Knopf im Ohr beschleunigt Erholung nach Schlaganfall
ETH-Forscher haben einen smarten Ohrst?psel entwickelt, der Menschen nach einem Schlaganfall dabei hilft, Bewegungen einfacher und schneller wieder zu erlernen. Er stimuliert das Gehirn, wodurch Schaltkreise neu vernetzt werden.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
Das Wichtigste in Kürze
- Ein St?psel im Ohr stimuliert durch elektrische Reize den Vagusnerv im Ohr.
- Dadurch werden im Gehirn motorische Schaltkreise neu vernetzt, sodass die Funktion von besch?digten Hirnregionen wiederhergestellt wird.
- Ein Bewegungssensor mit eigens entwickelter Analysesoftware sagt dem Ohrst?psel, wann er stimulieren soll.
- Im Unterschied zu bestehenden Behandlungsmethoden des Vagusnervs erfordert die Technologie keinen chirurgischen Eingriff und kann auch zu Hause eingesetzt werden.
Der Schlaganfall ist weltweit der h?ufigste Grund für eine bleibende k?rperliche Beeintr?chtigung im Erwachsenenalter. Betroffene k?nnen oft Bewegungsabl?ufe des allt?glichen Lebens – wie Gehen oder Nach-etwas-Greifen – gar nicht oder nur mehr schlecht ausführen. Ein Grund dafür ist, dass der Schlaganfall Regionen im Gehirn besch?digt, die für diese Bewegungen mitverantwortlich sind.
Erste klinische Studien anderer Wissenschaftler:innen zeigen, dass die Stimulation des Vagusnervs eine wichtige Rolle dabei spielt, besch?digte Hirnregionen nach einem Schlaganfall zu rehabilitieren. Dadurch konnten Betroffene ihre Beweglichkeit schneller und besser wiederherstellen.
Doch bis anhin ist dafür eine teure Operation unter Vollnarkose notwendig, denn es muss dazu ein Impulsgeber unter die Haut implantiert werden. In der Regel kann dieser Eingriff erst ein Jahr nach dem Schlaganfall durchgeführt werden. Dadurch verlieren Patient:innen wertvolle Zeit.
Die ETH-Wissenschaftler Paulius Viskaitis und Dane Donegan vom Rehabilitation Engineering Laboratory haben nun ein neues System entwickelt, mit dem die Stimulation des Vagusnervs in Zukunft viel einfacher und schneller m?glich ist: ?Unser Ohrst?psel aktiviert den Nerv in der Ohrmuschel mittels subtiler, elektrischer Reize. Ein operativer Eingriff ist nicht mehr notwendig?, erkl?rt Viskaitis, der kürzlich ein Pioneer Fellowship der ETH Zürich erhalten hat, um die Technologie auf den Markt zu bringen.
Elektrischer Reiz unterstützt das Gehirn beim Lernen
Neurowissenschaftler Donegan, damals noch an der University of Colorado, konnte zudem vor wenigen Jahren zeigen, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den Vagusnerv stimuliert, sondern auch wann man dies tut. Besonders wirksam sind die elektrische Reize n?mlich dann, wenn Schlaganfallpatient:innen Bewegungen ausführen, die ihnen nach dem Schlaganfall motorisch Schwierigkeiten bereiten.
Dadurch werden im Gehirn motorische Schaltkreise neu vernetzt, um die fehlende Funktion jener Regionen zu kompensieren, die durch den Schlaganfall besch?digt wurden. ?Vergleichbar mit der Rekonfiguration einer Software f?rdert der Reiz des Nervs die Neuroplastizit?t, hilft dabei neue Synapsen zu bilden und unterstützt das Wiedererlernen von Bewegungen?, erkl?rt Donegan.
Bewegungssensor erm?glicht gezieltes Stimulieren
Ein weiterer Nachteil der Behandlung mit implantiertem Sensor ist, dass ein Therapeut oder eine Therapeutin den Stimulator manuell bedienen muss. Dies ist kostspielig und zeitintensiv.
Die zwei ETH-Forscher haben daher einen Bewegungssensor entwickelt, der einer Smartwatch ?hnlich ist. Diesen tragen Schlaganfallpatient:innen dort, wo ihre Motorik beeintr?chtigt ist – so zum Beispiel am rechten Arm. Mittels einer speziellen Software, die ebenfalls von Viskaitis und Donegan entwickelt wurde, analysiert der Sensor die Bewegungen des Arms in Echtzeit und teilt dem Ohrst?psel mit, wann der Patient diesen besonders gut bewegt hat.
Daraufhin wird der Vagusnerv stimuliert, und das Gehirn pr?gt sich den richtigen Bewegungsablauf schneller und wirksamer ein. Im Fachjargon wird dieser Ablauf Verst?rkendes Lernen genannt.
Therapie auch zu Hause m?glich
Im Unterschied zu bestehenden Behandlungsmethoden k?nnen Schlaganfallpatient:innen die Technologie der ETH-Forscher ohne professionelle Betreuung nutzen. Zudem soll der Bewegungssensor Therapeut:innen erm?glichen, den Fortschritt ihrer Patient:innen ganz bequem auf dem Smartphone zu beobachten. Davon erwarten sich die ETH-Forscher weitere Fortschritte bei der Behandlung.
Viskaitis und Donegan wollen noch diesen Sommer ein ETH-Spin-off gründen und m?glichst schnell Tests mit gesunden Menschen durchführen. Anschliessend planen sie die erste klinische Studie.
Weitere Informationen
externe Seite Projektseite SKAALTECPioneer Fellowship Programm
Das Pioneer Fellowship ist ein umfassendes Unterstützungsprogramm, das innovativen Denker:innen ideale Bedingungen für den Beginn ihrer unternehmerischen T?tigkeit bietet. Das Programm richtet sich prim?r an Doktorierende, steht aber auch Masterstudierenden und Postdocs offen. Pioneer Fellows erhalten ein Stipendium von CHF 150'000 über 12 bis 18 Monate, zus?tzlich zu umfassendem Mentoring und Ausbildung. W?hrend der Dauer des Programms sind die Fellows im ieLab untergebracht. Die Pioneer Fellowships werden gemeinsam von der ETH Foundation und der ETH Zürich finanziert.
Weitere Informationen
- ETH Pioneer Fellowships
- externe Seite Pioneer Fellowship Programm der ETH Foundation