Setzt die Schweiz ihre Klimagelder sinnvoll ein?
In einem bilateralen Klimaabkommen finanziert die Schweiz Tausende Biogasanlagen für Haushalte in Malawi. Marc Kalina hat Biogasprojekte im südlichen Afrika erforscht und erkl?rt, warum diese oft nicht die versprochene Wirkung erzielen.
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Biogas für Haushalte gilt seit Jahren als ?Wundermittel? für die Entwicklung des l?ndlichen Afrikas: Kleine Biogasanlagen sind kostengünstig und erschliessen eine nachhaltige Energiequelle1, welche die Entwaldung2 vermindert, organische Abf?lle3 entsorgt und die Gesundheit verbessert.
Biogas entsteht auf natürliche Weise durch Mikroorganismen, die Biomasse ohne Sauerstoff zu Methan (CH4) und CO2 verg?ren. Erfolgt der Abbau in einem Reaktor, kann man mit dem brennbaren Gasgemisch kochen, Licht oder Strom erzeugen und so Brennholz oder Holzkohle ersetzen. Weil das Methan – ein Treibhausgas, das rund 28-mal sch?dlicher ist als CO2 – dabei verbrennt und nicht in die Atmosph?re gelangt, kann Biogas auch erheblich Emissionen verringern.
Ein verlockendes Potenzial
Es erstaunt daher nicht, dass Biogas im globalen Süden zu einem Fokus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit geworden ist. Finanziert werden die beliebten Projekte etwa von der Weltbank, den Vereinten Nationen und zunehmend auch von L?ndern, die ihre Klimasünden kompensieren, indem sie die Reduktion von Treibhausgasen im Ausland finanzieren. In den letzten Jahren flossen beachtliche Summen in etliche Biogasprojekte auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.
Die Schweiz ist ein wichtiger Akteur auf diesem Gebiet und hat vor kurzem ein bilaterales Klimaabkommen mit Malawi signiert, gem?ss dem sie unter anderem die Installation von 10’000 Biogasanlagen in malawischen Haushalten finanzieren wird.4 Damit k?nnte die Schweiz ihre Klimabilanz verbessern, und Malawi die Lebensqualit?t seiner Bev?lkerung. Nur: Meiner Erfahrung nach haben Biogasprojekte in Afrika dieses Potenzial bislang nicht erreicht.
Eine Chronik des Scheiterns
Als Wissenschaftler und Projektleiter habe ich mich in den vergangenen fünf Jahren intensiv mit Biogas für Haushalte in Subsahara-Afrika befasst. So habe ich mit der Forschungsgruppe Global Health Engineering w?hrend zweier Jahre die Wirkung s?mtlicher Biogas-Investitionen im Süden Malawis analysiert.
Wir fanden zwar Projekte mit positivem Ausgang, doch der überwiegende Trend war jener des Scheiterns: Ernüchterte und unengagierte Begünstigte, die passiv an ihren eigenen Interventionen teilnehmen. Viele verlassene Anlagen, die den l?ndlichen Haushalten zuvor ?von oben? aufgezwungen wurden. Und Millionen Dollar, die ohne nennenswerten Nutzen für die Menschen oder die Umwelt verpuffen.5 Warum?
Die anaerobe Verg?rung kann als biologischer Prozess temperamentvoll sein. Und afrikanischen Haushalten fehlt es oft an Wasser, Ressourcen oder schlicht an den technischen F?higkeiten, um einen Reaktor das ganze Jahr über zu betreiben, zu warten und zu reparieren.
Im Laufe der Jahre bin ich buchst?blich über die Trümmer hunderter gescheiterter Projekte gestolpert – Relikte schlecht konzipierter Interventionen, die vom fatalen Unwillen von Gebern, Praktikern und Forschenden zeugen, sich mit schwierigen Fragen auseinanderzusetzen.5
Was Malawi jetzt braucht
Wenn wir Klimaschutzprojekte f?rdern, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, was bewirken wir dann – abgesehen von zufriedenen Entwicklungsberatern, die rasch zum n?chsten Projekt weiterziehen? Die Schweiz mit ihrer langen humanit?ren Tradition sollte kein bekanntes Entwicklungsversagen f?rdern, nur um ihre Klimaziele zu erreichen. Dies umso mehr, als Kompensationsprojekte jüngst vermehrt in die Kritik geraten, ihren Versprechungen nicht gerecht zu werden.6, 7
?Wenn sich der Emissionshandel als bedeutende Finanzierungsquelle für Biogasprojekte etabliert, müssen wir die Resultate solcher Interventionen kritisch hinterfragen.?Marc Kalina
Malawi, eines der L?nder mit den geringsten CO2-Emissionen weltweit, bekommt derweil die Klimafolgen mit aller H?rte zu spüren. Im M?rz wurde das Land von Zyklon Freddy heimgesucht: Verheerende ?berschwemmungen zerst?rten kritische Infrastruktur, hunderte Menschen starben, zehntausende wurden vertrieben. Bereits vor dem Sturm kam es zu Ausbrüchen von Cholera.
