Wie Wunden heilen und Tumore wachsen
Zwischen der Heilung von Hautwunden und dem Wachstum von Krebs gibt es bemerkenswerte Parallelen. Um die Mechanismen zu verstehen, braucht es neben der Forschung mit Zellkulturen auch Tierversuche.
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Eine unachtsame Bewegung beim Zwiebelschneiden, und schon ziert eine scharfe Schnittwunde den linken Zeigefinger. Es blutet und schmerzt. Das ist wohl den meisten Menschen schon einmal passiert. Zum Glück verheilt eine solche Wunde oft innert Wochenfrist. Allerdings geht es nicht immer und bei allen Wunden so schnell und problemlos. Nach Operationen zum Beispiel k?nnen sich Wunden entzünden, und viele ?ltere Menschen leiden an chronischen, nicht heilenden Wunden. Oder aber die Wunden heilen, doch es bleiben unsch?ne Narben zurück.
Die Wundheilung ist das Hauptforschungsgebiet von Sabine Werner. Die ETH-Professorin ist von Haus aus Biochemikerin und interessiert sich für die molekularen Mechanismen, die bei der Wundheilung und der Narbenbildung in den Zellen ablaufen. Ein Meilenstein ihrer bisherigen Forschung war, dass sie zeigen konnte, wie ein bestimmter zellul?rer Wachstumsfaktor entscheidend an der Steuerung der Wundheilung beteiligt ist: Activin. Und dieser Faktor spielt nicht nur in der Wundheilung, sondern auch bei der Entstehung von Krebs eine wesentliche Rolle.
Am Anfang dieser Forschung standen Tierversuche. Vor mehreren Jahren suchte Werner bei M?usen nach Molekülen, die bei der Wundheilung und bei Krebs vermehrt gebildet werden. Dabei stiess sie auf Activin. In Zellkulturversuchen studierte sie dann die Mechanismen, über die dieser Faktor wirkt. Und wiederum bei M?usen konnte sie nachweisen, dass die richtige Menge an Activin und das richtige Timing für eine normale Wundheilung wichtig sind. Blockiert man den Faktor in M?usen, heilen Wunden deutlich schlechter. Wird dagegen von den Zellen viel Activin produziert, heilen die Wunden schneller, wobei sich bei zu viel Activin gr?ssere Narben bilden.
?Um in der Biomedizin zu den besten Ergebnissen zu kommen, muss man m?glichst viele Technologien kombinieren.?Sabine Werner
?Eigentlich wollte ich immer im Reagenzglas und nicht mit Tieren forschen?, sagt sie. Doch schnell wurde ihr klar: Wenn sie die Wundheilung wirklich verstehen will, muss sie auch an Tieren forschen. Und wenn sie will, dass ihre Forschungsergebnisse auch Patientinnen und Patienten mit Wundheilungsst?rungen zugutekommen, dann muss sie eng mit ?rztinnen und ?rzten in den Spit?lern zusammenarbeiten.
Ausser Kontrolle
Werner konnte in Tierversuchen mit M?usen mit kleinen Hauttumoren ausserdem zeigen, dass erh?hte Activin-Mengen auch das Tumorwachstum anregen und die Tumorzellen verst?rkt ins benachbarte Gewebe eindringen. ?Bei der Wundheilung und bei der Entstehung vieler Krebsarten laufen viele gleiche biochemische und zellul?re Prozesse ab?, erkl?rt die ETH-Professorin. ?Bei der Wundheilung kommen sie zum Stillstand, sobald die Wunde verschlossen ist. Bei Krebs hingegen geraten sie ausser Kontrolle, und b?sartige Tumore nutzen die Mechanismen der Wundheilung, um ihr eigenes Wachstum voranzutreiben.?
