Zellbiolog:innen der ETH Zürich beschreiben ein neues Organell in S?ugetierzellen, das aus DNA-Ringen besteht. M?glicherweise spielt es bei Autoimmunerkrankungen eine Rolle – und es k?nnte Forschenden helfen zu verstehen, wie Zellen in der Evolution zu einem Zellkern gekommen sind.
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In Kürze
- ETH-Forschende haben in Wirbeltierzellen ein neues zellul?res Kompartiment identifiziert, das Exklusom genannt wird und ein Vorl?ufer des heutigen eukaryotischen Zellkerns sein k?nnte.
- Die Studie zeigt: S?ugetierzellen erkennen, bündeln und sortieren nicht-chromosomale DNA, wie ringf?rmige Plasmide von ausserhalb und innerhalb der Zelle, und halten sie von chromosomaler DNA fern.
- Das l?sst auf ein zellautonomes Genomabwehrsystem schliessen.
Selbst im Altbekannten gelingen manchmal Entdeckungen: Forscher:innen der ETH Zürich identifizierten vor kurzem in S?ugetierzellen ein seltenes und bisher unbekanntes Zellkompartiment. Sie nennen es Exklusom. Es enth?lt ringf?rmige DNA-Abschnitte, sogenannte Plasmide. Ihre Entdeckung haben sie soeben in der Fachzeitschrift Molecular Biology of the Cell vorgestellt.
Gefunden haben die Forschenden das neue, bisher noch nicht beschriebene Kompartiment im Zellplasma. Das ist eine Besonderheit, denn normalerweise bewahren eukaryotische Zellen (aus Lebewesen mit einem Zellkern) die meiste DNA im Zellkern auf, wo sie in Chromosomen organisiert ist.
Die Plasmide, die sich im Exklusom ansammeln, stammen von ausserhalb der Zelle oder von den Endkappen der Chromosomen, den Telomeren. Vor allem in gewissen Krebszellen werden dort regelm?ssig diese sich wiederholende DNA-Bereiche abgeschnürt und zu Ringen zusammengefügt. Diese tragen aber keinen Bauplan für Proteine. Der Zellkern sortiert solche DNA-Ringe und die von aussen stammenden Plasmide aus und verfrachtet sie ins Zellplasma, wie die ETH-Forscher:innen in ihrer neuen Publikation erstmals zeigen.
Die Zelle kann also eigene und noch ben?tigte DNA von fremder oder vermutlich nicht mehr ben?tigter DNA unterscheiden und letztere aus dem Zellkern entfernen. ?Das ist eine wichtige Hygienefunktion des Zellkerns, die die Chromosomen schützt. K?nnen Plasmide in der Zelle nicht isoliert werden, k?nnen sie theoretisch in die Chromosomen eingebaut werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass Plasmid-Gene, die von Viren oder Bakterien stammen, im Zellkern in Proteine übersetzt werden. Das bringt die Zellphysiologie durcheinander?, sagt Studienleiterin Ruth Kroschewski vom Institut für Biochemie der ETH Zürich.
F?rdert das Exklusom Autoimmunreaktionen?
Welche weiteren Funktionen das Exklusom hat, ist noch unklar. Es k?nnte laut Kroschewski etwas mit dem Immunged?chtnis der Zelle zu tun haben. Seit einigen Jahren untersuchen Biolog:innen weltweit ein spezielles Protein, das sich an die DNA andockt, besonders an jene im Zellplasma. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass sich dieses Protein auch an DNA-Ringe heftet. Dabei l?st es m?glicherweise eine Signalkaskade aus, die die Zellen dazu bringt, Entzündungsbotenstoffe herzustellen und auszuschütten. Diese Botenstoffe signalisieren dem K?rper, dass es ein Problem mit einem Erreger wie einem Virus geben k?nnte und eine Immunantwort n?tig ist.
Kroschewski und ihr Team halten es für m?glich, dass das Protein an die DNA-Ringe im Exklusom andockt und so für lange Zeit eine Infektion vort?uscht. ?Der K?rper erf?hrt, dass das Problem weiter besteht?, sagt die Forscherin. Das Immunsystem müsse dann auf den Entzündungsbotenstoff reagieren. ?Und weil die entzündungsf?rdernde Signalkaskade nicht abklingt, sondern weiterl?uft, k?nnte das chronische Entzündungen und Autoimmunreaktionen wie den systemischen Lupus erythematodes begünstigen?, erkl?rt Kroschewski.
Evolution?res ?berbleibsel
Die ETH-Forscherin geht davon aus, dass das Exklusom evolution?r alt ist und aus der Frühzeit der Eukaryoten stammt. Nach g?ngigen Vorstellungen ging die erste eukaryotische Zelle aus der Verschmelzung eines frühen Bakteriums mit einem Archaeon, einem ebenfalls bakterien?hnlichen Einzeller, hervor. Die ringf?rmige DNA, die aus zwei unterschiedlichen Organismen stammte, musste organisiert werden und vor dem Abbau geschützt werden. Dazu entwickelte sich im Laufe der Evolution ein Mechanismus, der dafür sorgt, dass die DNA-Moleküle automatisch in eine Membranhülle gepackt werden – so wie es bei dem jetzt entdeckten Exklusom der Fall ist.
Denn die Hülle des Exklusoms ?hnelt zwar der des Zellkerns, ist aber deutlich einfacher, wie Kroschewski erkl?rt: ?Die Hülle des Exklusosms weist Lücken auf, die bei der Kernhülle nur am Anfang ihrer Bildung zu beobachten sind.? Diese Lücken werden bei der Kernhülle mit der Zeit geschlossen oder werden mit spezifischen Proteinporen gefüllt. Die Hülle des Exklusoms hingegen entwickelt sich nicht weiter. ?Vielleicht ist das Exklusom der erste Versuch, einen Zellkern zu bilden?, sagt Kroschewski.
Unklar aber ist, warum Plasmide nur in eine unvollst?ndige Membranhülle verpackt werden. ?Es scheint, dass nur chromosomale DNA für eine vollst?ndige Kernhülle ‘qualifiziert’ ist, nicht aber nicht-chromosomale DNA?, sagt Kroschewski. Externer (ringf?rmiger) DNA und Plasmiden, die intern aus Telomersequenzen selbst hergestellt werden, fehle wohl ein solches Qualifikationsmerkmal. ?Was dieses Merkmal ist, ist unbekannt?, sagt die Biologin – wie so vieles an diesem neu entdeckten Organell. Die ETH-Zellbiologin und ihr Team wollen deshalb in n?chster Zeit die Ver?nderungen der Plasmid-DNA in der Zelle und die ?Lizenz? für den Transport der Plasmide ins Exklusom untersuchen, um dessen Geheimnissen auf die Spur zu kommen.
Literaturhinweis
Schenkel L, Wang X, Le N, Burger M, Kroschewski R: A dedicated cytoplasmic container collects extra-chromosomal DNA away from the mammalian nucleus. Molecular Biology of the Cell, 29. September 2023, doi: externe Seite 10.1091/mbc.E23-04-0118