Die Erreger von Harnwegsinfekten werden gegen die eingesetzten Antibiotika zunehmend resistent. ETH-?Forschende haben nun einen Schnelltest und einen neuen Therapieansatz entwickelt, der auf bakterienbefallenden Viren, sogenannten Phagen, basiert.
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In Kürze
- Basierend auf Bakteriophagen – Viren, welche Bakterien befallen - entwickeln ETH-Forschende einen neuen Schnelltest, um die Erreger von Harnwegsinfektionen schnell und pr?zise zu identifizieren.
- Dies erlaubt es, ein passendes Antibiotikum zielgerichtet einzusetzen.
- Ausserdem haben die Forscher die Phagen genetisch modifiziert, um die krankheitserregenden Bakterien effizienter zu zerst?ren.
Etwa jede zweite Frau ist im Laufe ihres Lebens von einer Blasenentzündung betroffen, und viele leiden unter wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Blasenentzündungen sind nicht nur schmerzhaft und potenziell gef?hrlich, sondern stellen ?rztinnen und ?rzte auch vor ein Dilemma: Antibiotikaresistenzen sind bei Harnwegsinfekten weit verbreitet und nehmen weiter zu. Trotzdem sind Mediziner:innen oft gezwungen, blind ein bestimmtes Antibiotikum zu verschreiben, ohne zu wissen, ob dieses auch tats?chlich gegen den verursachenden Erreger wirksam ist. Dies liegt daran, dass es mit herk?mmlicher Diagnostik mehrere Tage dauert, um den spezifischen Erreger zu identifizieren.
Forschende der ETH Zürich haben nun in Zusammenarbeit mit der Universit?tsklinik Balgrist einen Art Schnelltest entwickelt, der auf Bakteriophagen basiert – Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen. Zudem haben sie die Phagen genetisch modifiziert, um die krankheitserregenden Bakterien effizienter zu zerst?ren.
Schnelle und zuverl?ssige Diagnose
Phagen sind hochspezialisierte Viren, die jeweils nur eine bestimmte Bakterienart oder -stamm befallen. ETH-Wissenschaftler:innen um Prof. Martin Loessner aus der Forschungsgruppe für Lebensmittelmikrobiologie machen sich diese einzigartige Eigenschaft nun zu Nutze: In einem ersten Schritt identifizieren sie Phagen gegen die drei Hauptakteure von Harnwegsinfekten: Escherichia coli, Klebsiella und Enterokokken. Diese natürlichen Phagen wurden dann so modifiziert, dass die infizierten Wirtsbakterien nach Kontakt mit den Phagen ein Lichtsignal produzieren, welches sich leicht messen l?sst.
Mit ihrer Methode konnten die Forschenden die krankheitserregenden Bakterien direkt und zuverl?ssig in der Urinprobe nachweisen, und dies innert weniger als vier Stunden. Die Methode k?nnte es in Zukunft erm?glichen, sofort nach der Diagnose ein passendes Antibiotikum zu verschreiben und so Resistenzbildungen zu verhindern.
Die Methode hat einen weiteren Vorteil: Sie erm?glicht die Vorhersage, bei welcher Patientin oder welchem Patienten eine massgeschneiderte Phagentherapie besonders erfolgreich sein k?nnte, da die Effizienz der Phagen beim Angriff auf das Bakterium bereits durch die St?rke des Lichtsignals erkennbar ist. Je mehr die Probe leuchtet, umso besser spricht das Bakterium auf die Therapie an.
Scharfschütze mit doppelter Wirkung
Phagentherapien sind bereits seit über 100 Jahren bekannt, gerieten aber in westlichen Industriel?ndern mit der Entdeckung von Penicillin in Vergessenheit. Angesichts der zunehmenden Antibiotikaresistenzen erleben sie derzeit eine Renaissance. Sie haben auch den entscheidenden Vorteil, dass sie nur ein einziges Zielbakterium angreifen, ?hnlich wie ein Scharfschütze.
Bisherige Therapieans?tze haben jedoch ein Problem: ?Phagen haben kein Interesse daran, ihren Wirt, also das krankmachende Bakterium, vollst?ndig abzut?ten? erkl?rt einer der beiden Letztautoren der Studie, der ETH-Forscher Samuel Kilcher, der bis im Februar 2023 an der ETH geforscht hat. Um die Wirksamkeit der Phagen zu verst?rken, haben die Forschenden sie genetisch modifiziert. Die modifizierten Phagen produzieren im Inneren des infizierten Wirtsbakterium nicht nur neue Phagen, sondern auch sogenannte Bakteriozine. Diese bakterienabt?tenden Proteine werden freigesetzt und sind besonders wirksam gegen Bakterienst?mme, die Teile ihrer Oberfl?che so ver?ndert haben, dass die Phagen sie nicht mehr erkennen. Durch diese zweigleisige Attacke wird die Therapie effektiver.
Vom Labor in die Klinik
In Einzelf?llen, wie kürzlich bei der Rettung eines Lungenpatienten im Universit?tsspital Genf, wurden Phagentherapien erfolgreich experimentell eingesetzt. ?Weltweit sind zudem viele akademische und kommerzielle klinische Studien am Laufen, welche das Potential von natürlichen und genetisch optimierten Phagen systematisch untersuchen?, sagt Matthew Dunne, einer der Letztautoren der Studie. Bis solche Therapien aber in westlichen L?ndern breit angewendet werden k?nnen, ist es ein weiter Weg. Neben umfangreichen klinischen Studien w?ren auch regulatorische Anpassungen sinnvoll, die dem Umstand Rechnung tragen, dass Phagen biologische Einheiten sind, die mit ihren bakteriellen Wirten co-evolvieren, sich also laufend weiterentwickeln.
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um einen Machbarkeitsnachweis. Als n?chstes werden die Forschenden der ETH Zürich gemeinsam mit ihren Partnern von der Universit?tsklinik Balgrist die Wirksamkeit dieser neuen Phagentherapie in einer klinischen Studie mit ausgew?hlten Patient:innen überprüfen.
Literaturhinweis
Du J, Meile S, Baggenstos J et al.: Enhancing bacteriophage therapeutics through in situ production and release of heterologous antimicrobial effectors, Nature Communications 2023, doi: externe Seite 10.1038/s41467-023-39612-0
Meile S, Du J, Staubli S et al.: Engineered reporter phages for rapid detection of Escherichia coli, Klebsiella spp., and Enterococcus spp. in urine, Nature Communications 2023, doi: externe Seite 10.1038/s41467-023-39863-x