussergew?hnlichen Situation, weil wir Teil einer technischen Hochschule sind. Mit dem Game Technologie Center (GTC) entstand zum Beispiel eine Augmented Reality App, die den Besuchenden bei Ausstellungen unz?hlige Hintergrundinfos zu den einzelnen Werken liefert und gleichzeitig aktuelle ETH-Forschung pr?sentiert. Um diese neuen Formen der Kunstvermittlung nutzen zu k?nnen, braucht man zwingend ein Digitalisat.

Es geht also auch um Forschung?
Ja, klar! Die ETH-Bibliothek, zu der wir ja geh?ren, legt unter anderem deshalb so viel Wert auf die Digitalisierung, weil damit allen Forschenden rund um den Globus wichtige Quellen zug?nglich gemacht werden. Unsere Werke geh?ren da selbstverst?ndlich dazu. Eine Wissenschaftlerin aus Salamanca hat erst über unseren Onlinekatalog erfahren, welche Werke einer Künstlerin, zu der sie forscht, wir hier in Zürich haben. Und natürlich haben Bilder online auch ganz praktische Vorteile: So k?nnen Sie in ein Werk reinzoomen und ein Detail vielleicht besser erkennen.

Sie haben jetzt die ersten 50'000 Werke von insgesamt 160'000 digitalisiert – wie haben Sie ausgew?hlt?
Eine Eigenart einer graphischen Sammlung ist es, dass die Werke in erster Linie nach Gr?sse geordnet sind. Um die Werke zu schonen, arbeiten wir jeweils eine Box durch. Das kann bedeuten, dass wir zum Beispiel alle Kleinformate eines Künstlers aus der entsprechenden Box erfassen, seine Mittelformate aber erst sp?ter digitalisieren. Zudem haben wir Schwerpunkte bei besonders wichtigen Künstler:innen gesetzt, die immer wieder nachgefragt werden: So haben wir beispielsweise alle Werke von Giovanni Battista Piranesi online gestellt – auch wenn wir dazu verschiedene Boxen parallel ?ffnen mussten. Wenn wir Neuzug?nge haben, dann wollen wir diese von Anfang an vollst?ndig erfassen. Ein Beispiel dafür ist die Schenkung von Werken Bernhard Luginbühls von 2020.

Dieses Bild zeigt die digitale Version von Giovanni Battista Piranesi's Carceri d'invenzione um 1749.
Giovanni Battista Piranesi: Carceri d'invenzione, um 1749 (Bild: Graphische Sammlung ETH Zürich)

Gibt es eigentlich spezielle Herausforderungen, wenn man Graphiken digitalisiert?
Bei uns haben M?nner wie Frauen, die mit den Werken arbeiten, ein absolutes Nagellackverbot, um die Kunstwerke zu schützen (lacht). Nein im Ernst, die Kunstwerke sollten m?glichst wenig bewegt und dem Licht ausgesetzt werden. Da es sich um wertvolle Objekte handelt, ist es für uns zudem wichtig, dass der Digitalisierungsprozess vor Ort stattfindet. Aber das ist eigentlich gar nicht der aufw?ndigste Teil...

Sondern?
Das Bestimmen und Erfassen der Metadaten. Von der Gr?sse und Technik bis zu allf?lligen Bezeichnungen oder Stempeln – alles muss exakt erfasst und nochmals kontrolliert werden. Auf eine Person, die das Werk digitalisiert, kommen weitere vier, welche die ganzen Daten erheben. Aber der grosse Aufwand lohnt sich für das Museum, denn durch die Digitalisierung wird das Sammlungsmanagement ebenfalls deutlich einfacher.  

Kunst zu digitalisieren, ist ein aufw?ndiger Prozess und deshalb mit hohen Kosten verbunden. Wer finanziert das bei der Graphischen Sammlung?
Die ETH-Bibliothek finanziert die H?lfte des Projekts, für die andere H?lfte wurden wir zusammen mit der ETH Foundation glücklicherweise bei der Ernst G?hner Stiftung und der Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung fündig. Es ist nicht einfach, Donator:innen zu finden, die Digitalisierungsprojekte unterstützen, obwohl es ein wichtiger Teil heutiger Museumsarbeit ist.

50'000 ist eine enorme hohe Zahl. Die Graphische Sammlung verfügt aber noch über einen riesigen Bestand – wie geht es weiter?
Rund ein Drittel unseres Bestands ist inzwischen erfasst. Das ist im Vergleich zu anderen Museen sowohl anteilsm?ssig wie auch in absoluten Zahlen eine sehr hohe Zahl. Jetzt auf halbem Weg stehen zu bleiben, ist für mich keine Option. Deshalb suchen wir für das mehrj?hrige Projekt zus?tzliche Partner:innen und G?nner:innen. Wenn wir im Jahr wie geplant ungef?hr 12'000 Werke erfassen und online stellen, dann haben wir zirka 2031 die ganze Sammlung digitalisiert. Das ist wichtig, denn ich bin davon überzeugt, dass die museale Zukunft auch eine digitale ist.

Der Sammlungskatalog Online

Der Sammlungskatalog Online mit den über 50'000 digitalisierten Werken der Graphischen Sammlung ist frei zug?nglich.

Inzwischen sind fast alle Werke etwa von Albrecht Dürer, Rembrandt oder Pablo Picasso online verfügbar. Ebenso k?nnen sich Interessierte Neuzug?nge, beispielsweise die umfangreiche Schenkung von Zeichnungen des Luzerner Künstlers Max von Moos (1903-1979), online ansehen. Das Projekt l?uft weiter, und es werden stetig weitere Kunstwerke digitalisiert.

 

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert