Wie ein Ozean-düngendes Bakterium Verbände bildet
Trichodesmium, ein h?ufiges und ?kologisch bedeutendes Bakterium, düngt n?hrstoffarme Ozeane und erm?glicht so h?heres Leben. Entscheidend für seinen Erfolg ist die F?higkeit, Verb?nde zu bilden, um rasch auf Ver?nderungen in ihrer Umwelt zu reagieren. ETH-Forschende zeigen auf, wie sich die Mikroben dabei organisieren.
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In Kürze
- Trichodesmium ist ein Stickstoff-fixierendes Bakterium im Meer, das bei Bedarf Aggregate aus hunderten Individuen bilden kann.
- Diese Aggregate reagieren auf Umweltreize, indem sie ihre Form ver?ndern, wahrscheinlich um sich optimal mit Licht und N?hrstoffen zu versorgen.
- ETH-Forschende erkl?ren erstmals, wie die Individuen ohne zentrale Kontrolle organisierte Aggregate bilden und umformen k?nnen.
- Weil diese Bakterien weite Gebiete der Meere mit Stickstoff versorgen und das Algenwachstum f?rdern, sind sie nicht nur ?kologisch bedeutend, sondern auch für unser Klima relevant.
Die Meeresmikrobe Trichodesmium zog schon früh die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Der britische Kapit?n James Cook war einer der ersten, der seine Beobachtungen im Jahre 1770 im Roten Meer dokumentierte. Ein Mikroskop brauchte er dafür nicht – das Kleinstlebewesen vermehrt sich mitunter stark und bildet an der Meeresoberfl?che gelb-braune bis r?tliche Blüten, die sich über tausende Quadratkilometer erstrecken und selbst vom Weltall aus erkennbar sind. Das Rote Meer soll dem Ph?nomen seinen Namen verdanken.
Was Cook vor 250 Jahren nicht wusste: Verantwortlich für die üppige Blütenpracht sind nicht Algen, sondern Cyanobakterien der Gattung Trichodesmium, die auch als ?Sees?gemehl? (englisch: sea sawdust) bezeichnet werden. Sie kommen zahlreich in tropischen und subtropischen Meeren vor und spielen eine elementare ?kologische Rolle, indem sie diese n?hrstoffarmen Gew?sser düngen und so Nahrung für andere Lebewesen liefern.
Damit verbunden ist eine besondere Eigenschaft, die Forschende weltweit fasziniert: Trichodesmium leben als fadenf?rmige, mehrzellige Individuen, Filamente genannt. Sie kommen aber auch in dynamischen Verb?nden vor, in denen hunderte Filamente miteinander interagieren.
In einer Studie im Fachmagazin externe Seite Science beschreibt ein Team von Forschenden unter Leitung von ETH-Professor Roman Stocker nun erstmals, wie sich Trichodesmium-Filamente mit einer so einfachen wie effektiven Verhaltensweise zu solchen Aggregaten zusammenschliessen k?nnen.
Mikrobielles Multitalent n?hrt marines Leben
?Die F?higkeit, Aggregate zu bilden, ist wahrscheinlich der Schlüssel dafür, dass Trichodesmium so h?ufig vorkommt und so erfolgreich ist?, sagt Ulrike Pfreundt, ehemalige Postdoktorandin bei Stocker, dessen Labor am Institut für Umweltingenieurwissenschaften auf das Studium mariner Mikroorganismen spezialisiert ist.
Ihr Kollege Jonasz Slomka, Senior Scientist in Stockers Gruppe, erg?nzt: ?Trotz ihrer ?kologischen Bedeutung war bis anhin nicht bekannt, wie sich diese Aggregate formieren.? Pfreundt und Slomka haben gleichwertig zur Studie beigetragen und teilen sich die Erstautorenschaft.
Cyanobakterien sind Bakterien, die zur Photosynthese f?hig sind, und z?hlen zu den ?ltesten Lebensformen des Planeten. Sie bauen Biomasse auf und bilden den Anfang des Nahrungsnetzes im Meer. Wenige Arten von ihnen, darunter jene der Gattung Trichodesmium, besitzen zudem die F?higkeit, im Wasser gel?sten elementaren Stickstoff (N2) in biologisch verwertbares Ammonium (NH4) umzuwandeln – ein essenzieller N?hrstoff, den andere Organismen fürs Wachstum brauchen.
?Indem Trichodesmium Stickstoff verfügbar macht, f?rdert es das Leben in tropischen und subtropischen Meeren?, betont Slomka die Bedeutung der Bakterien.
Aggregate passen sich an ihre Umwelt an
Um das R?tsel der Trichodesmium-Verb?nde zu ergründen, züchteten die Forschenden das Cyanobakterium in ihrem Labor an der ETH Zürich. Im Gegensatz zu einzelnen Filamenten, die zehnmal dünner sind als ein menschliches Haar, erreichen Aggregate einen Durchmesser von ein bis zwei Millimeter und sind von blossem Auge sichtbar. Ihre charakteristischen Formen, die an ?Pompoms? und ?Haarstr?hnen? erinnern – offenbaren sich aber erst unter dem Mikroskop.
Pfreundt, die seit ihrer Doktorarbeit mit Trichodesmium arbeitete, fiel auf, dass Aggregate im Tagesverlauf ihre Erscheinung ver?ndern, ?was auf einen aktiven Prozess hindeutet?, erz?hlt die Meeresbiologin, die ein ETH Zurich Postdoctoral Fellowship erhielt, um der Sache nachzugehen. In der Folge untersuchten Pfreundt und Slomka, ob und wie die Verb?nde auf Umwelteinflüsse wie wechselnde Lichtverh?ltnisse reagieren.
Die Reaktion fiel rasch und deutlich aus: Innerhalb weniger Minuten auf den Umweltreiz begannen die Aggregate ihre Form zu ver?ndern. Im Licht zogen sie sich zusammen, im Dunkeln entspannten sie sich. Die Reaktionen waren reversibel – die Aggregate kehrten nach einem Lichtreiz jeweils ungef?hr in ihre vorherige Struktur zurück.
Pfreundt vermutet, dass die Mikroorganismen im freien Ozean in ?hnlicher Weise auf schwankende Sonneneinstrahlung reagieren. ?Intensives Sonnenlicht kann die Zellen sch?digen – daher verdichten sich die Aggregate, um die Lichtmenge zu reduzieren.?
Einfaches Verhalten steuert die Aggregatsstruktur
Aggregate verleihen Trichodesmium F?higkeiten, die einzelnen Filamenten fehlen und gerade bei der N?hrstoffsuche vorteilhaft sind. Studien wiesen darauf hin, dass Aggregate eisenhaltigen Staub einfangen k?nnen, um ihren erh?hten Eisen-Bedarf für die Stickstoff-Fixierung zu decken. Zudem k?nnen Aggregate im Vergleich zu Filamenten viel schneller absinken und auftauchen, um Phosphat und andere N?hrstoffe aus der Tiefe zu holen.
?Wir gehen davon aus, dass Aggregate im Ozean st?ndig ihre Form ver?ndern, um ihren Auftrieb, ihre Lichtaufnahme oder die Mikroumgebung im Aggregatinnern zu kontrollieren?, sagt Pfreundt, ?wobei all diese Umformungen auf elegante Weise durch ein einfaches dezentrales Verhalten der Filamente vermittelt werden.?
Das Team stellte fest, dass einzelne Filamente aneinander gleiten k?nnen, wobei sie sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen – ?hnlich wie zwei kreuzende Züge. Wenn die Filamente weitergleiten, verlieren sie ihre ?berlappung wieder und gehen auseinander.
Mittels Videomikroskopie und mathematischen Modellen wiesen die Forschenden nach, dass einzelne Filamente in einem Aggregat st?ndig aneinander gleiten und die Richtung wechseln, wenn ihre ?berlappung abnimmt – ein aktives Verhalten, das ihnen erlaubt, zusammen zu bleiben und sich zu bewegen. ?Wenn die Filamente früher umkehren, überlappen sie st?rker, und das Aggregat zieht sich zusammen. Kehren sie verz?gert um, lockert sich die Struktur?, erkl?rt Slomka.
Wie die Forschenden in ihrer Studie darlegen, reichen solche ?intelligenten Umkehrungen? (englisch: smart reversals) aus, um organisierte Aggregate zu bilden und umzuformen. Einzelne Filamente passen dabei lediglich ihre ?berlappung mit den Nachbarfilamenten an. So steuern die Filamente über intelligente Umkehrungen das ganze Aggregat ohne zentrale Koordination.
?Das erm?glicht Trichodesmium sein reichhaltiges Portfolio an Anpassungsstrategien und letztlich seine ?kologische Rolle?, resümiert Slomka, der nun mit einer der begehrten Ambizione-F?rderungen des Schweizerischen Nationalfonds eine eigene Gruppe am Institut für Umweltingenieurwissenschaften aufbaut.
Schlüsselrolle für marine Kohlenstoffspeicher
Doch Trichodesmium ist nicht nur wegen seiner ?kologie und seines Verhaltens interessant. ?Es beeinflusst auch massgeblich den Kohlenstoffkreislauf im Meer?, merkt ETH-Professor Stocker an.
Trichodesmium stellt bis zu 60 Prozent der marinen Stickstofffixierung und f?rdert damit die Aufnahme von Kohlenstoff aus CO2 durch Photosynthese von Phytoplankton und Algen. Ein Teil dieser Biomasse sinkt ab und wird im Meeresboden eingelagert, was den Klimawandel mindert.
?Das Verst?ndnis, wie sich Mikroorganismen verhalten, kann uns entscheidend helfen, die künftige Rolle der Ozeane in einem sich wandelnden Klima abzusch?tzen?, sagt der Umweltingenieur.
Literaturhinweis
Pfreundt U, Slomka J, Schneider G, Sengupta A, Carrara F, Fernandez V, Ackermann M, Stocker R. Controlled motility in the cyanobacterium Trichodesmium regulates aggregate architecture. Science (2023), doi: externe Seite 10.1126/science.adf2753