Dank der Zusammenarbeit mit Haut?rztinnen und -?rzten in den Universit?tsspit?lern von Zürich und Lausanne erhielt Werner immer wieder auch Biopsien von Patientinnen und Patienten mit Hautkrebs. In Experimenten mit diesem Gewebe konnte sie zeigen, dass in aggressiv wachsenden Tumoren ebenfalls zu viel Activin produziert wird und es dort die gleichen biochemischen Prozesse aktiviert. ?Um in der Biomedizin zu den besten Ergebnissen zu kommen, muss man m?glichst viele Technologien kombinieren?, erkl?rt Werner. ?Wir müssen die Mechanismen in menschlichem Gewebe, also in Biopsien, in guten Zellkulturmodellen mit menschlichen Zellen und auch in Tieren untersuchen.?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit investieren derzeit viel, um Zellkulturmodelle zu optimieren und zu verbessern. Via das interdisziplin?re Schweizer Hautforschungsprojekt SKINTEGRITY.CH ist auch Werner an solcher Forschung beteiligt. Sie ist überzeugt, dass in den n?chsten Jahrzehnten noch mehr relevante Erkenntnisse aus der Zellkultur gewonnen werden k?nnen. ?Das Verh?ltnis wird sich verschieben: mehr Zellkultur, weniger Tierversuche?, sagt sie voraus. Es gibt schon heute aussagekr?ftige, fortgeschrittene Zellkulturmodelle, die sogar unterschiedliche Hautzelltypen umfassen und aus Unterhaut und Oberhaut bestehen. ?Alles, was wir in der Zellkultur untersuchen k?nnen, machen wir jetzt schon damit?, sagt sie.
Mit dem interdisziplin?ren Grossprojekt externe Seite SKINTEGRITY.CH soll die Schweiz weltweit führend im Bereich Hautforschung werden. Gemeinsam forschen Naturwissenschaftler, Ingenieurinnen und ?rzte an den Grundlagen von Hauterkrankungen und Wundheilungsst?rungen. Die Teilprojekte reichen von der Herstellung künstlicher Haut für Transplantationen bis zu Bildgebungssystemen zur frühzeitigen Diagnose von Hautkrebs und anderen Hauterkrankungen.
Es gibt aber auch vieles, was sich nicht in Zellkultur untersuchen l?sst: Sowohl bei der Wundheilung als auch bei Krebs geht es um Entzündungsreaktionen, bei der viele unterschiedliche Immunzellen beteiligt sind. Hormone spielen ebenso eine Rolle wie Wachstumsfaktoren, die zum Beispiel von Nervenzellen hergestellt werden, die die Haut durchdringen. All dies l?sst sich in der Zellkultur nicht in der im K?rper vorhandenen Komplexit?t nachbilden. Auch die Bildung von Krebsablegern in verschiedenen Organen l?sst sich in Zellkultur nicht untersuchen.
?Tierversuche haben Vorteile, und sie sind leider notwendig. Aber wir müssen das Leid der Tiere und auch die Anzahl an Tierversuchen so weit wie m?glich reduzieren?, sagt Werner. Ihre Gruppe arbeitet daran, die Tierversuchsmethoden zu verbessern und die Schmerzausschaltung zu optimieren. Moderne Methoden zur biochemischen Analyse von Wundmaterial erlauben es zudem, schon mit wenig Material aussagekr?ftige Resultate zu erhalten. Damit konnte Werners Gruppe die Zahl der invasiven Tierversuche in den letzten Jahren klar reduzieren.
Neue Medikamente
Nun will Sabine Werner aus ihren Erkenntnissen zum Wachstumsfaktor Activin m?gliche neue Therapien ableiten. Die Idee ist, insbesondere bei Krebs mit neu zu entwickelnden Medikamenten zu verhindern, dass Activin mit seinen Zielmolekülen wechselwirkt oder dass die durch Activin angeschalteten biochemischen Signalwege aktiviert werden. Das macht die ETH-Professorin allerdings nicht selber. Dafür ist sie zu sehr Grundlagenforscherin. Aber sie arbeitet dazu mit Fachleuten zusammen. Auch solche Medikamente müssen dereinst zuerst im Tierversuch getestet werden, bevor Patientinnen und Patienten einen Nutzen davon haben.
Und weil Krebs- und Wundheilungsforschung nach Werners Erfahrung immer wieder voneinander profitieren, k?nnten solche Medikamente in Zukunft vielleicht auch die Bildung von grossen und unsch?nen Narben verhindern.
Zur Person
Sabine Werner ist Professorin für Zellbiologie am Departement Biologie der ETH Zürich.
?Globe? Mensch im Mittelpunkt
Dieser Text ist in der Ausgabe 23/04 des ETH-????Magazins Globe erschienen.