Schneefreie Schweiz?
Dass in den Schweizer Skigebieten in den letzten Wochen praktisch kein Schnee lagt, ist medial ein grosses Thema. Sonia Seneviratne erkl?rt, warum wir uns an diesen Anblick gew?hnen müssen, und welcher Handlungsbedarf besteht.
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Unterhalb von 2000 Metern gab es Anfang Jahr in den Schweizer Bergen kaum Schnee, und wenn überhaupt nur Kunstschnee. Das nagt am Selbstverst?ndnis der Schweiz. Eine Schweiz ohne Schnee ist wie der Weihnachtsmann ohne sein rot-weisses Gewand: Der Zauber verschwindet.
Die Ursache für den Schneemangel ist schnell gefunden. Die Temperatur in diesem Winter liegt deutlich h?her als in den letzten Jahrzehnten. Dies ist kein Zufall, sondern entspricht der langfristigen Zunahme der Temperatur in der Schweiz, die in allen Jahreszeiten zu beobachten ist. Die mittlere Temperaturzunahme in der Schweiz seit der zweiten H?lfte des 19. Jahrhunderts betr?gt 2,4°C (siehe Grafik). Dies ist doppelt so viel wie die mittlere globale Erw?rmung, die aktuell ca. 1,1°C betr?gt.1 Die Temperaturzunahmen sind haupts?chlich auf die Verbrennung von fossilen Energietr?gern wie Erd?l, Gas und Kohle zurückzuführen, was zu einem Anstieg von CO2 in der Atmosph?re führt.2
Der Klima-?Wandel? ist irreversibel
Diese Entwicklung wird immer schlimmer, da die menschlichen Emissionen weiter zunehmen und sich in der Atmosph?re akkumulieren. Dieser Klima-?Wandel? ist n?mlich gr?sstenteils irreversibel: Das überschüssige CO2 bleibt Hunderte, ein Teil sogar Tausende von Jahren in der Atmosph?re. Das heisst: Selbst wenn wir unsere Emissionen auf null bringen, würden unsere Berge nicht pl?tzlich wieder weiss werden. Die Schneelage in diesem Jahr ist viel besser als das, was uns in Zukunft noch erwartet. Schnee wird zum Luxus – zu einer Art ?weissem Gold?.
?Wir k?nnen die Augen nicht mehr davor verschliessen, dass die Schweiz ausserordentlich stark von der Klimakrise betroffen ist.?Sonia Seneviratne
Das sind schon schlechte Nachrichten, aber es kommt noch schlimmer. Jahr für Jahr tragen die Menschen durch Verbrennungsmotoren, Erd?l- und Gasheizungen, Flüge, Kreuzfahrten und den Konsum von klimasch?dlichen Gütern dazu bei, dass die CO2-Konzentration weiter zunimmt. Und obwohl uns die schneefreien Berge unmittelbar die Konsequenzen vor Augen führen und ganz konkrete Auswirkungen z.B. auf den Tourismus haben, sind wir Schweizer und Schweizerinnen alles andere als ein gutes Vorbild: Wir geh?ren zu den 20 L?ndern, die am meisten CO2 pro Kopf emittieren.3
Wer zahlt für das fehlende weisse Gold?
Das mangelnde weisse Gold hat Konsequenzen für die Wirtschaft. Zermatt musste das erste geplante l?nderübergreifende Skirennen im Oktober in letzter Minute wegen Schneemangel und mit ?betr?chtlichen? Imagesch?den absagen. Ob Adelboden die Ski-Weltcup-Rennen am Wochenende organisieren würde, war l?nger unsicher. Die Bergbahn Splügen-Tambo meldete Anfang Januar – wie andere kleinere Skiregionen auch –, dass der Betrieb aufgrund des Schneemangels bis auf Weiteres ganz eingestellt werden müsse. Die Skitourismus-Industrie in Europa betr?gt laut Time Magazine 30 Milliarden Dollars.4 Wer soll all diese Verluste decken, wenn die Tourist:innen in Zukunft lieber in den Rocky Mountains, den Anden oder gar im Himalaja Ski fahren wollen?
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Hoffnung durch Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative
Wir k?nnen die Augen nicht mehr davor verschliessen, dass die Schweiz ausserordentlich stark von der Klimakrise betroffen ist – besondere die Bergregionen. Die Gletscher schmelzen, die H?nge werden instabil, der Schnee verschwindet: Dies kann man nicht wiedergutmachen. Die internationale Klimapolitik steht still, die Klimakonferenz in Sharm el Sheikh brachte 2022 keine Fortschritte für die Reduktion von weltweiten CO2-Emissionen, und die Schweiz kann diese Entwicklung nicht glaubwürdig beeinflussen, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht macht.
Trotzdem gibt es einen Hoffnungsschimmer in der Schweizer Klimapolitik. Allen voran der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der erfolgreich vom Parlament gutgeheissen wurde. Dass einige Politiker:innen ein Referendum dagegen ergreifen wollen, ist für mich unbegreiflich. Es gibt aber auch Zeichen, dass die Schweizer:innen verstehen, was auf dem Spiel steht. Dies zeigt sich in den ehrgeizigen kantonale Klimagesetzen und -Initiativen: So hat die Glarner Landsgemeinde einen viel sch?rferen Klimaschutz gutgeheissen, das neue Zürcher Energiegesetz und die Klimagerechtigkeitsinitiative Basel2030 sind sehr wichtige Schritte gewesen. Hoffen wir, dass 2023 sich dieses Bewusstsein für eine neue Klimapolitik in der ganzen Schweiz etabliert, damit in Zukunft auch unsere Kinder und Grosskinder eine Chance haben, verschneite Schweizer Berge zu sehen.
Dieser Beitrag erschien in leicht abge?nderter Form zuerst als Kolumne im externe Seite SonntagsBlick.