Neubauten verdrängen vulnerable Personen
Es ist nicht nachhaltig, wegen der Wohnungsnot ausschliesslich Neubauten zu forcieren, sagt David Kaufmann. Seine Forschungsgruppe hat Daten des Kantons Zürich ausgewertet und kann zeigen, dass vulnerable Personen viel st?rker verdr?ngt werden als bisher angenommen. ?
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Bauen, bauen, bauen ist das Gebot der Stunde, um der aktuellen Wohnungsnot zu begegnen. Im Fokus steht dabei die Verdichtung gegen innen. Das heisst, man realisiert Neubauten auf bereits erschlossenen Fl?chen in den St?dten und nicht auf der grünen Wiese.
?Es braucht flankierende Massnahmen für die Verdichtung.?David Kaufmann
Diese Innenentwicklung ist auch notwendig, denn wir brauchen neue Wohnungen. Die Innenentwicklung hilft uns dabei, unbebaute Landschaften zu schützen. Ausserdem sinken die Pro-Kopf-CO2-Emissionen, weil die Mobilit?t weniger stark zunimmt, als dies der Fall w?re, wenn sich die Menschen noch mehr ausbreiteten.
Gewünschte Entwicklung mit unerwünschtem Effekt
Ich war erstaunt, wie klar unsere Daten zeigen, dass die momentane Entwicklung gegen innen Menschen aus ihrem Wohnraum verdr?ngt. Wir haben mehrere ?ffentliche Datens?tze zu Wohnungs- und Personenstand aus dem Kanton Zürich verknüpfen lassen und analysiert1, 2. Erschreckenderweise zeigte sich, dass die nachteiligen Effekte beim gegenw?rtigen profitorientierten Wohnungsbau gr?sser sind als wir und andere Expert:innen gedacht haben.
Wer gegen innen verdichten m?chte, tut dies haupts?chlich, indem er Ersatzneubauten realisiert. Im Kanton Zürich wird siebenmal mehr abgerissen und neugebaut als auf das ?kologischere Anbauen oder Aufstocken zu setzen. Zudem zeigen unsere Analysen, dass Neubauten alleine die Wohnungskrisen in dichten Gebieten nicht l?sen, sondern vulnerable Gruppen aus den Kernst?dten verdr?ngen: Durch eine Analyse von allen Geb?udeabrissen und Renovationen von Mehrfamilienh?usern im Kanton Zürich in den Jahren 2014-2019 konnten wir zeigen, dass dadurch Menschen ihren Wohnsitz verloren, die über ein monatliches Haushaltseinkommen verfügten, das 4800 Franken unter dem Durschnitt liegt.
Es ist benennbar, wen es trifft
Dies bedeutet konkret, dass vor allem die ?rmere Bev?lkerung, die ausl?ndische Bev?lkerung und alleinerziehende Eltern ihren Wohnraum verlieren: Afrikanische Staatsbürger sind dreimal so oft betroffen, vorl?ufig aufgenommene Flüchtlinge ebenfalls dreimal, und Alleinerziehende doppelt so oft. Wollen wir das?
Doch nicht nur Neubauten, sondern auch wenn ein Geb?ude renoviert wird, führt dies zu einer sozialen Verdr?ngung. In den neu renovierten Wohnungen leben Personen, die über ein durchschnittlich 3623 Franken h?heres monatliches Haushaltseinkommen verfügen, als die Personen, die früher darin gelebt haben. Verdr?ngte Personen in Zürich ziehen übrigens mehrheitlich in die Kreise 11 und 12 (Oerlikon, Schwamendingen) oder in die Umgebung der Stadt, zum Beispiel nach Regensdorf, Bülach, Schlieren, Dietikon oder Adliswil.
Solche unfreiwilligen weitr?umige Umzüge bedeuten immer grosse Einschnitte in das Leben von Menschen. Wir alle sind auf unsere Beziehungen vor Ort angewiesen, und viele von uns auch auf ?rtliche Unterstützungsleistungen wie Betreuungsdienste von Kita, Schulen, Spitex und so weiter. Personen, die in sozio?konomisch schwierigen Verh?ltnissen leben, trifft dies besonders hart, zumal sie deswegen oft ein komplett neues Beziehungsnetz aufbauen müssen.
Was Fakten und Zahlen bedeuten
Durch unsere Analysen haben wir erstmals konkrete Zahlen zu Aufwertungsprozessen und der damit verbundenen Verdr?ngung erhoben.
Ich bin nicht der Meinung, dass diese Zahlen gegen eine Entwicklung gegen innen sprechen. Aber der Angebotsausbau sollte durch sozial und ?kologisch regulative Massnahmen begleitet werden. Es braucht flankierende Massnahmen für die Verdichtung: Vulnerable Gruppen sollen besser unterstützt und durch das Mietrecht geschützt werden. Wir sollten den Nutzen des alten Wohnungsbestands sehr gut prüfen, bevor wir ihn abreissen. Renovierungen sollten etappiert werden, sodass es den Bewohner:innen m?glich ist, wieder in ihre Wohnungen zurückzukehren. Auch sollten St?dte und Gemeinden bezahlbaren Wohnraum aktiver f?rdern, etwa indem sie Boden erwerben und den gemeinnützigen Wohnungsbau priorisieren. Dies würde aus meiner Sicht helfen, kostengünstigen Wohnraum an zentraler Lage nicht nur den gutverdienenden Menschen zur Verfügung zu stellen. Politik und Planung sind gefordert.
David Kaufmann verfasste diesen Beitrag zusammen mit Elena Lutz und Fiona Kauer.
1 Kaufmann D, Lutz E, Kauer F, Wehr M, Wicki M: Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand: Baut?tigkeit, Verdr?ngung und Akzeptanz. Bericht ETH Zürich 2023, doi: externe Seite 10.3929/ethz-b-000603229
2 Lutz E, Kauer F, Kaufmann D: Mehr Wohnraum für alle? Bericht ETH Zürich 2023, doi: 10.3929/ethz-b-000603242