Wie KI in der Justiz einsetzen?
Künstliche Intelligenz verspricht, Richterinnen und Richter in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Tats?chlich macht sie deren Entscheidungen und Aufgaben aber komplexer, schreibt Ayisha Piotti.
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Die künstliche Intelligenz (KI) transformiert derzeit unsere Gesellschaft. Jenseits von den vieldiskutierten Systemen wie Chat GPT oder Dall-E, das Bilder generieren kann, hat die Technologie auch Einzug gehalten in die t?gliche Arbeit von Anw?ltinnen und teilweise sogar von Richtern. Derzeit befinden sich solche Anwendungen zwar noch in der Anfangsphase, doch die KI hat das Potenzial, unser Justizsystem zu ver?ndern. Sie verspricht nicht nur wesentliche Vorteile, sondern wirft auch neue ethische und rechtliche Fragen auf. Und auch die Rollen und Kompetenzanforderungen von Anw?lten und der Richterinnen werden sich ?ndern.
Anwaltskanzleien und Gerichte werden in Zukunft effizienter arbeiten und repetitive Aufgaben automatisieren k?nnen. Der heute notorische Rückstau an F?llen bei Gerichten wird dadurch hoffentlich verringert. Schon heute werden KI-gestützte Systeme von Juristinnen und Juristen eingesetzt, beispielsweise um grosse Datenmengen zu analysieren und Vertr?ge zu prüfen. Und einige Gerichte in den USA setzen KI-Systeme ein, um sie bei Entscheidungen der Strafzumessung zu unterstützen oder die Rückfallgefahr von Straff?lligen vorauszusagen.
Allerdings gibt es Fallstricke: Heutige Algorithmen der KI sind h?ufig nicht transparent genug, um die hohen Anforderungen der Rechenschaftspflicht in der Justiz zu erfüllen. Kritikerinnen und Kritiker befürchten ausserdem, dass KI-Systeme Voreingenommenheit und Diskriminierung in der Rechtsprechung verst?rken k?nnten. Denn die Zuverl?ssigkeit von KI-Systemen h?ngt von der Qualit?t der eingegebenen Daten ab. Wenn KI-Unterstützungssysteme auf der Grundlage von voreingenommenen Daten trainiert werden, kann dies zu ungerechten Gerichtsurteilen führen.
Um solche unbeabsichtigten Folgen zu minimieren, muss man KI-Systeme zwingend rigoros testen, bevor man sie einsetzt. Ausserdem braucht es neue regulatorische Leitlinien. Die EU stuft den Einsatz von KI in der Justiz zurecht als Hochrisikoanwendung ein und wird sie im derzeit diskutierten KI-Gesetz in Bezug auf unter anderem Transparenz, Aufsicht und Cybersicherheit streng zu regulieren.
Für mich geh?rt die Rechtsprechung zu den sensiblen und kritischen Bereichen unseres Lebens, in dem KI-Systeme den Menschen nicht ganz ersetzen dürfen. Um die Rechenschaft zu garantieren, müssen wir Menschen in das System einbinden. Ich bin überzeugt, dass es den Menschen als W?chter der KI braucht. Richterinnen werden in Zukunft nicht nur Urteile f?llen, sondern auch darüber entscheiden müssen, wie KI bei der Urteilsfindung zum Einsatz kommt. Sie müssen die Vor- und Nachteile der KI kennen und die damit verbundenen Spannungsfelder im Auge behalten und diese in bewussten Entscheidungen austarieren.
Ein solches Spannungsfeld ist beispielsweise jenes zwischen Schnelligkeit und Gründlichkeit. Die KI ist zweifellos schnell, und mache Juristen argumentieren, dass aufgeschobene Gerechtigkeit verweigerte Gerechtigkeit ist. Eine unvollkommene Entscheidung, die heute gef?llt wird, kann daher besser sein als eine perfekte Entscheidung, die gar nicht gef?llt wird.
?Wir müssen Menschen in das System einbinden.?Ayisha Piotti
Ein weiteres Spannungsfeld ist jenes zwischen Zweckm?ssigkeit und Sicherheit. Heute gibt es noch keine Standards, welche den Einsatz von KI in der Justiz sowie deren Gültigkeit und Zuverl?ssigkeit regeln. Richter müssen ihr Urteilsverm?gen einsetzen, wenn sie sich in ihrer Arbeit von der KI unterstützen lassen.
Oft kommerziell
Ein drittes Dilemma ergibt sich aus der Tatsache, dass heute KI h?ufig als kommerzielle und nicht als quelloffene Technologie entwickelt wird. Ich denke, Entwicklerinnen und Entwickler haben ein berechtigtes Interesse am Schutz ihrer Gesch?ftsgeheimnisse, doch dieses kollidiert mit unserm Anspruch, dass juristische Entscheidungen nachvollziehbar sein müssen. Wenn wir der Justiz KI-Wahrscheinlichkeitsanalysen von DNA-Abgleichen und Entscheidungshilfen bei der Strafzumessung zur Verfügung stellen m?chten, heisst das in vielen F?llen, bei der Transparenz Kompromisse einzugehen.
Die KI hat das Potenzial, die Rechtsprechung effizienter zu gestalten, zu beschleunigen und qualitativ zu verbessern. In den genannten Spannungsfeldern wird es aber darum gehen, abzuw?gen und pragmatische Kompromisse zu treffen. Als Gesellschaft müssen wir gemeinsam definieren, wie diese aussehen sollen. Und alle W?chterinnen und W?chter der KI – allen voran Richterinnen und Richter – müssen wir auf ihre neue und zus?tzliche Aufgabe vorbereiten und ihnen das KI-spezifische Fachwissen vermitteln.