Was Malawi jetzt dringend braucht, ist humanit?re Hilfe und Wiederaufbau. Mit Investitionen in Haushaltsbiogas tragen wir meiner Ansicht nach kaum dazu bei, die Lage in diesem krisenversehrten Land zu verbessern.
Nicht die gleichen alten Fehler wiederholen
In einem Kommentar mit Kolleg:innen kritisieren wir die unkritische Haltung, mit der Praxis und Forschung Biogasprojekte diskutieren. Die Fachliteratur neigt dazu, nach vorne zu schauen und – mit Blick auf ein idealisiertes Potenzial – auf das Positive zu fokussieren. Sie enth?lt aber nur wenig Information darüber, was bei Projekten vor Ort passiert. Wir sind der Meinung, dass die Art und Weise, wie wir mit Scheitern umgehen und über Misserfolge sprechen, kritisch reflektiert werden muss. Zudem gilt es, die Rolle von Finanzierung und Geldgebern für den Projektverlauf vertieft und breit zu diskutieren.
Wenn sich der Emissionshandel als Finanzierungsquelle für Biogasprojekte etabliert, müssen wir deren Resultate kritisch hinterfragen. Klimakompensation darf nicht zur Pflichtübung verkommen, bei der Entscheidungen isoliert aus weiter Ferne erfolgen.
Vielmehr sollten sich Massnahmen an den Bedürfnissen vor Ort orientieren und von einem wissenschaftlichen Prozess begleitet werden, um die Projektumsetzung zielführend zu steuern. Ansonsten verpassen wir es, mit Klimageldern sinnvolle Ver?nderungen zu bewirken – und L?nder wie Malawi werden weiterhin unter den Folgen unserer Emissionen leiden.
1 Ali M M, Ndongo M, Bilal B, Yetilmezsoy K, Youm I, Bahramian M (2020) Mapping of biogas production potential from livestock manures and slaughterhouse waste: A case study for African countries. Journal of Cleaner Production 256: 120499. doi: externe Seite https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2020.120499
2 B?r R, Reinhard J, Ehrensperger A, Kiteme B, Mkunda T, Wymann von Dach S (2021) The future of charcoal, firewood, and biogas in Kitui County and Kilimanjaro Region: Scenario development for policy support. Energy Policy 150: 112067. doi: externe Seite https://doi.org/10.1016/j.enpol.2020.112067
3 Bruun S, Jensen LS, Khanh Vu VT, Sommer S (2014) Small-scale household biogas digesters: An option for global warming mitigation or a potential climate bomb? Renewable and Sustainable Energy Reviews 33: 736-741. doi: externe Seite https://doi.org/10.1016/j.rser.2014.02.033
4 Klik (2023). Malawi Dairy Biogas Programme. Platform International: Factsheet. Foundation for Climate Protection and Carbon Offset, Klik. Zurich, Switzerland. Accessed at: externe Seite https://www.international.klik.ch/activities/mitigation-activities/publications/malawi-dairy-biogas-programme
?berblick der bilateralen Klimaabkommen der Schweiz: externe Seite Bilaterale Vereinbarungen Klima (Bundesamt für Umwelt BAFU)
5 Kalina M, Ogwang J?, Tilley E (2022). From potential to practice: Rethinking Africa’s biogas revolution. Humanities and Social Sciences Communications, 9(1), 374. doi: externe Seite https://doi.org/10.1057/s41599-022-01396-x
6 Gill-Wiehl A, Kammen D, Haya B (2023). Cooking the books: Pervasive over-crediting from cookstoves offset methodologies. PREPRINT (Version 1). Accessed at Research Square: externe Seite https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-2606020/v1
7 Toetzke, M. (2023). Voluntary carbon offsets fail to deliver what they promise. Zukunftsblog. ETH Zurich, Zurich, Switzerland. Accessed at: /en/news-and-events/eth-news/news/2023/07/blog-voluntary-carbon-offsets-often-fail-to-deliver-what-they-promise.html